30. Ohne Ausweg

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Ein Quietschen, Kratzten.

Nochmal. Plötzlich flogen Schatten hinter dem verdreckten Fenster her. Es war, als würden Finger gegen das Glas tippen, auf der Suche nach den Opfern dahinter.

Die Spannung kroch durch alle Ritzen zu uns hinein, sie war stechend, aufdringlich. Sie war spürbar, für uns alle. Rachels und Annabeths Schlaf konnten nicht dagegen angehen. Stöhnend wachten beide auf.

„Was hab ich verpasst?", fragte Rachel mit gespieltem Schwindel im Gesicht, als wäre sie angetrunken und eingeschlafen. „Ich war bei den grünen Blättern noch da." Ihre Energie sprühte förmlich durch den Raum, dann verstummte sie.

„Was ist da draußen?" Sie zeigte mit ihrem Finger auf eines der verstaubten Fenster, hinter dem der Schatten zuletzt hergeglitten war.

„Die Schlossbesitzerin, wer sonst?", zischte ich zwischen meinen Zähnen hindruch. War Lamia stark genug, um die Fensterscheiben zu zerschlagen? Ich wollte mich nicht darauf verlassen, dass eine Scheibe Glas über mein Leben und das meiner Freunde entschied. Glas konnte brechen. Auch wenn wir es nicht schafften, die Kraft eines Monsters war anders.

„Percy?" Annabeth sah zu mir hoch. Unter ihren Augen lagen tiefrote Schatten, aber das hielt sie nicht davon ab, mir die Sorgen vom Gesicht abzulesen. Ihre Hand strich über meine Wange, ich sollte mir von ihr die Ängste um sie nehmen lassen. Eine Berührung von ihr, und ich schien zu glauben, ich könnte sie vergessen, die Ängste, aber das konnte ich.

Auch die Schatten unter meinen Augen lagen tief und dunkel. Ihre Finger glitten über meine Lippen, sie zitterten, dann wieder über meine Wange, über meinen hervortretenden Wangenknochen. Auch an mir hatte die Reise gezehrt.

„Schon gut." Ich nahm ihre Hand, damit sie mich nicht mehr berühren konnte. Es war schon so schwer genug, für sie stark zu sein. Als Antwort schürzte sie ihre Lippen. Wir konnten beide die Sorge umeinander nicht mehr voneinander verbergen.

Ich senkte meinen Kopf zu ihr, um sie leicht auf die Stirn zu küssen. Heiß. Verängstigt. So kannten wir uns nicht.

Gerade, als ich sie abermals küssen wollte, barst ein Fenster unter Lärm nach dem anderen. Scherben zischten durch die Luft. Ich duckte mich über Annabeth, einige Scherben zogen über meinen Rücken, verletzten mich aber dank der Klamotten nicht.

Ein kleines Glasstück zerriss meine Wange, ich biss mir auf die Zähne, das Brennen würde nachlassen. Die anderen hatten sich auf den Boden geworfen, das Gesicht mit den Armen geschützt.

Jeder von ihnen hatte kleine Kratzter im Gesicht, aber niemand war von dem Glas schwer verletzt worden. Eine kleine Erleichterung.

„Sag mal, geht's noch? Hier schlafen einige!", brüllte Clarisse wutentbrannt, ihr lief ein kleiner Fluss aus Blut über die Stirn die Nase hinunter. Ich reckte mich, folgte ihrem Blick.

„Glaubt ihr, euch in meinem Schloss verstecken zu können? Ihr Narren!" Die Hexe saß in dem zuletzt gesprungenen Fenster, ihre Bruts bebte vor Drang, uns zu zerfleischen, da sie uns nun gefunden hatte.

„Ich will ja nichts sagen, aber dafür, dass du dich hier so gut auskennst, hast du ziemlich lang gebraucht, um uns zu finden!", schrie ich ihr entgegen. Wenn sie schrie, konnte ich ebenfalls schreien. Wut brodelte in mir auf, sie würde nicht siegen. Mut, wie lange hatte ich ihn nicht mehr gespürt? Sie wird nicht gewinnen. Das war ein Entschluss.

„Was spricht die vorlaute Speise da?" Sie hatte mich verstanden, sie wusste, was in mir vorging. Und ich wusste, was in ihr vorging. „Wie soll ich euch verzehren? Roh? Gegrillt? In Scheiben geschnitten?" Mit schäumender Zunge schlug sie ihre Krallen in die Wand. Versuche, sich noch etwas zu gedulden, uns nicht sofort mit ihren Krallen aufzuschlitzen.

Percy Jackson - Der Feind des Halbgottes, inspiriert von Rick RiordanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt