Girl in the Mirror

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Ich fahre nach Hause, Gustav auf dem Beifahrersitz. Verzweifelt und mit tränenden Augen versuche ich mich auf die Straßen zu konzentrieren. Innerlich betete ich, dass mein Vater nicht zuhause war. Bevor ich jedoch mein Auto parken kann, vibriert mein Handy. Vanessa ruft an. Natürlich hebe ich sofort ab.
"Ja?"
Es rauscht relativ laut.
"Emma? Wo bist du? Leo ist total aufgelöst."
Im Hintergrund könnte ich jemanden schluchzen hören.
"Stehe gerade vor meinem Haus. Ich komme heute Abend nochmal. Ist Leo bei dir auf dem Zimmer?", Frage ich ruhig.
"Ja, wir teilen uns das Zimmer. Pass auf, egal was passiert ist, bieg das wieder gerade!"
Dann legt Vanessa wieder auf. Sie ist nicht glücklich darüber wie es Leo geht. Und ich auch nicht. Aber das Gefühl zu haben, dass sie mich eventuell doch nicht so liebt wie ich sie, das hat verdammt weh getan. Vielleicht bin ich in Ihren Augen auch nicht attraktiv und sie ekelt sich davor mich auszuziehen oder geschweige denn, mit mir zu schlafen.
Seufzend steige ich aus dem tiefen Wagen, gehe um das Auto rum und hole Gustav ebenfalls raus. Ein letztes Mal wische ich die Tränen von den Wangen runter und gehe zur Haustür. Vorsichtig und beinahe ängstlich öffne ich die schwere Tür. Gustav läuft flott ins Haus, ich höre die Schritte meiner Mutter.
"Emma!", ruft sie glücklich aus.
"Hey Mama."
"Ich hatte solche Angst um dich. Mach das nie wieder!" Sofort schließt meine Mutter mich in ihre Arme.
"Ist Papa da?", Frage ich leise.
"Nein, er ist in Mailand. Bis zum zweiten Advent."
Stimmt, die Weihnachtszeit stand bevor. Erneut seufze ich und schlüpfe aus meinen Schuhen.
"Magst du was Essen?", fragt Mama mich und geht vor in die Küche.
"Eigentlich nicht aber danke. Hat Papa noch was gesagt bevor er gefahren ist?", erkundige ich mich vorsichtig.
"Nein er war in Schweigen gehüllt und hat sich nichtmal verabschiedet." Mom sah nicht glücklich aus. Sie sah aus, als hätte sie seit Wochen keinen richtigen Schlaf gehabt.
"Mom wie wäre es, wenn ich mich heute um Hendrix kümmere und du einfach mal schläfst? Ich wollte gleich nochmal weg und kann ihn mitnehmen.", biete ich an.
Meine Mutter blickt mich aus den müden Augen an.
"Das wäre wirklich sehr schön.", flüstert sie und gähnt direkt.
"Er macht gerade noch ein Schläfchen, ab halb vier ist er meistens wieder wach.", gibt sie mir Auskunft.
"Okay ab dann übernehme ich. Ich gehe jetzt aber erstmal duschen okay?"
Ich schaue kurz auf die Uhr, halb drei.
"Gern. Ich lege mich hin." Mom geht nach oben in ihr Schlafzimmer und schließt die Türe hinter sich.
Seufzend gehe ich ebenfalls nach oben. In meinem Zimmer suchte ich mir frische Klamotten raus und begebe mich dann ins Bad. Die warme Dusche tut zwar gut, aber entspannen kann ich mich nicht. Meine Gedanken kreisen nur um Leo und was ich falsch gemacht habe. Ich hätte Angst, dass sie jedes mal ohnmächtig wird wenn ich sie anfasse. War ich wirklich so eklig? Mein Kopf wollte nicht still sein und ich hab es auch auf. Eilig zog ich die frischen Sachen an und begab mich runter in Hendrix Zimmer. Er lag in seinem kleinen Bettchen und war noch tief im Traumland versunken, also ließ ich mich in die Hängematte gleiten, die gegenüber von der Decke hing.
Ich schrieb Leo an.
Hey wie geht es dir ?
Hoffentlich ging es ihr besser. Langsam plagte mich mein schlechtes Gewissen dass ich sie nicht hätte allein lassen sollen. Aber mein Kopf hat nach frischer Luft gebrüllt gehabt.
Seufzend stürzte ich mich auf Social Media. Vertieft auf mein Handy scrollt ich die News-Feed-Seite herunter. Nix neues.
Plötzlich vernehme ich, dass Hendrix aufwacht. Sofort stehe ich auf und hebe ihn aus dem Bett.
"Na Hendrix?", flüstere ich.
Verschlafen drückt er seine Hände an seine Äuglein und streicht sich den Schlaf aus den müden Augen. Dann gähnt er herzhaft.
"Da ist einer aber noch müde!", sage ich leise und wiege ihn hin und her. Langsam gehe ich die Treppen runter in die Küche. Hendrix wird jetzt gleich Hunger haben, und ich wollte ihn nicht warten lassen. Ich setze ihn in seinen Hochstuhl und hole dann die Babynahrung aus dem Schrank.

Um siebzehn Uhr fahre ich mit Hendrix ins Krankenhaus zu Leo und Vanessa. Im Krankenhaus gab es eine Kinderecke, in der man Kleinkinder abgeben konnte, solang man jemanden besuchte. Das tat ich dann auch. Hendrix war völlig in die Bausteine vertieft als ich auf dem Weg zu Leo war.
Vorsichtig klopfe ich an die schwere Zimmertür.
Vanessa und Leo rufen beide gleichzeitig 'Herein' und ich trete dann ein.
"Hey.", murmel ich und schaue Leo scheu an. Vanessa steht auf und umarmt mich.
"Ich bin dann mal unten. Wenn was ist, schreibt mir!", sagt sie und hebt ihr Handy hoch.
Leo und ich nicken zeitgleich und schauen uns dann zaghaft an. Ich setze mich auf ihr Bett als die Tür ins Schloss fällt und Vanessa endgültig weg ist.
"Wie geht es dir?", frage ich leise.
"Naja, körperlich gut nur physisch nicht so.", erwidert Leo.
"Es tut mir Leid, dass ich vorhin gegangen bin. Nur, ich hatte so Panik und Gedanken darüber ob ich dich so falsch behandelt habe..."
"Emma, Nein. Es liegt nicht an dir, glaub mir. Du tust mir unglaublich gut, wie sonst niemand momentan. Allerdings bin ich noch nicht bereit darüber zu reden. Ist das okay?", fragt Leo leise.
"Ja, sag mir nur bitte sofort Bescheid, wenn es an mir liegt. Ich will nur die Wahrheit wissen."
Leo nickt mit schüchternen Blick.
"Mach ich. Versprochen."
Erleichtert lächel ich sie an und ziehe sie dann zu mir. Ich will die Umarmung gar nicht beendet aber alles hat mal ein Ende.
"Warst du zuhause?", fragt sie mich.
Ich nicke.
"Ja, mein Vater ist bereits wieder auf Geschäftsreise.", sage ich nur.
Leo nickt. Sie scheint nachzudenken und starrt aus dem Fenster.
"Meine Mutter holt mich gleich ab, sie war vorhin bereits hier, nur musste sie noch mal zur Arbeit etwas abgeben. Willst du mit uns mitkommen?", fragt sie schließlich und schaut mich hoffnungsvoll an.
"Ich hab meinen Bruder dabei, er ist gerade in der Kinderstation. Wenn er nicht stört dann komme ich gerne mit."
Leo schüttelt sofort mit dem Kopf.
"Er stört nicht. Komm bitte mit."
Ihr bittender Blick lässt einen dahin schmelzen. Also Stimme ich zu.
Bis ihre Mutter kam, unterhielten wir uns über Vanessa und wie es weitergehen soll. Vanessa würde vorraussichtlich erst in zwei Tagen entlassen werden, das verschaffte Zeit.
"Wenn du magst, kann ich Vanessa auch bei mir aufnehmen. Solang mein Vater nicht da ist geht das klar.", biete ich an.
"Das ist lieb. Ich Frage aber gleich meine Mutter, sie wird sicherlich nichts dagegen haben."
Leo schien sehr überzeugt, und so wie ich ihre Mutter kennengelernt habe, wird sie auch nicht Nein sagen. Allerdings wollte ich trotzdem zeigen, dass ich es anbiete.
Ich wollte, dass Leo merkte, dass sie mir verdammt wichtig war. Sie war nicht irgendwer für mich, sie war Leo für mich. Dieses schöne, starke Mädchen war mein Mädchen und sie sollte es immer wissen und auch bleiben.

Ocean EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt