Die neue Wohnung war wirklich, wow. Groß, Hell, und besaß sogar einen Balkon. Sie war im Erdgeschoß und hatte hohe Decken, wie es bei einem Altbau eben war. Die Wohnung war frisch renoviert, dennoch hatte es den Altbau-Charme. Vanessas und mein Zimmer waren beide zur Straße raus, Mamas Schlafzimmer und das Wohnzimmer waren zur anderen Seite raus. Küche und Bad waren an der Seite. Der Balkon war vom Wohnzimmer zu betreten, sowie von meinem Zimmer. Der Flur war geräumig und war hell. Vanessa hatte bereits den perfekten Platz für einen Spiegel markiert, damit sie; Zitat: "die besten Instagram-Bilder in diesem ultra geilen Flur", schießen kann.
Als wir vor einiger Zeit die Möbel bestellt hatten, war Vanessa aufgeregt gewesen, sie hatte Angst zu teure Sachen auszusuchen, aber nachdem ich und meine Mutter ihr den Kopf gewaschen hatten, ging es einigermaßen. Allerdings schwörte sie seitdem, sie würde mindestens dreimal die Woche für uns kochen, und das den Rest ihres Lebens.
Emma half jede freie Sekunde, die sie nicht in der Schule oder mit Schlaf nutzte. Bei ihr zuhause brannte jeden Tag die Luft. Ihr Vater war, seitdem er von der anstehenden Scheidung wusste, drauf und dran seine Noch-Ehefrau umzustimmen und Emma all die Schuld zuzuschieben. Und es schien sogar zu klappen. Schließlich hatte Emmas Mutter Angst, nicht genügend Geld zu haben um Hendrix aufzuziehen.
Meine Mutter hatte, im Gegensatz zu Emmas Eltern, anscheinend eine neue Liebe gefunden. Herr Kunz, mit Vornamen Richard, schickte des öfteren Blumen oder Karten mit Einladungen zu uns. Sie war bereits auf zwei Dates gewesen, teure Restaurants und Bars. Mal sehen, wo es das nächste Mal hingeht."Leo, wo soll dein Bett stehen?", fragt Mama mich, während sie die Möbelpacker in die richtigen Zimmer lotst.
"Das liegt alles in Vanessas Hand. Sie ist meine Innenaustatterin. Bei Fragen bitte direkt an sie wenden.", gebe ich monoton zurück. Ich habe mit dem Aufbau von dem Wohnzimmertisch begonnen, Emma packte die neue Couch aus.
Vanessa eilte aus dem Bad in mein Zimmer und erklärte den Möbelpackern, wo denn welches Möbelstück stehen sollte. Sie war richtig aufgeblüht. Seit sie keine Gedanken mehr an ihre Eltern verschwenden musste, ging es ihr prima.
Meine Mutter räumte das Bad ein. Jeder hatte seinen Schrank und Mama ordnete es richtig zu. Jeder hatte seine Aufgabe und alles lief rund.Um halb sieben am Abend klingelte es. Nichtsahnend öffnete ich die Tür und ein edel gekleideter Mann sah mich an.
"Hallo, ich bin der Richard und wollte deine Mutter abholen."
Als die Stimme in den Flur drang, polterte es in zwei Räumen und Emma und Vanessa stürmten regelrecht in den Flur. Sie lugten beide über meine Schultern und musterten den Mann in der Türe.
"Mädchen, jetzt seid mal nicht so neugierig!", schimpfte meine Mutter dann lächelnd. Sie trat zu uns und entlockte Richard ein: "Wow!".
"Ich bin jetzt weg, ich komme später wieder, macht euch einen schönen Abend, ja?", sagt sie dann.
Wir nicken synchron.
"Wem gehört denn der schwarze Porsche da unten?", fragt Richard, ehe Mama sich bei ihm einhakt.
"Mir. Wieso? Steht er falsch?", fragt Emma.
"Nein, nur ist es ein sehr schöner Wagen. Hab ich zuhause auch."
Dann geht er mit Mama den Hausflur durch nach draußen.
Als ich die Wohnungstüre schließe, eilen wir alle in Vanessas Zimmer zum Fenster und starren raus. Da geht der reiche Richard mit Mama zu einem dunklen Auto.
"Ist das eine Protzkarre!", sagt Emma.
"Äh, welches Auto fährst du nochmal?", fragt Vanessa grinsend.
"Jedenfalls kein vierhunderttausend Euro Wagen. Mein Auto dagegen ist ja eine Billig-Karre.", sagt sie.
"Was ist das denn für einer?", erkundige ich mich. Ich erkannte die Marke nicht, nur die Farbe. Dunkelblau.
"Müsste ein Maserati sein, glaube ich. Ist aber schwer zu erkennen.", meint Emma fachkundig.
"Wie ist euer erster Eindruck?", frage ich dann, nach kurzer Stille.
"Weiß nicht recht. Irgendwie ist er in Ordnung, er behandelt deine Mutter gut, hat sie befördert und nach oben geholt, wie in einem Film. Aber andererseits ist er so ein Schnösel. Seine Stimme und seine Art, wie er gerade meinte, dass er zuhause noch mehr Autos hat. So, angeberisch.", sagt Vanessa.
Ich nicke. Das gleiche dachte ich auch.
"So, ich baue jetzt den Flurschrank weiter auf, was macht ihr?", erkundige ich mich dann, als der Protz mit Mama weggefahren ist.
"Ich bin noch am Bett deiner Mutter dran.", sagt Emma und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
"Tja, ich dekoriere euer Zimmer.", sagt Vanessa.
Emma und ich gucken uns an.
"Also eigentlich, ist es mein Zimmer.", sage ich vorsichtig. Emma grinst und nickt.
"Ja, genau. Emma ist doch so oft hier. Das ist euer Zimmer.", sagt Vanessa bestimmend und macht sich auf den Weg in mein Zimmer.
Dann arbeiten wir alle weiter, bis kurz vor Mitternacht.
Da wird meine Mutter von Richard nach Hause gebracht. Wie die drei von der Tankstelle stehen wir im Flur und empfangen meine Mutter.
"Da sind ja meine kleinen Heinzelmännchen. Na? Hat alles geklappt?", fragt Mama uns. Richard verabschiedet sich kurz und verlässt die Wohnung.
"Ja, dein Bett steht, der Nachttisch auch. Nur dein Schrank, den machen wir morgen. Wir wollten noch etwas Rumfahren, mit Emma. Ist das okay?", frage ich sie.
"Ja natürlich. Danke für eure Hilfe. Kommt mal alle her!"
Mama umarmt uns alle, drückt mir und Vanessa Küsschen auf die Wange und lässt uns dann gehen.
Wir gehen raus, zu Emmas Auto und setzen uns rein. Emma fährt los und sieht mich fragend an.
"Wer macht Musik?", fragt sie. Ich deute auf Vanessa, die im Rücksitz am Handy tippt.
"Ich. Uno Momento bitte.", sagt diese sofort.Es war mittlerweile schon Anfang Februar, die Nächte waren nicht mehr so kalt wie im Januar, dennoch kühl.
Emma fuhr über Land, wir veranstalteten unser eigenes Carpool-Karaoke, und es war einfach nur perfekt.
Emma genoss Die Zeit mit uns, das merke ich ihr an.
"Hey, Emma? Bist du den Wagen schonmal Vollgas gefahren?", fragt Vanessa. Sie hatte die Musik eben leiser geschaltet, und lugte nun zwischen Fahrer- und Beifahrersitz hindurch.
"Ähm, Vollgas ja, Endgeschwindigkeit habe ich aber noch nicht erreicht. Wieso fragst du?", antwortet Emma.
"Kannst du mal Höchstgeschwindigkeit fahren? Die Autobahn gleich hat unbegrenztes Tempolimit."
Vanessa schaut zu Emma hoch. Diese überlegt.
"Ja, warum nicht."
Emma lenkt den Sportwagen auf die Autobahn. Diese war vollkommen leer um diese Uhrzeit.
Emma beschleunigt von 80 Km/h auf 100 Km/h, dann atmet sie tief durch. Dann schaltet sie einen Gang runter und gibt Gas. Der Wagen dröhnt, der Motor arbeitet und die Tachonadel geht Ruck Zuck von 100 Km/h auf über 200. Die Landschaft fliegt vorbei, Autos auf der rechten Spur bleiben zurück. Die Wolken setzen den Mond frei, er leuchtet uns den Weg. Emma schaltet in den sechsten Gang, ich linse auf das Tacho, 310 Km/h. Ich schlucke. Ich fühlte mich nicht unsicher, nur war das verdammt schnell.
"Mehr kommt nicht mehr.", sagt Emma nach einigen Sekunden auf 312.
"Krass.", sagt Vanessa.
Emma geht vom Gas, der Motor wird leiser und die Geschwindigkeit wird langsamer. Ich atme aus, ich hatte die Luft angehalten ohne es zu merken.
"Alles gut?", fragt Emma mich. Sie sah mich besorgt an.
"Ja, alles gut.", antworte ich.Den Rest der Fahrt wurde ich ruhiger. Emma und Vanessa sangen immer noch zu alten Songs und feierten die Freiheit, die wir mit dem Fahrtwind spürten.
Um kurz vor vier in der Früh parkte Emma den Wagen wieder vor unserem neuen Zuhause.
Wortlos stiegen wir aus und gingen in die Wohnung, Vanessa in ihr Zimmer, Emma und ich in meins.
"Leo, alles gut bei dir?", fragt sie mich dann leise, während sie sich zudeckt.
Ich nicke und schlüpfe aus den Schuhe und der Jeans. Schnell noch die Boxershort an und ab ins Bett zu Emma, die mich wärmte.
"Während der Fahrt auf der Autobahn sahst du ängstlich aus. Wirklich alles gut?", hakt Emma nach.
"Ja, ich bin nur noch nie so schnell gewesen.", sage ich und drehe mich auf die Seite.
Emma nimmt mich in den Arm und streichelt mit der anderen meinen Bauch. Das tat gut.Die Tage vergingen zügig. Für mich hatte sich, bis auf die Wohnung, nichts geändert. Emma allerdings ging es immer schlechter. Mit mir wollte sie aber nicht reden. Sie zog sich immer weiter zurück, redete fast gar nicht mehr und wenn sie bei mir war, schlief sie fast nur noch. Gustav hingegen ließ sie öfter mal ein paar Tage bei mir, weil sie Angst hatte, ihr Vater würde ihn sonst ins Tierheim bringen.
Ich verstand ihre Sorgen, dennoch wollte ich doch nur, dass es ihr besser geht. Ob es sich ändern wird?
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Ocean Eyes
RomanceLeo ist eigentlich ganz zufrieden mit ihrem Leben, bis sie eines Tages wegen eines dummen Zufalls auf Emma trifft. Wenn da nicht noch Leos beste Freundin Vanessa wäre, die gerade jetzt viel Hilfe und Unterstützung braucht. ________________________...