But life ain't what it seems

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Emmas P.O.V.

Zuhause war es echt nicht schön. In fünf Tagen war Weihnachten, meine Mutter spielte all die Streitigkeiten von mir und meinem Vater runter und gab die Super-Mutter. Gustav war der einzige, der mich noch ablenken konnte, wenn mein Vater wieder mal lauter wurde.
So wie jetzt.
Ich saß auf meinem Bett, schaute Netflix und Gustav hatte seine Schnauze auf meine Schulter gelegt. Er hatte meinen Vater eben schreien hören, danach war ich den Tränen nahe einfach ins Bett gegangen.
Es war ein verschneiter Samstag, die Ferien hatten angefangen und Leo war mit Vanessa unterwegs um diese abzulenken von Ben. Ich war mit Gustav bereits am Silbersee gewesen, nun trank ich meinen heißen Kakao, den meine Mutter mir eben gemacht hatte. Sie hatte sogar dick Sahne oben drauf gesprüht, so wie ich es am liebsten mag.
Plötzlich vibriert mein Handy.
Mit müden Blick schaue ich drauf.
Jana, Frau Missall, schrieb mir.

Hey, sag mal hast du Lust mir mit meiner Weihnachtsdeko zu helfen? Wir können auch deine Musik hören.

Instinktiv musste ich grinsen.
Meine Musik.
Eigentlich wollte ich mein Bett für heute nicht mehr verlassen, aber Lust auf Ablenkung habe ich schon. Und Jana war ja auch witzig, sie konnte mich definitiv auf andere Gedanken bringen.
Kurzerhand schrieb ich ihr zurück und erkundigte mich, ob ich Gustav mitnehmen könne.
Schnell trinke ich meinen warmen Kakao aus und raffe mich auf. Ich ziehe mir meine Jeans und einen dicken Pullover an, indessen antwortet Jana mir und meine Stimmung hellt sich auf.
Gustav konnte natürlich mit.
Ich nehme mein Handy in die Hand, schalte den TV aus und gehe dann leise mit Gustav runter.
Mein Vater war anscheinend mit meiner Mutter Essen gefahren. Besser so.
Ich schnappe mir meinen Autoschlüssel, schlüpfe in meine Boots und lege Gustav sein Halsband an.
Dann nichts wie los.

Jana begrüßt erst Gustav, ehe sie mich freundschaftlich umarmt.
"Ist alles okay? Du siehst aus, als hättest du geweint!", sagt sie erstaunt und wischt unter meinen Augen über meine Wangen.
"Ja, alles gut. Keine Sorge. Zeig mal, wo ist dein Schmuckzeugs?", lenke ich ab und schiebe Jana beiseite. Ihr Wohnzimmer roch nach Zimt und Plätzchen, die selbstgebackenen sein müssen. Der Plattenspieler ließ gerade den Song Your Song von Ellie Goulding spielen und in mir kam endlich Weihnachtsstimmung auf.
"Die Kiste die da steht, und eine in der Küche.", sagt Jana und zeigt auf eine riesige blaue Kiste mitten im Wohnzimmer.
"Soviel Platz hast du doch gar nicht in deiner Wohnung?", frage ich sie erschüttert. So viel Deko habe ich noch nicht gesehen.
"Ja, alles kann ich eh nicht aufhängen, wegen den Katzen, aber den Baum können wir schmücken und die Fenster verzieren.", sagt sie und strahlt mich an.
Ich war immernoch ziemlich sprachlos, aber bewältigte dann mein kurzes Trauma.

Die nächsten drei Stunden vergingen im Flug, Jana und ich dekorierten den Baum in Rot-Gold, die Fenster jeweils blau-rot und ihr Eingang wurde nochmal extra stark dekoriert. Wenn man ihre Wohnung betrat, wusste man, dass hier ein Elf leben könnte. Wenn er denn auch wollte.
Zwischendurch klaute Gustav einige Dinge aus der Hölzernen Krippe unter dem Weihnachstbaum oder Jerry, der Kater, versuchte die Fensterdekoration einzufangen.
Jana sah sich glücklich in der Wohnung um, ihr gefiel die Deko so.
"Perfekt. Lust auf etwas zu essen?", fragte sie mich dann strahlend.
"Ja, gern. Sollen wir uns was bestellen oder irgendwo essen gehen?", frage ich sie.
Gustav kam angetapst und stupste Jana an. Er wollte gekrault werden.
"Lass uns was bestellen. Dann sind die drei Tiere auch nicht alleine. Pizza oder doch was anderes?", fragt sie dann.
"Das bestimmst du.", sage ich und lehne mich gegen die Couchlehne. Mein Rücken knackste einmal, eine Katze springt auf meinen leeren Bauch. Schnurrend lässt sie mich ihren Kopf kraulen.
Völlig in Gedanken versunken starre ich vor mir hin, bis Gustav kommt und die Katze von mir wegstößt.
Er war eifersüchtig.
"Ach Gustav.", murmelte ich.
"So, jetzt erzähl mir bitte was los ist.", unterbricht Jana meine Gedanken und setzt sich vor mir im Schneidersitz hin.
Ich schaue sie völlig verträumt an, ehe ich verstehe, dass sie mir eine Frage gestellt hat.
"Hm? Nichts nichts. Alles gut!", versichere ich ihr. Doch sie glaubt es nicht.
"Ne, nicht alles gut, sag mir bitte was los ist. Als du reinkamst hattest du auch Tränen in den Augen, also rede doch jetzt.", bittet Jana. "Ich bin doch für dich da.", fügt sie leise hinzu.
Ich senke meinen Blick. Mir war es unangenehm mit ihr darüber zu reden. Jana sollte kein falsches Bild von mir bekommen.
"Ich bin einfach nicht gerne zuhause momentan.", presse ich mühsam hervor, noch immer unwillig.
"Das weiß ich doch. Hat dein Vater irgendwas getan?", fragt Jana vorsichtig weiter.
"Er existiert.", sage ich schroff.
"Na, Emma. Sag sowas nicht. Es gab doch eine Zeit wo er nicht so war."
"Ja, bevor er herausgefunden hat, dass ich lesbisch bin."
Traurig sah ich Gustav an, er leckte über meine Hand und fiept leise.
"Hast du mal das Gespräch gesucht?"
Ungläubig schaue ich Jana an.
"Nein?! Wieso? Um mir mehr Vorwürfe anhören zu können?"
Jana rückt näher zu mir, legt einen Arm um meine Schultern und legt ihren Kopf an meinen.
"Naja, manchmal hilft so ein klärendes Gespräch. Das hatte ich auch. Einmal klar sagen wo das Problem liegt, und schon ist alles gegessen.", sagt sie ruhig.
Ich zweifelte dies stark an, ich kenne ja meinen Vater.
"Was macht dich da so sicher?", frage ich.
"Weil ich es genauso gemacht habe.", entgegnet sie.
Jetzt war ich verwirrt. In welchen Fällen klappt sowas? Und ist Jana lesbisch?
"Wie meinst du das?", frage ich also.
Jana drückt meine Hand, schaut mich lächelnd an und zuckt ergeben mit den Schultern.
"Meine Mutter konnte es nie akzeptieren dass ich keinen stattlichen Mann mit nach Hause bringen würde. Eines Tages, nach dem sie meine Freundin rausgeschmissen hatte und ich richtig sauer geworden bin, habe ich sie gefragt, wo genau ihr Problem liegt. Da hat sie sich in Tränen aufgelöst und mir alles gesagt. Dass sie Angst hat, dass mich fremde Leute verurteilen, dass ich verletzt werde, dass ich nie Kinder bekomme und sie keine Enkel bekommt, dass ich nicht Heiraten werde und alle den Kram machen kann, den Hetero-Pärchen machen. Naja, wir haben alles ausdiskutiert und seitdem unterstützt sie mich wo sie nur kann."
Ich denke nach. Ob es bei meinem Vater so leicht geht? Ich bezweifle es.
"Ich habe mittlerweile auch einfach nur noch Angst vor ihm, aber ich zeige es ihm nicht. Dadurch sage ich Sachen die ihn noch wütender machen.", gebe ich zu und denke über heute nach.
"Das ist deine Schutzfunktion. Das ist ein einfacher Reflex deines Gehirns, dass alles tut um dich zu schützen. Wo ist dein Vater denn jetzt?", fragt Jana mich. Sie versucht mir zu helfen, so gut wie sie es eben kann.
"Ich weiß es nicht, ich glaube, er ist mit meiner Mutter essen."
Jana überlegt.
"Überleg dir mal, ob du nicht doch ein Gespräch suchen willst. Ich kann auch in der Schule vermitteln, dann rastet er eventuell nicht so stark aus.", bietet sie an.
"Hmm, ich überlege es mir."
Eigentlich hieß es nur 'Nein!'.

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