„Lauf weiter, lahme Ente, oder willst du, dass er uns entwischt? Die Schlagzeile: Bei Rettungsversuch wird Irrer frei in die Welt entlassen. Reiß dich am Riemen!", keifte sie, drängelte sich an mir vorbei, kletterte die schwarzen, steinernen Treppen empor und schnaufte kurz ein. Sie hatte also auch Angst. Aber dann rannte sie los, in wenigen Sekunden war sie von den finsteren Wänden verschlungen, die uns zurück führen sollten. Könnten. Wenn wir es aus ihnen hinaus schafften.
Ich hatte gegen den Herrscher der Titanen gekämpft verdammt, ich hatte wohl den Mut, mich dieser kleinen Felsspalte zu stellen. Aus Zorn mir selbst gegenüber, sprang ich ebenfalls die Treppen hoch, während es in meinen Ohren zu rauschen begann.
Die schwarzen Wände verschlangen nun das letzte Licht aus Mnemos Höhle hinter mir, damit sie mich nun in dunkelster Finsternis einschließen konnten. Es war so dunkel, dass ich mich auf meine Tastsinne verlassen musste, die, wie ich feststellen musste, mich nur an feuchter Wand entlang gleiten ließen.
Plötzlich brach alles über mich herein, gleichzeitig, wie ein Taifun schwemmten tausende Erinnerungen in meine Gedanken. So präsent als wären sie Momente, die ich gerade erlebte.
Annabeth, Grover, Tyson, Chiron, alle möglichen Gesichter rauschten an meinem inneren Auge vorbei, in einem stillen Gespräch verstummt. Zudem kamen dann Wörter, von unterschiedlichen Personen und zu völlig anderen Zeiten ausgesprochen, keines von ihnen hatte einen Zusammenhang mit einem anderen. Tausende Monster sprangen mir ins Gesicht, als wollten sie mich auffressen, und glitten durch mich hindurch.
Ich hätte schwören können, dass sie real waren, doch sie verpufften, sobald sie durch mich hindurch gesprungen waren. Jedes Mal erschrak ich vor der Illusion der Monster, wenn mich die Chimäre zerreißen, der Zyklop zertreten und der Mantikor mit seinem Stachel erstechen wollte. Springflut schnitt wild in der Luft herum, dann sah ich ein zweites Schwert, ein drittes. Eine Welle aus Waffen stürzte in meinen Kopf hinein. Schwerter, Messer, Klingen, Pfeile, Äxte, alles was ich je in einem Kampf gesehen hatte.
Und trotzdem war die Erscheinung von Annabeth das einzige, was starr vor mir stand in dem Gewirr aus Stimmen und Bildern.
Dann brach ein Sturm in der Gasse aus und fegte durch die Steinwände. Der Wind riss jedes Gesicht, jedes Monster, jedes Wort mit sich, zog es beinahe aus meinen Augen und rüttelte es aus meinem Gehirn. Mein taumelnder Körper stieß an allen Stellen gegen den Stein, der, natürlicherweise, nicht nachgab. Ich fühlte mich leer, oder eher ... unbestimmt.
Ich tappte durch die Dunkelheit. Durch Finsternis.
Wo war ich?
Seltsamerweise war der Boden uneben, fast steil, dazu noch eng. Ich stemmte mich gegen die Wände, doch ich stieß gegen felsigen Widerstand. Überall stießen mir Felswände in die Seite, ich kam nur langsam vorwärts. Ich musste mich knien und mich durch die Felsen hindurchzwängen, um weiter zu kommen. An meinen Schuhen schien Sand zu kleben, doch der Boden war glatt. Warum krabbelte ich überhaupt durch die Dunkelheit? Was hatte ich hier zu suchen? Orientierungslos zu sein, war eine Sache, aber vollkommen verloren zu sein, war furchtbar. Eine kribbelnde, meinen Körper annagende Angst durchflutete meine Gedanken. Wie war ich hier hergekommen und würde ich jemals wieder nach Hause gelangen? Und, oh Götter, wo war mein Zuhause?
Tief Luft holen! Da vorne änderte sich etwas...
Endlich kroch Licht um eine Ecke in dieser merkwürdigen Felsspalte. Erleichtert, endlich einen Ausweg aus dieser Gegend gefunden zu haben, folgte ich dem Licht wie eine Motte. War ich etwa eine Motte? Ich könnte auch in der Dunkelheit bleiben, sie störte mich nicht.
Doch es war einsam. Ich wollte nicht einsam sein, ich wollte näher an das Licht. Ich wollte näher an einer bestimmten Person sein. Die wagen Umrisse einen Mädchens flackerten vor mir auf. Dort wollte ich hin, dorthin, wo das Licht war, dorthin, wo das Mädchen war.
Das Licht führte mich in eine Höhle, deren Wände aus Wasser zu bestehen schienen. Sobald mein Körper wieder festen Boden unter den Füßen fand, flossen die Erinnerungen, wieder zurück in meinen Kopf, jetzt sachte und leise. Einige Erinnerungen hatte ich bereits vor dem Verlust vergessen, sie wieder zu sehen, war wunderbar. Einige waren schrecklich.
Ich konnte mich an alles erinnern. Ich konnte mich an den Gang durch die Felswand erinnern, an den Kampf in der Höhle und an Erebos. An Clarisse. An Annabeth.
Und ich war keine Motte! Ich war Percy Jackson!
Sofort verschwand meine Ungewissheit, die sich in mir ausgebreitet hatte, als ich durch die Gasse geklettert war. Mein Geist war stärker als je zuvor. Mein Selbstbewusstsein. Meine Erinnerungen.
Ein Schrei aus Freude brach aus mir heraus, in dem Moment schwankte Clarisse zu mir und stürzte dabei beinahe die Treppe hinunter. In meinem Rauschzustand mussten ich sie wohl überholt haben. „Wer auch immer du bist, du bist nervig. Hast du nichts Besseres zu tun, als hier so einen Lärm zu veranstalten. Ich meine, was soll diese Scheiße denn?" Ihr Blick war genauso vernebelt wie der von Erebos, als er zu uns gestoßen war.
Hatte sie etwa alles vergessen, genau wie er? Eine einfache Frage würde mir Wahrheit verschaffen.
„Wer bist du?", fragte ich sie in einem herausforderndem Ton.
Clarisse reagierte auf die Herausforderung, genauso wie ich es erwartet hatte. Motzig antwortete sie: „Das geht dich gar nichts an!"
„Dann weißt du's nicht." Mir huschte schon ein siegessicheres Lächeln über das Gesicht, bevor sie überhaupt geantwortet hatte. Auch wenn es schlimm für mich wäre, Erebos und Clarisse ohne ihr Gedächtnis wieder zurück bringen zu müssen, munterte mich dieser kleine, sinnlose Sieg auf.
„Natürlich weiß ich meinen Namen, er ist-" Ihre Stimme brach, und damit meine Hoffnung, dass auch sie es wohlbehalten durch die verfluchte Gasse geschafft hatte. Wieso war ich unbeschadet davongekommen?
Zumindest wusste ich über den Weg Bescheid, um Clarisse, natürlich nur mit großem Getzeter, durch den Höhlentunnel, dessen Wände so aussahen, als bestünden sie aus purem Wasser in gefrorenem Eis, zu ziehen.
Über uns glitzerte es nur so vor gefangenen Sauerstoffbläschen, vor meinem Mund formte sich immer, wenn ich ausatmete, eine kleine Wolke aus gefrorenem Atem, der sanft hoch an die Decke stieg und sich dort in eine dünne Schicht von Nebel auslöste. Das Echo unserer Schritte schallte mehrere Meter nach vorne, um später wieder auf uns zurückzuprallen. Ein faszinierendes Geräusch. Für wenige Sekunden hielt ich inne. Ließ die Luft Wolke für Wolke aus meinen zitternden Lippen fliehen. Nur einmal kurz Luft holen...
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So ihr Lieben,
Aufgrund von Problemen mit meinem Rechner kommt jetzt der letzte Teil des Lethe-Kapitels.
Wenn es euch gefällt, dann gebt mir bitte ein Sternchen. (Sternchen machen mich sehr glücklich)
Außerdem könnt ihr mir, sobald euch etwas auffällt, einen konstruktiven Kommentar schreiben, darüber freue ich mich nämlich auch immer sehr.Bis zum nächsten Kapitel
Eure NinininaHolz——————————————————————
Wenn ihr Fantasy-Fans seid, dann schaut euch doch mal die Bücher von der lieben GiulyanaBlue an! Ich liebe ihre Bücher! Da wartet nämlich auch eine Lamia-Geschichte auf euch;)
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Percy Jackson - Der Feind des Halbgottes, inspiriert von Rick Riordan
FanfictionNach dem Krieg gegen den Titanenherrscher Kronos glaubt Percy, endlich einen gewöhnlichen Sommer im Camp Half-Blood verbringen zu können. Doch kaum ist er in seinem zweiten Zuhause angekommen, wird seine Hoffnung zunichte gemacht. Irgendetwas stimmt...