Schwarzes Loch

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Rennen, wegrennen. Schnell und schneller bis du nicht mehr kannst. Du willst einen Ausweg finden, rennst geradeaus auf die Tür zu. Drehst dich um, sie sind immer noch hinter dir. Sie strecken die Hände nach dir aus. Sie wollen dich kriegen und das werden sie auch. Ihre Schreie, sie werden lauter und schmerzen in deinem Kopf. Du drehst dich wieder nach vorne um und merkst zu spät, dass die Tür bereits einen halben Meter vor dir ist. Du willst die Hände nach vorne halten aber du rennst mit voller Geschwindigkeit hinein. Dein Körper wird gegen die Tür gedrückt, dein Kopf scheint in tausende Teile zu zerspringen. Während du dem Boden immer näher kommst, fühlt es sich so an, als ob der Momemt in Teitlupen Tempo ablaufen würde. Du siehst über dir den strahlend blauen Himmel, rechts und links von dir ziehen sich Mauern von einer Seite des Horizontes zum anderen.

Deine Haare fliegen dir ins Gesicht und verbergen deinen schmerzverzogenen Ausdruck darauf. Du landest kaum spürbar auf den Boden. Du geniesst diese Ruhe, die im Augenblick um dich herum ist. Erneut kracht dein Kopf gegen etwas hartes. Aber es schmerzt nicht, nicht normal. Es ist ein angenehmer Schmerz. Du geniesst die Ruhe auf die du schon so lange gewartet hast. Du wünschst dir nichts mehr, als genau diese Ruhe für immer zu haben. Du würdest alles dafür geben. Und das erste Mal seit Monaten lächelst du wieder. Ein lächeln das von Herzen kommt. Ein kleines, feines herzliches Lachen.

Doch was ist das? Sie kommen wieder. Nein...nein!

Du schlägst die Augen auf und starrst in ihre Gesichter, hörst sie Lachen, Schreien, mit dir reden. Du schreist so laut du kannst, in der Hoffnung sie würden gehen oder das du sie nicht mehr hören würdest. Aber sie bleiben bei dir und werden auch nicht leiser. Sie werden mit jedem deiner Schreie lauter und lauter. Mit den Händen umklammerst du deinen Kopf und drückst dir die Ohren zu. Es soll aufhören. Du wünschst dir die Ruhe von vorhin zurück. Doch du weisst das es sehr lange gehen wird bis das wieder so ist. Und dein Lachen verschwindet wieder. Für eine sehr, sehr lange Zeit.

Hunderte von Händen reissen an dir herum, sie drängen dich in Situationen mit denen du klar kommen musst obwohl du es nicht kannst. Sie zwingen dich Entscheidungen zu treffen die du nicht willst. Nicht kannst.

Alle wollen etwas von dir. Dein Wille zu überleben wird sich auflösen. Langsam. Und vielleicht über ekne lange Zeit. Aber er wird es tun. Keiner kann diesen Kampf gewinnen. Nicht die vor dir, nicht du und auch nicht die nach dir. Niemand.

Manche entscheiden sich schon früher zu gehen. Ihrem Elend ein Ende zu setzen, frei zu sein, glücklich und ohne Erinnerung. Denn nur wenn du Tod bist, ist man wirklich frei.

An die Stimmen die dich dazu trieben.

Erinnerungen die uns zerstören, jeder hat sie, der einzige Unterschied ist, dass alle verschieden sind. Einige nehmen sie kaum wahr, andere kämpfen täglich darum ein bisschen Schlaf zu finden oder sich konzentrieren zu können.

Sie zerfressen uns langsam von innen nach aussen. Sie nehmen dich komplett in ihrem Besitz. Und am Ende sind wir Sklaven unserer eigenen Gedanken. Gefangen in dem eigenen Verstand. Eingeschlossen hinter Mauern aus Gedanken und Erinnerungen. Von innen gequält. Wie eine Krankheit breitet sie sich aus, langsam, unaufhaltsam und absolut tödlich. Sie gestalten deine Gedanken nach ihrem Geschmack, dein Verstand wird infiziert und ändert sich langsam. Anfangs kaum merkbar, unsichtbar. Dann wird es immer schlimmer.

Du beginnst darüber nachzudenken was du alles besser machen könntest und kommst zu dem Entschluss, dass du alles besser machen könntest. Dich gesünder Ernähren, mehr Sport treiben, sich in der Schule mehr Mühe geben, bessere Noten schreiben, weniger Dummheiten mit deinen Freunden machen und die Zeit sinnvoller nutzen. Ein Hobby suchen das dich kreativ oder sportlich mehr fördert. Du beginnst zu Zeichnen, zu Joggen oder trittst einer Joga Gruppe bei. Klingt eigentlich ganz okay oder?

Aber du kennst die Wahrheit, dass all deine Pläne funktionieren werden, aber nicht so wie du gedacht hättest. Nicht in diese Richtung in die wie du dir das vorgestellt hast. Du willst dich gesünder Ernähren aber der wirkliche Grund ist, weil du mit deinem Gewicht nicht zufrieden bist. Du isst fast nichts oder nichts mehr. Du hungerst. Daraus folgt möglicherweise eine Essstörung. Du machst sehr viel Sport um zusätzlich abzunehmen und natürlich um in Form zu bleiben. Du rennst so lange bis du zusammenbrichst, kaum mehr gerade gehen kannst weil dir durch das hungern jegliche Energie entzogen wird. Weil du so damit beschäftigt sein wirst in der Schule besser zu werden, weil du einen überdurchschnittlich hohen Anspruch an dich selbst hast, wirst du immer weniger Zeit mit deinen Freunden verbringen.

Irgendwann werden sie dich gar nicht mehr Fragen ob du auch ins Kino mitgehen willst weil sie bereits wissen das du Absagen wirst. Ohne es dir bewusst zu sein ziehst du dich immer mehr von ihnen zurück. Du wirst einsam und traurig. Keine Freunde, der hohe Druck an dich selbst.

Du sinkst immer tiefer ohne Hoffnung je wieder die Sonne zu sehen. Du beginnst zu Zeichnen, du wirst ein Künstler. Doch deine Kunst verbreitet keine Freude. Dein Pinsel ist spitz, die Farbe dein Blut und die Leinwand deine Haut. Dein einsames Leben wird dir bewusster, mit jedem Schnitt. Was du verloren hast. Was du alles aufgegeben hast. Was schlussendlich nichts gebracht hat, es macht dich traurig. Aus der Trauer wird Wut. Wut auf dich selbst weil du es zerstört hast. Selbsthass ist die Folge.

Du bekommst deine ersten leichten Depressionen, natürlich bist du der Annahme das sie bald vorbei sein werden. Doch du irrst dich gewaltig. Du sinkst ständig tiefer hinein bis du nicht mehr heraus kommst und sie dich komplett in ihren Besitz nimmt. Aus Angst man würde dich nicht verstehen sagst du niemandem ein Wort. Du willst ja nicht das jemand denkt du könntest damit nicht umgehen. Verzweifelt suchst du nach einer Lösung, eine Möglichkeit mit all dem Schmerz umzugehen. Mit den Gefühlen mit denen du nicht umgehen, verarbeiten oder ausdrücken kannst.

Nach nicht allzu langem Nachdenken entscheidest du dich dafür das alles mit Schmerz zu bekämpfen. Körperlichem Schmerz. Wieder beginnst du deine Haut zu gestalten, zuerst nur ein bisschen, dann immer mehr, häufiger und tiefer. Darin findest du einen Frieden. Deine Ruhe, deine Entspannung, deine Ablenkung. Doch sie sind nicht weg, sie sind noch da. Sie verstecken sich nur in deinem Kopf, irgendwo ganz weit hinten. Und irgendwann schlagen sie zu, und dann, genau dann brichst du zusammen. Du gibst dich vollkommen und endgültig auf, ohne irgend eine Art von Wiederstand. Du willst nur noch sterben, alles loslassen und hinter dir lassen. Aber das tust du nicht.

Ohne GnadeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt