24. Erstickt

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Mein Traum fing seltsam an. Ich beobachte, wie Annabeth sich heimlich aus dem Camp schlich. Vorsichtig schaute sie hinter jede Ecke und wartete darauf, dass die Luft rein war, um ungesehen aus dem Camp hinauszukommen. Ohne Probleme fand sie einen Weg an Argus, dem hundertäugigen Wächter, vorbei und wanderte weiter, einfach durch das Tor hindurch, das das Camp von der Welt der Sterblichen und der Monster trennte.

Als sie die schützende Grenze hinter sich gebracht hatte, rannte sie los. Sie rannte, bis sie sich durch den Wald auf die Straße gekämpft hatte. Im Schein einer Straßenlaterne, an der sie kurz verschnaufte und Rast machte, konnte ich ihr Gesicht erkennen. Vom Schlafmangel weit aufgerissene Augen, bleiche Haut, zerstreuter Blick.

„Percy", hauchte sie und riss ihren Blick nach links, in meine Richtung. „Wo bist du nur?"

Mein Traum-Ich rannte augenblicklich zu ihr. Ich musste wissen, was sie hier draußen zu suchen hatte. Eigentlich hatte ich sie in meine Arme schließen wollen, wieder und wieder weinte sie meinen Namen, aber meine Hand fasste einfach durch sie hindurch. Es war nur ein Traum, sie war nicht wirklich neben mir.

„Percy? Bist du da?", fragte sie, als ob sie meine Anwesenheit spürte, ihr Blick suchte nach mir, verharrte, als er an meinen Augen hängen blieb. Doch ich wusste, dass auch ihr Blick einfach durch mich hindurch, bis hin in die Ferne glitt.

Tatenlos musste ich mit ansehen, wie ihr eine Träne aus purer Verzweiflung über die Wange rollte. Vermutlich spürte sie wirklich, dass ich ihr zum Greifen nah war. Ich wollte sie umarmen, ihr die Tränen nehmen, ihr zeigen, dass ich da war, dass ich direkt vor ihr stand, doch mein Traum änderte sich schlagartig, als ich versuchte, mich ihr noch weiter zu nähern.

Es war dunkel. Der Ort, an dem ich mich befand, wurde von einem blassen, roten Licht so erhellt, dass ich meine Umgebung gerade so erkennen konnte. Wo ich auch hinsah, überall sah ich Rot. In der Ferne flimmerte der Fluss mit seinen tausend Rottönen, ein Weg mit rotem Sand aufgeschüttet, führte zu ihm hin.

„Percy!" Jemand schrie meinen Namen. „Percy!" Ein Kreischen und ich erkannte ihre Stimme.

Annabeths Stimme.

Verzwerrt vor Angst und von der Entfernung verschluckt, war ihre Stimme nicht deutlich. Doch es war die ihre. Und ich wusste auch, woher sie kam.

Mich packte die Todesangst. Schneller als jemals zuvor, rannte ich dem Flussufer entgegen. Das Brüllen der rauschenden Fluten übertönte mein Schnauben und das Schaben meiner Schritte auf dem Sand. Aber sie konnten nicht die Schreie der Todesangst übertönen.

Plötzlich brach ihr Kreischen ab, als würde es im Keim erstickt. Zu spät! Zu spät! Meine Schritte wurden zu langen Sprüngen bis mich die Farbe des Wassers davor abschreckte, direkt hineinzuspringen. Wie konnte das Wasser von solchem Rot sein? Als wären tausende von Menschen in diesem Gewässer bis zum allerletzten Tropfen Blut ausgeblutet.

Mitten im Fluss wuchs eine gold-blondene Schilfpflanze, es war ein Wunder, dass sie nicht von der Strömung aus dem Grund gerissen wurde, so stark zog das Wasser an den blonden Halmen. Ich suchte nach einer weiteren Pflanze dieser Art, aber diese hier schien einzigartig zu sein, wenn man von ihren Vorkommensort absah.

Blitzartig schnellte die Pflanze plötzlich hoch, gefolgt von einem Kopf, der mir mehr als vertraut war und dann erinnerte ich mich, warum ich hergekommen war.

„Annabeth!", schrie ich aus Leibeskräften, aber ich konnte beinahe sehen, wie meine Laute von den Fluten in die Tiefe gezogen wurden. Und plötzlich rissen sie auch Annabeth wieder nach unten, aber diesmal blieben ihre Haare nicht auf der Wasseroberfläche liegen, diesmal wurde sie viel tiefer hinabgezogen.

Percy Jackson - Der Feind des Halbgottes, inspiriert von Rick RiordanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt