Kapitel 37 - Ave atque Vale

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~Was wollen denn die Herrschaften hier?~, fragte der Anführer der Soldaten, der ihnen am nächsten stand.

Zwei seiner Kameraden hielten Ragnors Arme gewaltsam auf den Rücken gedreht, während ein weiterer Catarinas Handgelenk umklammerte. Der fünfte bildete die Nachhut, sah sie aber ebenfalls verwundert und leicht spöttisch an.

~Habt ihr euch verlaufen?~, fragte der Anführer der Soldaten, ohne den Hohn aus seiner Stimme zu nehmen.
~Keineswegs, meine Herren!~, flötete Magnus, während er eine Hand in die Tasche seines Gehrocks schob.
Er baute sich vor dem Soldaten auf, was etwas seltsam aussehen mochte, da Magnus einen guten Kopf kleiner war.

Seine Augen funkelten gefährlich, sodass Alec reflexartig Lydias Arm packte und sie etwas in den Hintergrund zog. Dabei ignorierte er ihr empörtes Schnauben.

Er sollte sich nicht getäuscht haben, denn im nächsten Moment bewegte Magnus seinen Arm so schnell und zielgenau, dass man seine Bewegung nur verschwommen wahrnehmen konnte, bevor der Soldat auch schon mit einem ersticktem Laut und aufgeschlitzter Kehle zu Boden ging.
Raphael hatte ebenfalls einen Dolch gezogen und kümmerte sich gerade um einen der beiden Soldaten, die Ragnor festhielten. Er bewegte sich mindestens genauso schnell und zielsicher wie Magnus, auch wenn ihm die federleichte Belustigung fehlte, die Magnus in jede seiner Bewegungen legte.

Die beiden befreiten Ragnor und wären dabei beinahe selbst erstochen worden, hätte Camille nicht eine ihrer messerscharfen Haarnadeln nach den Soldaten geworfen. Sie traf ihn im Hals und noch während er sich an die Kehle fasste, nutzte Catarina ihre Chance, befreite sich aus seinem Griff und rammte ihm ihr Knie in die Weichteile.

Dann war auch schon Raphael zur Stelle und machte kurzen Prozess mit dem Soldaten. Nun blieb nur noch einer, der mittlerweile kreidebleich im Gesicht geworden war.
Panisch sah er von Magnus zu Raphael und zurück, als könnte er sich nicht entscheiden, von wem er lieber getötet werden wollte.

Magnus nahm ihm diese Entscheidung ab, indem er ihm den Dolch in die Magengrube rammte. Der Soldat klappte mit weit aufgerissenen Augen und Mund zusammen.

Doch anstatt wegzusehen, kniete sich Magnus vor ihn hin und schloss mit einer Hand seine Augen und seinen Mund.
Er schien nicht glücklich oder schadenfroh oder erleichtert zu sein, wie Alec erwartet hatte, viel mehr wirkte er traurig, irgendwie verloren.

~Ave atque Vale.~, murmelte er mit respektvoller und auch leicht mitfühlender Stimme, bevor er sich wieder aufrichtete.
Noch immer spiegelten sich Respekt, Mitgefühl und Frustration in seinen Augen wider, zusammen mit einer traurigen Entgültigkeit.

Alec konnte nicht anders, als ihn kurz in die Arme zu schließen. Er wusste nicht recht, warum, aber es schien im das Richtige zu sein.
Als er sich von Magnus löste, wusste er dann sicher, dass es richtig gewesen war, denn nun sah er Dankbarkeit, Erleichterung und wieder diese sanfte Zärtlichkeit in seinem Blick.

Dann wandte er sich wieder an die anderen.
~Ich schlage vor, wir verschwinden hier, bevor ...~
~... wir hier sind?~, beendete eine kalte Stimme Magnus' Satz.

Alec bekam eine Gänsehaut, so kalt und schneidend und ... belustigt klang diese Stimme. Als er aufsah, erblickte er Sebastian und acht weiteren Soldaten, die am anderem Ende des Gangs vor ihnen standen.

~Ich meinte eigentlich, bevor ich deine hässliche Visage wiedersehen müsste, aber man kann es natürlich auch so ausdrücken.~, erklärte Magnus, nun wieder mit einem selbstsicheren Grinsen auf den Lippen, während er sich vor alle anderen stellte. Er warf lediglich Catarina einen Blick zu, die daraufhin Alec zuraunte~Du führst uns zum nächstgelegen Ausgang, ok?~

Er nickte leicht und schob sich weiter nach hinten, bis er das Schlusslicht der Gruppe bildete. Er sah, wie sich auch die anderen langsam zurückzogen, mit Ausnahme von Magnus, der noch immer ganz vorne stand.

~Ich hätte wissen müssen, dass ich diese freche Stimme von irgendwoher kenne.~
~Frech? Jetzt fühle ich mich aber beleidigt, Sebastian. Ich sage lediglich, was mir durch den Kopf geht und ich kann nichts dafür, dass es bei dir nur schlechtes ist. Übrigens, du solltest die Finger von Blutrot lassen. Das steht in viel zu großem Kontrast zu allem anderem und tut in den Augen weh~, redete Magnus ungerührt weiter,~Wirklich, mein Herz blutet bei diesem Anblick!~
~Was wolltet ihr hier?~

~Tanzen, trinken, dich nerven. Ich finde Letzteres ist am überzeugendsten.~
~Warum ergebt ihr euch nicht einfach? Dann müssten wir euch nicht gleich umbringen.~
~Du würdest mich so oder so umbringen, so gestalten wir das ganze Spiel etwas spannender. Vor allem, weil ich so die Regeln aufstellen kann.~

~Ach, das glaubst du wirklich?~, fragte Sebastian mit spöttischem Unterton. In seiner Hand blitzte ein langes Schwert auf, aber Alec fürchtete sich am meisten vor diesen leblosen, schwarzen Augen, die wieder diese Gier ausstrahlten, als wäre Magnus irgendein Schatz, den man noch erbeuten müsste.

~Natürlich! Nur ich kann das Spiel starten. Also LOS!~, rief er auf einmal und Alec machte auf dem Absatz kehrt und rannte los.

Er spürte, dass ihm die anderen folgten, weshalb er so schnell lief wie er konnte. Glücklicherweise trug er nicht allzu hohe Schuhe -er war groß genug, als dass er welche bräuchte-, weshalb ihm das Rennen leicht fiel, selbst in diesem Kleid.

Auf einmal war er Izzy furchtbar dankbar dafür, dass sie ihn immer aus der Bibliothek gezerrt hatte und mit ihm auf Entdeckungsreise durch den Palast gegangen war, denn so fand er sich in den kaum bis gar nicht beleuchteten Gängen mühelos zurecht und gelangte auch schnell zum Botenausgang, der auf den Hof führte.
Vor der imposanten Treppe des Eingangs standen bereits ihre beiden Kutschen und noch zwei weitere Pferde, die auf sie gewartet hatten.

Wie es der Plan verlangte, sprang Alec in die vordere der beiden Kutschen, Lydia folgte ihm auf dem Fuße. Catarina und Camille hechteten in die hintere Kutsche, während Raphael und Ragnor auf die Pferde stiegen.
Sie waren aufbruchbereit, doch einer fehlte.
Magnus.

Alec begann sich Sorgen zu machen.
War er uns nicht gefolgt?
Hat er sich verirrt?
Haben ihn die Soldaten geschnappt?
Bei letzterem Gedanken lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.

Er versuchte, sich einzureden, dass er sich gerade viel zu viele Gedanken machte. Magnus konnte sich sehr gut selbst verteidigen, das durfte er ja jetzt oft genug beobachten. Ihm würde schon nichts passiert sein.
Aber was, wenn nicht?

Alec schluckte.
Was, wenn man ihn doch geschnappt oder ihn einfach erstochen oder die Kehle aufgeschlitzt hatte?

Eine kalte Hand umfasste sein Herz, als vor seinem innerem Auge ein Bild auftauchte: Magnus, der mit verrenkten Gliedmaßen und aufgeschlitztem Bauch auf dem Boden lag. Die Augen weit aufgerissen, doch ohne jegliche Emotionen in ihnen. Über ihm Sebastian, der ihn mit einem teuflischen Grinsen betrachtete, das blutige Schwert noch immer erhoben in der Hand.
~Du hättest dich nie widersetzen sollen.~, sagte er.
Doch Magnus würde nicht mehr antworten können, denn er war tot und das war allein Alecs Schuld.

Alec kniff die Augen zusammen, doch das Bild wollte einfach nicht verschwinden.
Er wollte Magnus nicht verlieren!
Er konnte es nicht.
Er konnte nicht ohne ihn.

Malec-Der Prinz von IdrisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt