31. Kapitel

621 40 2
                                    

Ich bin wahrscheinlich erneut eingeschlafen, denn es ist wieder Abend. Draußen ist es dunkel. Ich hab den ganzen Tag nichts geschafft. Oder doch?

   Ich bin allein im Schlafzimmer, Manu ist irgendwie weg. Langsam stehe ich auf, mein Kopf ganz heiß vor Kopfschmerzen, und laufe ins Wohnzimmer. Er sitzt auf dem Sofa und schaut voll abwesend zum Fernseher. Ich setze mich neben ihn, er bemerkt es, ich lächle.

   Er sagt: „Das ist so krass, ich kann nicht schlafen und du schläfst so den ganzen Tag und ich wusste nicht was ich machen sollte, also war ich die ganze Zeit hier, weil ich dich nicht stören wollte. Ich hoffe, du hast nicht gedacht, dass ich weggegangen bin oder so.“

   „Nein, alles gut, ich konnte auch so gut schlafen“, lache ich.

   „Hast du Albträume?“, fragt er.

   „Manchmal.“

   „Von was träumst du dann?“

   Ich lächle ihn verzweifelt an. Ich will nicht wieder darüber sprechen. Nicht wieder so traurig werden.

   „Isi.“

   „Ja“, bestätige ich.

   „Alice, lass uns mal rausgehen, du bist noch voll durch“, er nimmt meine Hand und zieht mich hoch. Ich frage wie spät es ist, er sagt, um neun.

   „Ich zieh mir noch kurz was anderes an.“ Meine Finger zittern noch ziemlich heftig, als ich Sachen in die Hand nehme, um mich im Bad umzuziehen. Im Spiegel sehe ich, dass meine Hüfte blaue Flecken hat. Nachts scheuern meine Hüftknochen immer so auf der Matratze, dass meine Haut ganz blau wird.

   Ich bin schnell mit Umziehen fertig, kämme noch meine Haare und trete dann mit Manu vor die Tür. Es ist so windig, dass ich das Gefühl hab, ich wehe weg. Ich drehe mich zu Manu um, fasse mit beiden Händen seinen Arm und klammere mich an ihm fest. Er lächelt, zieht mich näher an ihn ran. Wir laufen Richtung Innenstadt, sind aber nicht mehr so viele Menschen auf den Straßen, alles schon dunkel. Jede Stadt ist eine andere, wenn es Nacht ist.

   Wir setzen uns auf eine Bank, in irgendeiner Seitenstraße. Hier sind gar keine Leute, nicht mal eine Straßenlaterne. Mir ist kalt, aber ich will nicht an Manu heranrutschen. Zwischen uns sind bestimmt 30 Zentimeter Platz. Ich lehne mich nicht an, stütze meine Ellbogen auf meine Knie, lege mein Kinn in meine Hände.

   „Sag mal ganz ehrlich, wie geht’s dir?“ Manu spricht leise, ich spüre wie seine Blicke auf mir liegen. Ich will meinen Kopf drehen, ihn anschauen, aber ich hab einfach keine Kraft. Sitze da, und lasse den Wind um mich peitschen. Wie Nadelstiche auf meinen Wangen. Ich ziehe die Kapuze auf, lege meine Arme um meinen Kopf und beuge mich nach unten.

   Manu nimmt mich an der Hüfte, zieht mich zu sich. Ich liege in seinen Armen, spüre seine Wärme an meinen Wangen. Er wiegt mich hin und her, wie eine Mutter ihr Kind. In mir drin toben die Geister wieder, in meinem Kopf tausend Stimmen. „Ich seh sie vor mir“, flüstere ich, meine Augen zusammengepresst, mein Mund direkt neben seinem Hals. „Ich höre sie reden.“

alleinsamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt