33. Die Keryntische Hirschkuh

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Die Sekunden strichen dahin und trotzdem rührte sich keiner von der Stelle. Mittlerweile war es totenstill. Gerade als ich mich selbst darüber wunderte, wie lange ich bereits keinen Muskel bewegt hatte, spürte ich, wie mir der Atem ausging, den ich bis jetzt angehalten hatte.

Ich versuchte noch leicht meinen Mund zu öffnen, um den Druck zu lösen, doch genau in dem Moment glaubte ich zu platzen. Mir blieb nichts anderes übrig, als hektisch nach Luft zu schnappen. Beinahe wäre ich erstickt.

Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich erstickt wäre, denn als ich nur den Mund geöffnet hatte, brach die Kreatur aus dem Gehölz, wovon ich geglaubt hatte, dass es schon längst weiter gezogen war. Und das ich nie unter die Kategorie bösartig eingestuft hätte, wenn es mich nicht mit seinem scharfen, silbernen, wunderbar geschwungenen Geweih gestellt hätte.

Sechs messerscharfe Geweihauswüchse waren auf meinen Hals gerichtet. Meine Hauptschlagader pulsierte unter der Panik, gleich durchstochen zu werden.

„Braves Rehlein...", flüsterte ich und versuchte gegen den Drang anzugehen, den sanftbraunen Kopf zu tätscheln.

Wenn du dich jetzt bewegst, bist du tot!", warnte mich die Stimme in meinem Kopf. Ich war mir sicher, dass ich da auch von selbst drauf gekommen wäre.

Langsam trat das Monsterreh Schritt für Schritt zurück, aber ohne sein Geweih von mir weg zu richten. Dann stand es so still, wie ich eigentlich hätte stehen müssen. Nur an den sich leicht bewegenden Nüstern konnte man sehen, dass dieses Tier lebendig und keine Statue war.

Ich zwang mich, den Blickkontakt zu lösen, indem ich vorsichtig die Augen schloss. Kurz spürte ich Erleichterung, doch dann fielen mir die anderen ein. Was würde passieren, wenn Clarisse auf das Monster losging oder Rachel panisch flüchtete? Was, wenn Annabeth zu zittern begann, weil sie wieder ohnmächtig werden würde?

Ich konnte es nicht sehen. Sobald ich die Augen wieder öffnete, wird das Vieh mich aufspießen, das wusste ich. Plötzlich spürte ich, wie sich vorsichtig Fingerspitzen in meine angespannte Faust schoben. Annabeth suchte nach Sicherheit und das erleichterte meine Sorge.

„Reh!", rief Hannah plötzlich und zerbrach unsere Stille. Ich riss die Augen auf.

Hannah zappelte hinter dem Monster herum, wedelte mit den Armen in der Luft und sprang auf und ab. Um das Bild noch abzurunden, gab sie schrille Piepstöne von sich.

Es wunderte mich nicht, dass sie es schaffte, die gesamte Aufmerksamkeit des Tieres wie geplant auf sich zu ziehen. Wie eine kampfsüchtige Gazelle schritt das Reh auf Hannah zu und gab mich aus seinem Blick frei.

Ich regulierte meine Atmung. Als ich mich versicherte, dass das Reh nur noch Augen für Hannah hatte, trat ich einen Schritt zurück, um neben Annabeth zu stehen. So verharrten wir.

Rachel und Clarisse glichen einem Baum, doch genau wie ich folgten sie dem Ablenkungsmanöver, um auf Anweisungen Hannahs zu warten und um einzugreifen, falls alles eskalieren sollte.

Aber das kleine Mädchen hatte einen guten Plan. Sie schaffte es, das Monster von uns fort zu locken. Schritt für Schritt, im Schneckentempo.

Meine Geduld reichte dafür nicht aus, dass ich es genauso hätte machen können. Es gab für mich nur eine Erklärung, wie Hannah wissen konnte, wie sie sich zu verhalten hatte. Sie hatte es bereits mehrere Male gemacht, ob als Übung oder im Ernstfall.

Öfter versuchte Hannah das flinke Monster zu berühren, das den Boden mit dem bloßen Scharren seiner Hufe zum Erschüttern brachte. Die Nüstern des graziösen Tieres bebten und die schwarzen Augen glänzten im Licht mit einer solchen Intelligenz, dass es wahrscheinlich mit Annabeth konkurrieren konnte.

Percy Jackson - Der Feind des Halbgottes, inspiriert von Rick RiordanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt