Kapitel 19 - Tanzende Liebe

1.1K 97 5
                                    

~Und wie genau willst du das anstellen?~, fragte Jace skeptisch,~Du kannst schließlich nicht einfach die Braut entführen.~
~Warum eigentlich nicht? So wüsste ich meine Schwester immerhin nicht mehr in der Gefahrenzone. Außerdem werde ich sie sicher nicht länger im Palast lassen als nötig. Sie muss da unbedingt raus!~

Alec war wütend aufgesprungen, weil er einfach nicht mehr still sitzen und einfach nichts tun konnte. Er musste doch etwas unternehmen können! Er war doch der große Bruder und musste seine jüngeren Geschwister beschützen!

Magnus hatte sich nun ebenfalls erhoben und legte sanft eine Hand auf seine Schulter. Doch Alec schüttelte sie ab und sah ihn wütend und frustriert an. Magnus zuckte zwar unter seinem Blick leicht zusammen, ließ sich aber nicht beirren.
~Lass mich!~
~Nicht in diesem Leben!~
~Bitte, ich will jetzt alleine sein.~, bat er schwach, wandte sich ab, und lief los. Einfach irgendwohin, nur weg.

Alec ignorierte die erschrockenen Blicke, die ihm die Passanten zuwarfen und rannte einfach, doch seinen Schuldgefühlen entkam er nicht. Irgendwann gab er es auf und hielt auf einem kleinen, abgelegenen Platz an. Dort ließ er sich auf den Rand eines alten Brunnens nieder und vergrub sein Gesicht in den Händen.

Ich bin ein schrecklicher Bruder.

Er zuckte erschrocken zusammen, als er eine warme Hand auf seiner Schulter spürte. Dank dem Kribbeln, das seinen Körper bei dieser Berührung durchlief, wusste er sofort, wer es war.
~Ich habe doch gesagt, dass ich alleine sein will.~, meinte er verzweifelt.
~Und ich habe dir gesagt, dass ich das nicht tun werde. Ich weiß ganz genau wie du dich fühlst und kann desalb mit Sicherheit sagen, dass du alles willst, außer jetzt alleine zu sein.~

~Und woher willst du so genau wissen, wie ich mich gerade fühle?~
~Vielleicht, weil ich das alles schon selbst erlebt habe?~
Alec schwieg, denn er konnte es nicht recht glauben, auch wenn er das nie zugeben würde. Nach einer Weile seufzte Magnus.

~Es war vor knapp drei Jahren. Die Unterweltler wurden gerade erst zu einer großen Organisation -zuvor haben wir nur den Bürgern Alicantes helfen können. Damals war ich unglaublich frustriert, weil unsere Arbeit überhaupt nichts zu bewirken schien.
Die adligen Grundherren nahmen den Bürgern einfach alles wieder weg, was wir ihnen zurückgaben. Für mich erschien es sinnlos, weiterzumachen.
Bei einem meiner nächtlichen Streifzüge lernte ich dann Etta kennen. Sie war eine einfache Bauersfrau, ohne Familie oder finanzielle Mittel. Dennoch hat sie so eine Zuversicht ausgestrahlt, die mich sofort in ihren Bann gezogen hatte. Sie war so stur, liebenswürdig und unbeirrbar, wie ich es immer sein wollte, außerdem konnte sie beneidenswert gut tanzen.
Ich habe mich sehr schnell in sie verliebt, denn sie gab mir das, wonach ich mich so sehr sehnte: Sicherheit und Hoffnung.
Sie machte mir klar, dass das, was ich und meine Freunde tun, alles andere als sinnlos ist.
"Ihr gebt uns nicht nur materielle Dinge, Magnus, ihr gebt uns Hoffnung. Hoffnung auf ein besseres Leben und das ist schlussendlich das, was zählt.", hatte sie mir einmal gesagt.
Sie war mein Fels in der Brandung, sie hat mich gehalten, wenn ich ihr nachts schluchzend in die Arme fiel und sie hat mit mir getanzt, als ob es kein Morgen gäbe. Ich war fest davon überzeugt, dass wir immer weiter tanzen würden, gemeinsam. Doch eines Nachts, als ich etwas später als sonst kam, fand ich ihre Hütte in Trümmern vor.
Die Soldaten des Königs waren bei ihr gewesen und ... haben sie umgebracht. Sie haben sie mit ausgestreckten Gliedern und einem Brief für mich auf ihrem aufgeschlitzten Bauch ordentlich auf den Trümmern ihres Betts trapiert. In dem Brief stand, dass sie Etta durch mich gefunden hätten und sie wegen meiner Verbrechen an der Krone tot wäre.
Und bei Gott, sie hatten doch recht!
Wäre ich nicht mit meiner blinden Verliebtheit gewesen, hätten sie Etta nie gefunden. Wenn ich ihr nie begegnet wäre, wenn ich sie nie geliebt oder überhaupt mit den Diebstählen begonnen hätte.
Sie würde noch leben, wenn ich nicht wäre.
Ich war so hilflos und zerfressen von Schuldgefühlen, weil ich mich für sie verantwortlich gefühlt hatte.
Ich habe mich mehr und mehr zurückgezogen und die Wut in meinem Inneren einfach auflodern lassen. Ich war wütend auf die ganze Welt, aber vor allem auf mich selbst.
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und habe meinen Hass auf die Königsfamilie gelenkt und den Plan geschmiedet, in den Palast einzubrechen, diese Familie umzubringen und bei dem Versuch selbst zu sterben.
Ich wollte nicht mehr leben.
Es machte keinen Sinn mehr.
Doch gerade, als ich losziehen wollte, um meinem Leben ein würdevolles Ende zu bereiten, kamen mir Catarina und Ragnor, meine zwei ältesten Freunde, in den Weg.
Sie überzeugten mich, dass Etta das nicht gewollt hätte.
Sie hätte gewollt, dass ich den Menschen weiter Hoffnung schenke, dass ich auch ohne sie tanzen würde, statt andere einfach so zu töten. Sie machten mir klar, dass ich mich nicht besser fühlen würde, wenn ich jemanden tötete und nach längerer Zeit glaubte ich ihnen.
Ich wollte für Etta weiterleben, auch wenn diese das nicht mehr mitbekommen würde. Seitdem achte ich jedoch darauf, nicht mehr allzu tiefe Bindungen zu Menschen aus dem Volk einzugehen, aus Angst, dass mir die Krone dann auch noch diese nehmen würde.
Dennoch würde ich ohne Etta, Catarina und Ragnor jetzt nicht neben dir sitzen und dir das hier erzählen.~

Nachdem Magnus mit seiner Geschichte geendet hatte, verfiel er in ein melancholisches Schweigen. Alec jedoch hob langsam den Kopf und sah ihn zum ersten Mal, seitdem sie hier waren, direkt an.

In Magnus' Augen spiegelten sich sowohl Trauer und Schmerz, als auch Erleichterung und die Nostalgie einer längst vergangenen Liebe wider.
~Das tut mir so leid~, sagte er schließlich zögernd,~Aber du warst nicht an ihrem Tod Schuld. Du hast sie geliebt. Und so, wie du sie beschrieben hast, hätte sie sich wahrscheinlich nie von dir beschützen lassen.~

Ein mattes Lächeln zierte seine Lippen.
~Genau wie Isabelle. Nach allem, was ich über sie gehört habe, hätte sie sich auch nicht von dir beschützen oder gar bevormunden lassen. Ich weiß wie du dich fühlst. Wir Männer wollen gerne über die Frauen bestimmen, die uns am nächsten stehen, da wir nicht wollen, dass ihnen irgendetwas passiert, doch Frauen wie Etta und Isabelle lassen sich nunmal nichts vorschreiben und wie nervig es auch sein mag, wir lieben sie doch gerade dafür.~, nahm Magnus den ursprünglichen Faden wieder auf.

~Leider ... fürchte ich, dass du recht hast.~
~Jetzt tu nicht so, als ob das das schrecklichste auf der Welt wäre. Das kratzt nur an meinem Selbstbewusstsein.~, stellte er eingeschnappt fest und verschränkte die Arme vor der Brust, doch seine Augen spiegelten pure Belustigung wider.
~Das tut mir jetzt aber schrecklich leid!~, entschuldigte er sich sarkastisch.
~Sollte es auch. Das war eine Verletzung meiner Würde.~, schmollte Magnus.

~Aber es tut mir wirklich leid. Ich hätte vorhin nicht so grob zu dir sein sollen. Du wolltest mir schließlich nur helfen.~
~Schon in Ordnung. Du hattest schließlich allen Grund dazu~, winkte er ab, bevor sich ein anzügliches Grinsen auf seine Lippen schlich,~Außerdem hat mich der plötzliche Beschützerinstinkt extrem beeindruckt. Ich finde es unheimlich anziehend, wenn du so dominant bist.~

~Etwa so?~, fragte Alec mit rauer, tiefer Stimme und legte seine Hand auf Magnus' Oberschenkel, bevor er diese langsam an dessen Innenseite nach hinten gleiten ließ.
Sofort verschwand das Grinsen und seine braunen Augen verdunkelten sich vor Verlangen, während Alecs Hand immer weiter nach oben fuhr.

Magnus mochte zwar unglaublich selbstsicher sein, doch jetzt, wo Alec ihn so überzeugt berührte, schien er beinahe willenlos. Er zerfloss förmlich unter Alecs Fingern und dieser genoss es, so eine Wirkung auf jemanden zu haben. Es war eine stille Bestätigung seiner Gefühle und auch ein kleiner Sieg für ihn, denn normalerweise brachte Magnus ihn aus der Fassung, nicht umgekehrt.

Doch schnell stoppte Alec seinen Vormasch und nahm seine Hand weg. Für ihn war das alles noch so neu, so unwirklich und er war so schrecklich unerfahren. Außerdem befanden sie sich hier immer noch in der Öffentlichkeit. Es war für ihn noch etwas früh, solche Schritte zu gehen, auch wenn er sich in Magnus' Gegenwart immer so sicher und verstanden fühlte.

Und wieder schien Magnus genau zu wissen, was in Alec los war, denn er stand auf und hielt ihm die Hand hin.
~Komm, wir sollten zurück zu Goldie gehen. Gott weiß, was er ohne uns alles anstellen könnte.~, wesentlich leiser und mit einem lüsternem Ausdruck im Gesicht fügte er hinzu,~Das gerade eben wird noch früh genug nachgeholt. Da musst du dir gar keine Gedanken machen.~

Auch auf Alecs Gesicht hatte sich ein dunkles Grinsen geschoben, auch wenn er nicht genau wusste, woher dieses auf einmal kam.
Er nahm die Hand an und ließ sich hochziehen.
~Ok, ich freu mich schon darauf.~

Malec-Der Prinz von IdrisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt