Nothing is gonna hurt you

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Der Morgen danach. Ich war alleine, Emma war weg. Mein Wecker klingelte und ich wusste, es war Zeit für die Schule. Vanessa war nicht im Zimmer, sie würde also im Wohnzimmer liegen.
Gähnend machte ich mich für die Schule fertig. Im Flur lief mir Vanessa entgegen, sie grinste mich neckend an und verschwand im Bad. Ich ging in die Küche für einen frischen Kakao.
Eine halbe Stunde später verlässt Vanessa das Bad, top gestylt und echt gut aussehend. Ich habe da morgens keinen Nerv für, mich so zu schminken und hübsch zu machen, so wie sie es tut.
"So, dann erzähl mal, wie war es?", fragt Vanessa mich und setzt sich mir gegenüber an den Tisch.
"Es gibt nichts zu erzählen.", sage ich mürrisch und erhebe mich vom Stuhl.
"Wie? Ich hab doch die Kerzen und alles ...", sagt sie leicht enttäuscht.
"Wir haben nicht, Vanessa. Noch nicht.", sage ich und gehe ins Bad. Ich wusch mein Gesicht und putzte die Zähne ehe ich mich im Zimmer umzog.
"Wieso nicht? Hast du oder sie den Rückzieher gemacht?", fragt Vanessa weiter, die jetzt auf meinem Bett saß.
"Ich. Reicht das jetzt?", frage ich genervt und ziehe mir Socken an.
Ich merke wie Vanessas Blick auf mir ruht, aber sie sagt nichts. Und das ist eine ihrer guten Eigenschaften. Sie wusste wann sie nicht weiter nachfragen sollte.
In aller Seelenruhe ziehe ich mich also an und packe meine Tasche für die Schule. Anschließend machen Vanessa und ich uns auf den Weg zur Schule.
Ich hatte heute diesen Tag, an dem ich einfach zuhause sein wollte. In meinem Bett, ohne irgendwen der mich nervte oder den ich eventuell nerven konnte. Ich wollte mich verkriechen, ohne dass ich irgendwem zur Last fallen konnte.
Den ganzen Schultag versuchte ich Emma aus den Weg zu gehen, sie wollte bestimmt eh nichts mehr mit mir zu tun haben nach gestern. Wer fängt schon an zu heulen wenn man gerade kurz davor ist mit jemandem zu schlafen? Egal. Vanessa war eh die ganze Zeit mit Ben unterwegs, also schloss ich mich in den Pausen auf dem Mädchenklo ein, nur damit Emma mich nicht finden konnte. Nach meiner letzten Stunde ging ich eilig zum Bus, ohne auf Vanessa zu warten. Sie würde schon alleine nach Hause fahren.
Wieso war ich nur so? So angsterfüllt vor allem was neu ist? Wieso konnte ich nicht so cool sein wie Emma oder Vanessa? Die beiden haben ihre ersten Male bestimmt einfach so gehabt.
Wieso war das Leben so schwer?

Emmas P.O.V.
Schulschluss. Leo hatte bereits Schule aus, vielleicht wartete sie ja an meinem Auto? Wahrscheinlich eher nicht. Heute hatte ich sie den ganzen Tag nicht finden können, ob sie mir aus dem Weg ging? Ich hatte bestimmt was falsch gemacht und sie wollte es mir nicht sagen. Ja, so wirds sein. Ganz toll gemacht, Emma. Da hast du ein super tolles Mädchen und verhaust es in allen Formen. Super.
Mit dem Blick auf mein Smartphone lief ich über den Lehrerparkplatz zu meinem Wagen. Ohne dabei die junge, blonde Frau zu sehen in die ich, nicht sanft, reinlief.
Mein Handy klatschte auf den Schneematsch am Boden, während die Frau einen Ordner fallen ließ.
"Oh verdammt.", fluchte ich leise. "Tut mir leid, ich hab nicht geachtet wohin ich laufe.", entschuldige ich mich im selben Atemzug.
"Kein Problem."
Die junge Frau hebt ihren Ordner auf und dreht sich zu mir um, ich halte mein Handy in der Hand, das Display war gerissen.
"Hey, bist du nicht Emma? Herr Pausenbeck hat dir doch das Backpulver untergeschoben!", sagt sie auf einmal.
Jetzt sah ich sie endlich an.
"Frau Missall! Oh, ja, tut mir echt leid dass ich sie angerempelt habe, heute ist überhaupt nicht mein Tag. Tut mir Leid.", sage ich erneut.
"Emma geht es dir gut? Du siehst sehr blass aus!", fragt Frau Missall dann besorgt. Meine Entschuldigung hat sie abgewunken.
"Ja, nein. Habe momentan viel Stress glaube ich.", versuche ich mich auszureden.
"Komm wir gehen in mein Büro, ich glaube du brauchst einen Keks.", sagt die blonde Frau und schiebt mich vor sich her zum Lehrereingang. Sie schließt die Tür auf und hält sie mir offen, damit ich eintreten kann. Dann folge ichbihr zu ihrem Büro. Sie schließt auch diese Tür auf und deutet auf den Stuhl, damit ich mich setze, was ich dann auch mache.
Ihr Büro war süß, klein aber fein. Sie hatte keine Deckenbeleichtung, nur Steh- und Schreibtischlampen. Diese waren sehr schön verziert, noch schöner waren nur die Bilder an den Wänden. Die meisten Bilder waren von Hunden, die gekleidet waren wie Menschen, dann gab es das ein oder andere Katzenbild und mittendrin ein Bild von einer Babykatze, die Frau Missall in ihren Händen hielt.
"Bist du eher der Schokokekstyp oder der Leibnizkekstyp?", fragt sie mich und holt mich damit aus meinen Gedanken.
"Äh, Schoko. Tut mir jetzt, glaube ich, gut.", sage ich und lege meine Tasche auf den Boden.
Frau Missall holt die Dose mit den Keksen aus dem Regal neben dem Schreibtisch und stellt sie geöffnet auf den Tisch zwischen uns.
"Willst du mir erzählen was los ist?", fragt sie mich nett.
In mir grübelt es. Sollte ich? Warum nicht? Sie war die Vertrauenslehrerin. Ach egal.
Ich nahm mir einen Keks und beiße ab.
Verdammt, die sind lecker.
"Ach ich weiß einfach nicht mehr weiter.", sage ich mit vollem Mund.
"Was meinst du denn genau? Was bereitet dir Sorgen?"
Frau Missall gab nicht auf. Eher im Gegenteil, sie nahm sich ebenfalls einen Keks und kaute genüsslich.
"Naja, mein Vater ist ein Arschloch, meine Freundin redet nicht mit mir und ich weiß nicht mehr weiter."
Ups, jetzt war es draußen.
"Wieso ist dein Vater denn ein Arschloch?", fragt Frau Missall mit aller Seelenruhe.
"Er behandelt mich und meine Mutter richtig mies.", sage ich nur. Eigentlich wollte ich jetzt doch nicht darüber reden. Naja, zu spät.
"Wie meinst du das, mit richtig mies?", erkundigt sich Frau Missall und lehnt sich entspannt zurück.
"Frau Missall, wir müssen das nicht-"
"Wenn wir hier drin sind, bin ich Jana für dich.", unterbricht die blonde Frau mich und lächelt aufmunternd.
Verwirrt versuche ich weiter zu reden.
"Okay. Also wir müssen jetzt hier nicht über mich oder meinen Vater reden. Der Keks tat gut, wir können also aufhören.", versuche ich sie umzustimmen.
"Emma, bitte. Ich bin studierte und gelernte Psychologin, du kannst mit mir über alles reden. Nichts davon verlässt diesen Raum. Es sind einfach Gedanken, die du mir mitteilst, aber auch nur zwischen diesen vier Wänden. Wenn wir durch die Tür gehen, werde ich nichts mehr davon wissen. Es wird mir erst wieder einfallen, sobald ich wieder hier herein gehe.", sagt sie, diesmal neckisch grinsend.
Seufzend nicke ich und grinse unwillkürlich. Verdammt, es war ansteckend so wie sie grinste.
"Seit mein Vater mich mit meiner Ex-Freundin erwischt hat, und weiß dass ich lesbisch bin, bin ich Abschaum für ihn. Ich darf nichts mehr tun, meine neue Freundin will er erst gar nicht kennen lernen. Dazu ist er ständig auf Geschäftsreise und lässt meine Mutter mit meinem kleinen Bruder alleine zuhause. Das macht mich einfach so wütend.", erzähle ich. Dabei verdrücken ich aus Wut noch einen Schokokeks. Auf den war ein lachender Smiley gemalt. Menno, der Keks war glücklich und ich hab ihn einfach so gegessen.
"Okay. Meinst du, dein Vater hat vielleicht Angst dich zu verlieren? Dass er nichts mehr von dir hat wenn du eine feste Freundin hast? Schonmal daran gedacht?"
"Er ist es doch selbst Schuld, er ist nie da, schmeißt meine Freunde sofort aus dem Haus wenn er das mitkriegt und durch seine Position in der Bank kann er auch das Geld von Konten von Leuten verschwinden lassen. Das hat er bei den Eltern meiner Ex-Freundin gemacht. Das war die unterste Schublade überhaupt.", sage ich und nehme mir einen weiteren Keks. Der hat wenigstens kein lachendes Gesicht.
Frau Missall, nein, Jana scheint zu überlegen.
"Okay, lassen wir das Thema vorerst. Was war da mit deiner Freundin? Sie redet nicht mehr mit dir? In wiefern meinst du das?"
Ich schlucke den Rest des Kekses runter und setze mich aufrecht hin.
"Keine Ahnung, sie hat mir letztens erst anvertraut dass sie Depressiv und Suizudgefährdet ist, ich sage ihr dass ich immer da sein werde, egal wie viel Uhr es ist, und als wir gestern einen Schritt weitergehen wollten, es war ihre Idee, bricht sie zusammen und weint. Ich war halbnackt und sie hat einfach angefangen zu weinen. Ich wusste nichtmal was gerade passiert, aber sie sagt mir nicht was ich falsch mache und heute, heute ist sie mir den ganzen Tag aus dem Weg gegangen und direkt nach Hause gefahren, ohne auf mich zu warten. Ja was mach ich denn falsch?", jetzt war ich in rage.
Jana biss ihren Keks ganz in Ruhe ab und holte einen Zettel und Stift aus der oberen Schublade ihres Schreibtisches. Dann holte sie Ihre Brille heraus. Sie setzte sich die Brille auf und begann sich einige Notizen zu machen.
Mit Brille sah sie verdammt gut aus. Sehr gut sogar. Ihre Augen kamen dadurch noch mehr zur Geltung und ihre kleine Nase wirkte noch süßer.
Warte, was dachte ich da? Ich hatte Leo!
"Also deine Freundin, wie heißt sie?", fragt Jana nachdenklich.
"Leo."
"Also, Leo hat Depressionen und ist Suizidgefährdet, hast du schonmal daran gedacht,dass sie vielleicht auch Angstzustände bekommt? Also dass manche Situationen für sie zu heftig werden und sie dann zusammenbricht? Das haben viele Menschen. Und dafür kann Leo auch nichts. Man könnte nur durch therapeutische Hilfe versuchen, diese Angstzustände zu verringern. Ganz weg gehen sie nur selten."
Ich dachte nach. Es klang irgendwie vollkommen plausibel, aber die Frage, die ich mir jetzt stellte, war Leo in Therapeutischer Behandlung?
Ich hatte keine Ahnung.
"Ich weiß nicht einmal ob Leo eine Therapie macht. Wie kann ich ihr denn helfen? Sie soll doch mit mir reden. Aber sie tut es nicht.", sage ich mit sinkenden Blick.
Jana steht auf und läuft um den Schreibtisch rum um mich in den Arm zu nehmen.
Verwirrt lasse ich es geschehen.
"Weißt du Emma, vielleicht hat Leo Angst davor, was passiert wenn sie sich helfen lässt. Wenn du magst, ruf ich sie morgen mal zu mir und rede mit ihr. Vielleicht lässt sie sich dann helfen."
"Ja, vielleicht tut ihr das gut.", erwidere ich. Jana lässt mich dann auch aus der Umarmung gleiten und setzt sich auf die Tischkante. Ihr Blick ruht auf mir, das merke ich.
"Gut. Ich werde sie morgen einfach mal her rufen und mit ihr reden. Dass sich einige Leute Sorgen machen und sie nicht allein ist. Glaub mir Emma, das wird ihr helfen. Versprochen."
Jetzt lächelt Jana und ich muss automatisch zu ihr aufblicken. Uff, sie sag so schön aus mit der Brille und diesem Lächeln.
"Willst du nach Hause? Oder hast du noch was über das wir reden sollen?", erkundigt sie sich.
"Nein, aber ich werde jetzt öfters kommen und mit ihnen reden, wenn das okay ist.", sage ich.
"Das ist vollkommen okay! Wenn ich dir helfen kann, macht es mich glücklich. Und das ist doch super."
Ich nicke und stehe auf. Jetzt waren wir gleich groß, sie auf der Schreibtischkante sitzend, ich stehend.
Ich fange an mir den Schal umzulegen und die Jacke anzuziehen. Jana steht langsam auf und räumt alles an seinen Platz zurück, ehe auch sie sich fertig macht für die Kälte draußen.
"Noch einen letzten Keks?", fragt sie mich und deutet auf die Schachtel.
"Ja, gerne.", sage ich und nehme mir noch einen dieser Köstlichen kleinen Dinger.
Zusammen gehen wir nach draußen, Jana, oder Frau Missall, wird immer langsamer, bis sie unschlüssig stehen bleibt. Ich schaue mich um und bemerke, dass bis auf mein Auto kein weiteres mehr hier steht.
"Werden Sie abgeholt?", frage ich also und schaue in ihre glitzernden Augen.
"Oh, nein. Ich werde laufen.", sagt sie und deutet auf die vereisten Wege.
"Soll ich Sie fahren? Sie werden noch ausrutschen und sich verletzen.", sage ich erstaunt und deute auf meinen Wagen.
"Ach Quatsch nein. Das wäre doch nur ein Umweg für dich.", sagt sie mit schüttelndem Kopf.
"Nein, Frau Missall, kommen Sie, steigen Sie ein. Ich bring sie eben.", sage ich und gehe in Richtung Auto. Seufzend folgt mir die blonde Frau.
Sie steigt sehr vorsichtig in mein Auto und ist, genau wie Leo damals, von den Anschnallern irritiert.
"Über die Schultern, zwischen die Beine, alle zusammen stecken.", gebe ich die Anweisung. Ich starte den Motor und mache für uns beide die Sitzheitzung an.
"Wohin müssen Sie denn?", erkundige ich mich.
"Äh, Thyssen-Allee 12. Liegt es denn irgendwie in ihrer Nähe oder komplett andere Richtung?"
Sie wirkt aufeinmal so unsicher.
"In der Nähe wohne ich. Keine Sorge, ich bringe sie sicher nach Hause.", sage ich und fahre langsam los. Der Schnee begann zu schmelzen, überall lag der graue Matsch am Straßenrand. Das gefiel mir nicht am Winter, der Schnee war schön, aber sobald es zu schmelzen begann wurde es hässlich.
"Sag mal, Emma, wie kannst du dir ein so teures Auto leisten?", fragt Frau Missall mich. Anscheinend wollte sie diese Stille nicht.
"Ähm, mein Vater ist ein erfolgreicher Aktienberater. Er verdient sehr viel, und als ich ihm mal gesagt habe, dass ich dieses Auto mir wünsche, hat er mir 4 Jahre nichts zum Geburtstag geschenkt, dafür aber zum 18. Diesen Wagen. Das war die letzte nette Geste von ihm.", sage ich und biege auf die Hauptstraße ab.
"Ah, achso.", erwidert sie nur und dann ist es wieder ruhig im Auto.
"Erzählen Sie mal was von sich!", versuche ich die Stimmung etwas aufzulockern.
"Was möchtest du denn wissen?", fragt sie mich und lächelt schief.
"Wieso haben sie sich für den Beruf entschieden, den sie jetzt ausüben?", frage ich interessiert.
"Das ist eine lange Geschichte. Das kann ich dir mal erzählen wenn wir mehr Zeit haben."
Wollte sie etwa mehr Zeit mit mir verbringen? Flirtet sie etwa mit mir?
"Okay, das heißt aber, dass sie mir die Geschichte mal erzählen.", sage ich grinsend drohend.
"Ja, ich verspreche dir, diese Geschichte irgendwann mal zu erzählen.", sagt sie lächelnd.
Ich halte ihr meinen kleinen Finger hin.
"Kleiner-Finger-Schwur?", frage ich und schaue für einen Moment zu ihr, ehe ich wieder auf die Straße blicke.
Ich spüre wie sie ihren warmen Finger um meinen legt.
"Versprochen.", sagt sie ehrlich. Ich muss anfangen zu lachen, Frau Missall ebenfalls.

Ocean EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt