30.

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Pov Paul

Unentschlossen starre ich auf die Telefonnummer. Ich habe lange nicht mehr angerufen. Ob er sich überhaupt noch an mich erinnert?
Ich hasse diese Stille, wenn ich nach Hause komme. Ich hasse diese Stille, die mir das Gefühl gibt, angeschrien zu werden.
Er hat mir geholfen. Hat mich weniger einsam gemacht.
Aber dann habe ich den Kontakt abgebrochen. Was heißt Kontakt...
Ich war sein Patient.
Mit viel Kraftanstrengung tippen meine Finger seine Nummer ein.
Das Anrufzeichen leuchtet mir beinahe beängstigend entgegen.
Nur ein Anruf... Es ist nur ein Anruf, ein kurzes Gespräch, mehr nicht.
Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was ich mir erhoffe. Dass er mich wiedererkennt, dass er mich vergessen hat oder dass er mich hasst.
Was heißt hassen...
Ein Arzt sollte seine Patienten nicht hassen.
Kurzentschlossen drücke ich auf Anrufen.
Ohne dass ich es kontrollieren kann, rast mein Herz schneller. Wird er abnehmen?
"Hallo?"
Er ist es.
Seine Stimme hört sich noch genauso an wie früher.
"Wer ist da?"
"Hier ist... Paul.", meine Stimme klingt unnatürlich und gepresst.
An den anderen Ende höre ich ihn leise atmen. Eine kurze Stille tritt ein.
Erinnert er sich? Wird er einfach auflegen?
"Wie lange ist es her?", höre ich ihn endlich sagen. Seine Gefühle hat er wie immer perfekt unter Kontrolle.
"Fast anderthalb Jahre.", seufze ich.
"So lange..."
Es wird wieder ruhig. Ich erinnere mich ständig an die Therapie mit ihm, daran, dass er mich verstanden hat.
"Also gut. Warum rufst du an?"
Es tut beinahe weh, wieder seine typische Therapeutenstimme zu hören.
"Ich hab wieder diese Gefühle wie... früher. Diese Einsamkeit."
"Brauchst du einen Termin?"
Seine Stimme ist die eines Arztes. Ich habe sie oft gehört, ihr zugehört, und sie hat mir auch geholfen, aber diese andere Stimme, diese menschlichere Stimme war es, die ich wirklich brauchte.
"Ja. Am besten so bald wie möglich."
"Und warum hast du mich dann privat angerufen?"
Ja, ich habe seine Nummer. Er hat sie mir gegeben.
"Ich weiß es nicht." Es ist die Wahrheit. Ich weiß es wirklich nicht.
Er seufzt. "Die Praxis ist ziemlich voll, aber ich könnte vielleicht mach der Arbeit bei dir vorbeischauen."
"Klar." Meine Hände schwitzen etwas, ich wische sie an meiner Hose ab. Mehr als einmal habe ich vor diesen Menschen geweint, er kennt mich.
"Wohnst du immer noch in der selben Wohnung?" Ich höre das klicken eines Kugelschreibers.
"Ja. Die selbe Wohnung.", wiederhole ich. Ich wohne eigentlich seit den Streit hier. Gute zwei Jahre.
"Wann hast du Zeit?"
Wie immer war mir der Dienstplan sehr egal. Ich habe immer Zeit. Auch wenn ich in letzter Zeit den Eindruck hatte, dass man mich schonen will.
Aber dann ist dann ja auch noch Jane...
Ich werde von ihr hören, ich werde ihre Akten lesen, ich werde für sie da sein. Das schwöre ich.
"Geht Mittwoch Abend gegen 21 Uhr?"
"Geht klar.", er hält kurz inne, als wolle er noch etwas sagen, sich aber nicht trauen. "Bis dann."
Es tut beinahe weh, sich von ihn zu verabschieden. "Tschau."
Ich warte, bis er auflegt.
Mittwoch 21 Uhr...
Bis dann.

Wer Bist du Nur? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt