Feed my Flame (part I)

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Der 1. März war ein Denkwürdiger Tag.

Am Morgen wirkte alles noch normal.
Vanessa war als erste wach und besetzte das Bad. Ich stand um kurz vor sieben auf und machte mich für die Schule fertig.
Meine Mutter saß in der Küche und trank ihren Kaffee. Sie wurde von ihrem Richard, oder wie Vanessa ihn nannte, Richi-Rich, abgeholt.

Zu aller erst kam der Bus ganze 17 Minuten zu spät. Dadurch konnten Vanessa und ich die Aufzüge nicht mehr nutzen, was daraus schloss, dass wir zu spät zu Deutsch kamen. Die Doppelstunde ging zügig um, unsere Lehrerin fand es auch nicht als sonderlich schlimm an, dass wir so spät gewesen sind.
Die erste Pause begann mit einem Feueralarm. Die ganze Schule wurde evakuiert. Allerdings gab es kein Feuer. Jemand hatte den Alarm ausgelöst, ohne triftigen Grund.
Als alles durchsucht worden war, durften wir alle zurück in den Unterricht. Die ganzen Schülermassen schoben sich die Treppen hoch. Die Aufzüge waren gesperrt, aufgrund des Alarms.
Die Dichte der Masse in der ich mich befand, ließ mich panisch werden. Gott sei Dank konnte mich Vanessa auf meiner Etage raus ziehen, sonst hätte ich geheult.

Während des Religionsunterrichts blieb ich still, allerdings ging es heute um Liebe. Und als da das Thema der verschiedenen Sexualitäten angesprochen wurde, und einige der Klassenkameraden sich homophob äußerten, wurde ich sauer. Vorallem als der Lehrer nichts dagegen sagte. Als dann noch Ben, der Vanessa so verletzt hatte, sich meldete und sagte:
"So gesehen sollten Frauen sich wieder der Hausfrauen Arbeit zuwenden und den Männern das Geld verdienen überlassen. Dazu sollte Homosexualität verboten und bestraft werden. Die Todesstrafe sollte auch direkt wieder eingeführt werden, bevor sich sowas vermehrt."
Ich sprang auf und warf beinahe den Tisch um.
"Die Todesstrafe sollte nur für einen Zweck wieder eingeführt werden! Nämlich um solche Idioten wie dich zu vernichten!"
Vanessa zog mich runter, doch ich entriss ihr den Arm.
Ben stand ebenfalls auf.
"Sollen wir mal eine Umfrage an der Schule machen, wer was davon hält? Dann sehen wir mal, wie viele Menschen gegen dich sind.", schlägt er vor.
Der Lehrer versucht zu schlichten, allerdings interessierte es keinen.
"Dafür brauche ich keine Umfrage, es hassen dich eh alle!", rufe ich erbost.
"Bevor mich alle hassen, würden sie dich eher erschlagen!", ruft er zurück.
Mittlerweile ist die ganze Klasse aufgestanden und diskutierte laut.
Der Lehrer hatte eingesehen, keine Kontrolle mehr zu haben und flüchtete ins Lehrerzimmer, um Verstärkung zu holen.
In der Zeit kam Ben zu mir rüber und diskutierte aus nächster Nähe weiter.
"Leo, du bildest dir deine Homosexualität auch nur ein, da bist du nicht die erste und nicht die einzige. Glaub mir doch."
"Ben, du bildest dir deine Dummheit leider nicht ein. Die ist leider da.", keife ich zurück.
Kaum waren zwei weitere Lehrer da, wurde es ruhig um uns alle. Ben ging zurück auf seinen Platz und sagte was zu seinen Kumpels.

Den restlichen Schultag blieb ich geladen. Als ich dann noch bei Schulschluss in Frau Missall lief, war der Tag eh gelaufen.
"Hey Leo! Wie geht's dir? Emma erzählt gar nichts mehr über dich. Sag mal!", fragt sie freundlich.
"Alles gut, und bei Ihnen?"
Es stimmte nicht. Die Reli-Stunde geisterte noch in meinem Kopf herum.
"Ja bei mir ist auch alles gut. Danke der Nachfrage. Du weißt aber wo du mich findest, wenn mal was ist.", sagt sie und deutet auf der Vertrauenslehrer-Raum.
Ich nicke. Als sie meinen genervten Blick sah, bat sie mich direkt mal rein.
"Dein Blick tötet gerade alles was atmet und in deinen Blickwinkel fällt, also was ist los?", fragt Frau Missall.
Ich lasse mich auf den Sessel in ihrem Büro fallen, der einzige bequeme Stuhl der ganzen Schule.
"Ach der Ben nervt mich einfach mit seinen dummen Kommentaren und Aussagen. Dazu noch zuhause ein paar private Sachen.", antworte ich und seufze.
Frau Missall packt ihre Kekspackung aus und bietet mir welche an. Fast schon widerwillig greife ich in die Packung und hole mir einen Keks heraus.
"Was hat der liebe Ben heute getan? Der hat mit jedem Stress...", den letzten Satz flüsterte sie, während sie auf einem Zettel etwas notierte.
"Er hat mir wieder homophobe Äußerungen entgegengeworfen."
Frau Missall stöhnte auf und verdrehte die Augen.
"Den stecke ich in den Frauenknast! Was ist denn bei dem zuhause schief gelaufen."
Sie sieht mich an und grinst.
"Das habe ich nie gesagt, korrekt?", fragt sie mich dann.
Ich nicke grinsend. Vielleicht war Frau Missall doch ganz okay. Aber dass sie mit meiner Freundin private Zeit verbrachte, stört mich trotzdem.
"Ich hole euch morgen beide einmal zu mir, das muss ein für alle Mal geklärt werden. Und wenn er es nicht versteht, dann fliegt er. Ich habe keine tausend Augen zum zudrücken.", sagt sie dann. Ich grinse und nicke.

Schließlich verabschiede ich mich und gehe zur Haltestelle. Vanessa war früher gegangen, sie hatte ein Date. Wie ich mir wünschte, dass Emma und ich mal wieder ausgingen. Aber sie war momentan nicht sie selbst, und ihr dabei zuzusehen tat wirklich weh.
Seufzend steige ich in den Bus ein und suche mir einen Sitzplatz. Ben war ebenfalls im Bus. Er saß mir gegenüber und grinste mich dreckig an. Ich ignorierte ihn und konzentrierte mich auf meine Musik. Nach einigen Minuten setzte er sich näher zu mir.
"Ey Leo!", sagt er und deutet mir an, die Kopfhörer aus den Ohren zu holen. Ich nehme einen Stecker aus dem Ohr und schaute ihn genervt an.
"Was?!", fahre ich ihn an.
"Yo, chill mal. Ich will dir ein Angebot unterbreiten. Damit du befreit wirst, von deiner Krankheit.", sagt er und grinst.
Da ich schon weiß, was jetzt kommt, verdrehe ich meine Augen.
"Eine Nacht mit mir, umsonst, und du bist endlich hetero, so wie es sein sollte. Du brauchst dich auch nicht zu bedanken."
Ben schaut mich erwartungsvoll an.
In meinem Kopf stellte ich mir nur eine Frage; wie dumm er wirklich war.
"Hör mal, wenn ich Vanessa hatte, wird sie auch wieder richtig denken. Bis dahin drehe ich dich und Emma gerne gerade. Und das alles umsonst.", fährt er fort.
Ist er ein Vollidiot, warte, was meinte er mit Vanessa?
"Ben, bevor ich mit dir ins Bett steige, springe ich lieber vor einen Zug.", sage ich ernst und stecke mein Köpfhörer wieder ins Ohr.
Ben sagt noch was, ich höre es aber nicht, bevor er mir mit seiner Hand an meine Brust und zwischen die Beine greift. Dann zeigt er mir den Mittelfinger und steigt aus dem Bus aus.
Ich bleibe komplett verwirrt und verängstigt sitzen. Er hat mich einfach angefasst. Ich verschränke meine Arme vor der Brust und überschlage meine Beine.
Als mein Handy vibriert, erschrecke ich mich regelrecht.
Die Psychotherapeutin ruft mich an.
Ich atme tief aus, ehe ich den Anruf annehme.

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