26. Kapitel

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Kurz vor 0 Uhr klingelt es. Ich ziehe meine Jacke an und hüpfe die Treppen herunter. Er steht links neben der Haustür, das Licht seines Handys scheint ihm ins Gesicht.

   „Hey“, lächle ich und winke vor seinem Gesicht rum.

   Er lächelt. „Was hast du mit mir vor um die Zeit?“

   Ich lache. „Das wirst du schon noch sehen.“ Wir laufen durch die Stadt, dann durch den Wald, ich treibe ihn durch Gebüsche, Gräben und Äste, bis wir nach zwei Stunden zu Fuß endlich am Ziel ankommen.

   „Alter“, sagt er, „ich latsche durch die ganze Stadt und zum Dank hab ich mir meinen Arm an den scheiß Dornen aufgerissen.“

   „Dein Pech.“ Ich schiebe die letzten Äste aus dem Weg und fange an wie dumm zu grinsen. „Guck“, ich fasse seinen Ärmel und ziehe ihn neben mich. Da ist das Waldbad, zu dem ich wollte. „Da war ich mit Isi immer. Nachts ist alles schöner.“

   „Das ist mein Spruch.“

   „Nein“, ich schau ihn verwundert an. „Den hab ich grad gesagt. Ach egal, komm schon“, ich nehme seine Hand und renne mit ihm auf den hohen Eisenzaun zu.

   „Oh nein, ich ahne was du vorhast“, ruft er.

   „Sei nicht so spröde.“ Ich stelle meinen Fuß auf das Tor und schwinge mein Bein darüber, schon bin ich auf der anderen Seite. Sierra kommt mir hinterher.

   „Isi heißt sie also“, sagt er, als er schon sein T-Shirt auszieht.

   „Ja, meine beste Freundin.“ Ich kontrolliere noch kurz, ob sie in den letzten Monaten Kameras installiert haben, aber es ist nichts zu sehen. Ich knacke die Tür des Lagerraumes und hole zwei Handtücher, die ich neben Manus Sachen auf das Gras lege. Ich ziehe Shirt und Hose aus, Manu trägt auch nur noch Boxershorts. „Fertig?“, rufe ich. Er nickt. Wir klettern auf den fünf Meter Turm und fassen uns an den Händen, als wir am Rand stehen. Es ist stockdunkel. Selbst durch den Mond sieht man nicht, wo das Wasser ist, wird im Fall umso spannender.

   „Hätte nicht gedacht, dass ich das hier nochmal mache“, sage ich. „Hoffentlich weißt du, wie viel mir das grad bedeutet.“

   „Red nicht so viel, genieß es einfach“, er holt tief Luft, beginnt dann von drei runterzuzählen. Bei 0, springen wir. Der Fall ist kurz und das Wasser kalt, sehr kalt. Eine Weile bin ich unter Wasser, vergesse alles um mich herum. Erinnerungen schießen im Sekundentakt durch meinen Kopf. Ich sehe sie vor meinen Augen. Erst als Wasser in meine Nase kommt, realisiere ich, dass das vergangen ist.

   Ich umklammere immer noch Manus Hand, als ich wieder auftauche. Manu muss niesen, holt laut Luft und lässt einen Freude- oder Kälteschrei los. Ich setze an, eine Runde zu schwimmen, um warm zu werden. Manu holt mich schnell ein und schwimmt neben mir.

   „Das war so krass“, sagt er leise, kommt auf mich zu. Mit seinen Beinen stoppt er mich. Ich lege meine eiskalten Hände auf seine Schulten, stemme mich auf ihn und drücke ihn unter Wasser. Er berührt meine Beine, will mich mit herunterziehen und ich mach mit. Er taucht wieder auf und ich mit ihm. Seine Arme liegen um meinen Hals, ich spüre jeden Teil seines Körpers.

   Ich weiß, dass ich lieber niemanden an mich ranlassen sollte, aber jetzt ist es einfach so. Und ich habe gemerkt, dass ich es ohne ihn nicht aushalte, also mach ich das Beste draus. Er ist ein Freund für mich. Mein bester Freund, weil er mein einziger Freund ist. Ich kann mir keine weiteren Gefühle einreden. Das muss er wissen, aber ich will den Moment nicht zerstören.

   „Was denkst du?“, fragt er leise.

   „Nichts, alles schon okay.“ Ich tauche unter und schwimme von ihm weg.

   „Weich mir nicht aus“, ruft er mir hinterher, als ich mich schon auf den Beckenrand stütze und wieder auf trockenem Boden bin. Manu kommt auch aus dem Wasser, stellt sich vor mich.

   „Du musst nicht alles wissen, was in meinem Kopf abgeht.“

   „Ich will es aber wissen.“ Er kommt mir wieder so nahe, sein Gesicht ganz nah an meinem.

   „Tu es nicht.“

   Er geht zwei Schritte zurück. Ich hab’s versaut, aber gerade interessiert es mich nicht. „Komm, wir sind doch nicht hierher gegangen, um uns schon wieder zu streiten?“

   „Tut mir leid.“

   „Mir ist eiskalt“, er lächelt wieder.

   „Zieh die nassen Sachen aus, trockne dich ab und zieh die trockenen Sachen an“, ich lächle. „Ich kenn mich damit aus, ich mach das nicht zum ersten Mal hier.“ Manu schaut mich entgeistert an. „Junge, es ist dunkel, ich erkenne grad mal dein Gesicht“, lache ich.

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