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Ich ducke mich also ins Gebüsch und warte bis meine beiden Brüder das Tier in meine Richtung getrieben haben. Es knackt laut als der Hirsch in Panik vor Tarek und Timur flieht. Die beiden sind ihm dicht auf den Fersen. Ich springe ihn aus meinem Versteck aus an und verbeisse mich in seinem Hals. Es ist immer wieder ein seltsames, mir eigentlich unangenehmes aber doch seltsam befriedigendes Gefühl jemandem an der Kehle zu hängen und ihm das Leben gewaltsam zu beenden. Der Hirsch ist nicht gerade klein und er kämpft um sein Leben. Obwohl ich an seiner Kehle hänge ist er noch ein ganzes Stück gerannt und hat mich einfach mitgeschliffen. Ich musste mich sehr auf meinen Kiefer konzentrieren dass ich nicht einfach los lasse. Zum Glück habe ich optimal getroffen und habe seinen Kehlkopf komplett im Maul. Er dürfte bald ersticken. Tarek und Timur beißen ihm in die Beine um ihn zu Fall zu bringen. Das ist für mich gut, denn ich musste ganz schön auf meine Hinterläufe achten dass sie nicht versehendlich unter die Hufe des Hirsches geraten. Das hätte bestimmt sehr weh getan. Mir ist das einmal passiert und da hab ich ein paar Wochen Gips tragen müssen. Papa hat mir dann erklärt wie ich mich am besten zusammenrolle so dass meine Beine nicht unter das Opfer gelangen können. Die Haltung sieht zwar scheisse aus, wie ein Welpe im Maul seiner Mama aber es ist effektiv. Darum muss ich die auch machen. Tarek oder Timur wollen nicht so eingerollt an einem Tier hängen, egal ob Mama oder Hirsch. Die töten lieber im zweiten Biss. sie reißen dem Tier die Halsschlagadern auf und so entweicht das Leben innerhalb von Sekunden aus dem Tier. Als wir den Hirsch getötet haben und uns gerade fragen wie wir ihn zu den anderen tragen sollen taucht Herr Jägersküpper auf. Er grinst und lacht ein wenig über unsere seltsame Jagdmethode. "Euren Omega an die Kehle des Opfers zu hängen ist gar nicht mal so dumm, vor allem da der Kleine anscheinend wirklich ein sehr kräftigen Biss hat." Ich werde rot und weiss gar nicht mit dem Lob des Lehrers umzugehen. Fand er mich jetzt gut oder nicht? Da er noch nie etwas an mir gut fand denke ich mal dass er mich lächerlich fand. Doch der lächelt mir zu und sagt: "Meinen Respekt hast du. Ich hätte nie im Leben gedacht dass du ein vollwertiges Mitglid der Jagdgesellschaft sein könntest. Aber du hast mich eines besseren belehrt." Nun werde ich noch roter und schäme mich zu Tode. Hilflos wie ein Baby an der Kehle des Opfers zu baumeln ist nun wirklich keine heroische Tat. Timur nimmt mich in seinen Arm um mich wieder aufzubauen weil Tarek mit dem Lehrer unsere Strategie bespricht. "Jeder von uns ist mal derjenige der dem Opfer an die Kehle springt aber Thore kann das von uns am besten. Er beisst so zielsicher zu und wenn er sich mal verbissen hat dann lässt er auch nicht mehr los. Ich bin mal unter ein Wildschwein geraten weil ich abgerutscht bin." Tarek verzieht an die Erinnerung daran schmerzhaft sein gesicht. Er sah fürchterlich aus als wir ihn anschliessend aus dem Schlamm gezogen haben. Zum Glück kann Papa gut heilen und auch verschobene und zu Mus verarbeitete Knochen wieder gerade rücken. Tarek hätte sein linkes Bein sonst vergessen können. "Das lang aber nur daran, dass dir ausgerechnet in dem Augenblick deine Milchzähne ausgefallen sind!" verteidigt Timur Tarek. Das war eine Verkettung ganz unglücklicher Umstände. Denn während wir dachten wir wären schon grosse Wölfe und könnten richtig grosse Beute machen hat Mutter Natur uns die Zähne gezogen. Also dem Tarek seine Fangzähne. Drei Stück hat er da auf einmal verloren und darum konnte er nicht zupacken als er in das Schwein gebissen hat. Das Tier hat ihn abgeschüttelt und ist zum Angriff über gegangen. Zum Glück waren wir zu dritt und haben uns auf das Tier gestürzt. Timur hat dann ebenfalls zwei Fangzähne verloren weil er in das Schwein gebissen hat. Ich hab noch während Timur von ihr abgeschüttelt wurde meinen Kopf gesenkt und bin mit voller Wucht ihr in die Seite gerannt. Ich hab ihr meinen Kopf in die Weichteile gerammt und sie ist umgefallen. Natürlich hab ich dann zugebissen aber das Schwein ist einfach aufgestanden und weggerannt. Mit allen meinen Milchfangzähnen. Scheisse tat das weh! Mit blutenden Mäulern und einem arg verletzten Tarek sind wir dann weinend und jammernd zu Papa gehumpelt. Der war zum Glück in der Krankenstube. Er hat Timur und mir etwas Eis zum Lutschen gegeben und Tarek verarztet. Mama hat uns dann in der Krankenstube abgeholt und wir durften auf ihrem Schoss warten bis Papa mit Tarek fertig ist. Sie hat uns getröstet und gemeint: "Endlich kann man euch auseinander halten. Zumindest wenn ihr grinst." Wir fanden das gar nicht so witzig und darum haben wir abends noch Timurs und Tareks verbliebene Zähne gezogen den sie noch nicht verloren hatten. Unser Lehrer lacht ein bisschen über unsere doch witzig anzuhörende Geschichte und dann schleppen wir zu viert den Hirsch zu den anderen. Tarek und der Lehrer vorne, Timur und ich hinten. Ich merke wieder wie Tarek und Timur sich im Betafunk unterhalten. Die beiden schauen sich immer mal an und dann grinsen sie. Ich senke meinen Blick und werde ganz traurig. Ich hasse es dass die beiden so eng miteinander verbunden sind und ich aussen vor bin. Ich komme mir dann vor wie ein Aussenseiter der nicht zwischen die beiden anderen kommt. Verzweifelt halte ich meine Tränen zurück und schaue meine beiden Brüder nicht mehr an. Es tut so weh sie so ausgelassen miteinander plaudern zu sehen und nicht mitmachen zu können. Als wir endlich im Lager sind lasse ich den Hirsch los und dann gehe ich ganz schnell mich anziehen. Tarek ist schneller bei mir als mir lieb ist. "Hey, Liebling!" flüstert er in mein Ohr während er mich liebevoll an sich drückt. Ich weine ein bisschen aber will ihm natürlich nicht meinen Kummer erzählen. Es ist peinlich so eifersüchtig auf einen Beta zu sein. Jeder Alpha hat so ein inniges Verhältnis zu seinem Beta. Mamas Beta darf sogar bei ihr im Ehebett pennen. Also meistens, na, gut, manchmal. Rene und Philippe könnte man  mit einem Liebespaar verwechseln so eng hängen die miteinander rum. Die küssen sich sogar. Und nun reagiere ich so extrem kindisch. Ich wünschte Tarek würde mich in Ruhe lassen damit ich meinem Herz befehlen könnte aufzuhören so einen Blödsinn zu fühlen. Ich merke wie verzweifelt Tarek da hinter mir schon wird. Timur rettet mich indem er Tarek sagt: "Lass ihn. Er ist verletzt." Tarek lässt mich zwar nicht los fragt aber verwundert: "Wo denn?" "Sein Herz ist verwundet. Er ist eifersüchtig dass wir so eine enge Alpha Beta Bindung haben und er aussen vor ist." Nun schäme ich mich vollends. Wieso weiss Timur das? Ich flenne nun doch und Timur nimmt mich auch noch in den Arm und streichelt mir tröstend den Kopf. "Schschsch... ist doch nicht Schlimm, Thori." brummt Timur leise. Dann legt er seine Stirn gegen meine und ich schaue ihn aus meinen verheulten Augen an. "Woher weisst du das?" frage ich ihn. "Weil ich mich die meiste Zeit über genau so fühle. Was glaubst du wie das für mich ist, dass du die Luna von Tarek bist?" sagt er und ich muss hart schlucken. Timur rinnt nun ebenfalls eine Träne aus den Augen und ich verstehe seinen Kummer. Als Kinder waren wir immer zu dritt, haben alles gemeinsam gemacht und wir haben keine Unterschiede an uns feststellen können. Doch mit dem Eintritt in die höhere Schule bin ich unzweifelhaft zum Omega geworden. Tarek und Timur haben den Betafunk für sich entdeckt und ich blieb immer mehr auf der Strecke. Es ist ein seltsames Gefühl wenn aus einem Dreirad plötzlich ein Fahrrad wird. Vor allem wenn man das übriggebliebene Rad ist. Doch was Timur da erzählt klingt genau so schlimm. Er liebt Tarek ja als Bruder und bester Freund, ja Beta und nun ist der andere Bruder plötzlich der Liebhaber. Das muss genau so schlimm sein. "Ich will nicht zwischen euch stehen. Ich liebe euch beide und will euch eure Beziehung von Herzen gönnen aber es fällt mir so verdammt schwer." seufzt Timur und dann löst er unsere Haltung um sich die Tränen wegzuwischen. Wir lösen uns alle und Tarek schaut richtig betroffen. "Ich liebe euch beide." murmelt er "ich will keinen von euch je missen." "Wissen wir doch!" grinsen Timur und ich ihn nun an. "Aber es ist schwer zu akzeptieren dass wir nicht mehr alle drei gleich sind." sagt Timur. Tarek guckt sehr geknickt und dann umarmt er uns wieder beide. "Egal was die anderen sagen, ihr werdet immer für mich gleichberechtigt sein!" sagt er und küsst uns. Etwas zufriedener weil ich mit meinen Gefühlen nicht ausgelacht sondern akzeptiert und verstanden werde ziehen wir uns an und gehen zu den anderen die schon fleissig Feuerholz gesammelt haben.

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