39. Kapitel

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Ich hab Frederik um acht aus dem Bett gescheucht. Wir haben uns Pullover und Jogginghose angezogen und stehen nun im Supermarkt, ich hab nämlich nichts mehr im Kühlschrank, so wie immer. Irgendwie übernimmt Freddie den dominanten Part, füllt den ganzen Einkaufswagen, aber es ist ganz okay so. Außer Gemüse und Obst ist echt alles im Wagen, die Spirituosenabteilung wurde geplündert, zigtausend Wurstpakete, Toast und Nutella, es ist alles da.

   „Keine Angst“, er legt seinen Arm um meine Schultern, wie er es gestern getan hat, „ich bezahl das.“

   „Davon bin ich ausgegangen.“

   Wir stehen an der Kasse, legen alles aufs Band. Die Kassiererin schaut uns böse an, verlangt aber keinen Ausweis. Nachdem wir den Einkauf wieder in den Einkaufswagen gelegt haben, bezahlt Freddie mit EC-Karte, ehe wir zum Audi zurück laufen und alle Sachen im Kofferraum verstauen. Frederik fährt, ich greife ihm aber ständig ins Steuer und meckere über seine Fahrweise. Ich sage: „Wäre ich das Auto, ich würde freiwillig vor einen Baum fahren um dem Leid ein Ende zu setzen.“

   Freddie schaut mich genervt an, verliert die Spur, mit einem Rad sind wir schon im Schotter neben der Teerstraße.

   „Alter“, schreie ich, „wo hast du deinen Führerschein gemacht? In Tschechien?“

   „Boah ich steig gleich aus, dann darfst du fahren.“

   „Sei still und konzentriere dich“, ich nehme meine linke Hand aus dem Steuer und lehne mich auf meinem Sitz zurück. Zum Glück ist die Fahrt nicht so lang gewesen, wir finden sogar einen Parkplatz in meiner Straße. Jetzt bin ich erstmal froh, dass ich überlebt habe. Freddie trägt die vielen Einkaufstüten allein hoch ins Obergeschoss, ich halte ihm aber Tür auf. Das ist meine Art von Arbeitseinteilung. Gemeinsam räumen wir alles in den Kühlschrank, lassen Müsli und Milch draußen, fürs Frühstück.

   Er sitzt mir gegenüber, wartet auf die Milch. Ich gieß mir genügend davon über mein Müsli, schieb sie dann zu ihm rüber.

   „Was machen wir heute?“, frage ich, während ich meine Honey Loops esse.

   „Ich würd mich gern tätowieren lassen.“

   „Hast wohl nicht genug Tattoos?“ Sein linker Arm ist voll davon, der rechte nur teilweise am Oberarm. Mehr sehe ich ja grad nicht.

   „Nein“, er grinst, legt seinen rechten Arm ausgestreckt auf den Tisch, seine Hand neben meinem Müsli. Seine Haut ist ziemlich braungebrannt, die Adern sieht man trotzdem deutlich blau. Er zeichnet mit seinem linken Zeigefinger einen imaginären Kreis auf sein Handgelenk. „Ich möchte gern einen Kreis hier haben.

   „Einen Kreis? Wie wär’s mit einem Vogel?“

   Er verzieht seinen Mund zu einem fassungslosen Lächeln. „Hör doch mal zu. Das bedeutet mir echt was. Vielleicht verstehst du das nicht, aber ich möchte es dir erklären, okay?“ Er ist richtig ernst, das macht mir ein bisschen Angst.

   „Dann erzähl.“

   „Das einzige woran ich im Leben glaube, ist Karma. Ich bin der Überzeugung, dass alles eine Folge hat. Sei es gut oder schlecht. Dass Gleiches, Gleiches erzeugen muss. Das ist kein spiritueller Scheiß, das ist wahr. Aktion gleich Reaktion. Mit diesem Gedanken lässt es sich leichter leben. Dass alles eine Ursache hat. Schau, ich hab die Typen von der Tanke geschlagen, dafür meinen Job verloren. Okay das ist ein dummes Beispiel, aber man sieht daran, dass Richtiges belohnt wird, und Falsches bestraft. Dafür steht dieser Kreis. Das Leben ist ein Kreislauf von Taten und Folgen.“

   „Wann bist du so erwachsen geworden?“

   Er lächelt. „Gefällt’s dir?“

   „Ja, schon irgendwie. Ich hab noch nie darüber nachgedacht.“

   „Ich auch nicht, bis ich zum Ausnüchtern ‘ne Nacht im Knast verbringen durfte. In so ‘ner Zelle wird man echt sentimental. Seitdem.“

   „Das ist cool, mach das. In Manuels Wohnhaus ist ein Tätowierer.“

   „Oh, danke, dann lass uns doch dann da hin gehen.“

   „Klar, aber dass du deinen Job verloren hast, hat was mit dem Rechtssystem Deutschlands zutun, nicht mit Karma“, lache ich.

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