Kapitel 2

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Gutes erhoffte ich - und Böses kam; ich harrte das Licht - und es kam Finsternis". ~ Hiob 30,26

Es war ein kleiner Raum.
Die eine Seite wurde komplett von jede Menge Bildschirmen, in jeder Größe und Qualität, Lautsprechern, Lageplänen und Kabeln eingenommen.
In der Luft tanzten einige feine Staubkörner und es roch ganz modrig und abgestanden.
Es war ein Überwachungsraum.
Finja brauchte einige Momente um das Ausmaß dieser Entdeckung zu begreifen. Ihre Arbeitsstelle spionierte anscheinend Menschen aus!
War das vielleicht alles nur Pauls Verdienst? Nein, der Chef hätte das doch bestimmt bemerkt! Also wusste es auch davon?! Was ist mit den anderen Mitarbeiter? Alex, Sasja? Wussten die hiervon?
Finjas Gedanken fuhren Achterbahn, aber sie wäre nicht Finja, wenn sie nicht entschlossen in das Zimmer eingetreten wäre, um noch mehr Beweise zu sammeln.
Schließlich brauchte die Polizei schwerwiegende, belastende Beweise um Paul oder Herr Hartmann oder sonst wen zu verhaften, nicht nur irgendwelche wilden Vermutungen einer gelangweilten 18-Jährigen.
Finja spürte eine eigenartige Aufgeregtheit, und ihr Bauch zog sich freudig zusammen, auch wenn das seltsam klingt, aber für Finja war so ein Ereignis das Aufregendste in ihrem Leben seit einiger Zeit.
Sie wollte diese Ablenkung so lange wie möglich ausnutzen und sich wie die Protagonistin eines Romans fühlen, was vielleicht auch ein Grund dafür war, dass sie sich zuerst umsah und nicht gleich die Polizei rief.
Finjas Schritte hallten seltsam laut für den kleinen Raum wieder, und automatisch fiel ihr jede auch nur ansatzweise gruselige Filmszene, die sie je gesehen hat, ein. Ein Schauer lief ihr den Rücken runter und Finja hatte das beunruhigende Gefühl beobachtet zu werden.
Hör auf damit! Da ist niemand, du solltest echt aufhören so viele Horrorfilme anzuschauen, das kann ja nicht mehr gesund sein! , schallte sie sich selbst.
Die meisten Monitore zeigten einfach gar nichts oder nur angeschnittene Möbelteile oder kahle Wände.
Andere wiederum zeigten Menschen, die alles mögliche taten.
Dann war es also doch wahr!
Irgendjemand spionierte durch den einfachen, unwichtigen Elektrogeräteladen, in dem ausgerechnet Finja arbeitete, Menschen aus! Und wahrscheinlich kannte sie diesen jemand sogar, womöglich sah sie ihn jeden Tag und hatte bis jetzt nichts von den alltäglichen kriminellen Machenschaften, die direkt vor ihrer Nase stattfanden, mitbekommen!
Finja spürte wie sich ihre Freude nochmals verstärkte und sie musste das lächerliche Verlangen, laut loszulassen, unterdrücken.
Sie sollte dringend mal ihre Prioritäten richtig ordnen, bei so etwas ein solch heftige Reaktion zuhaben, ist ja fast schon peinlich!
Finjas Gedankengänge wurden durch eine Bewegung, die sie nur im Augenwinkel wahrnahm, unterbrochen: Eine Frau war in einem der Bildschirme aufgetaucht und schien geschäftig in ihr Handy zu reden. Sie erinnerte sich, dass manche der Computer auch an Lautsprecher angeschlossen waren, das war aber leider bei diesem hier nicht der Fall.
Erst jetzt fielen ihr die kleinen Worte am rechten unteren Bildschirmrand auf. Dadurch, dass die Schriftfarbe mit dem Hintergrund zusammenfiel, waren sie nur schwer zu erkennen, aber dort stand eindeutig: Almelo, Niederlande; Serafina Münster.
Seltsam, ich wusste gar nicht, dass wir auch in den Niederlanden Filialen haben...
Neugierig sah sie sich nochmal die anderen an: Ein Mann in Frankreich kochte, ein weiterer machte sich gerade in Berlin ein Brot, eine alte Frau in Parma schien einen etwas eigenartigen Tanz aufzuführen, eine junge Frau in Bern saß chipsessend auf der Couch und sah fern, ein altes Ehepaar am Bodensee las, sich anschweigend, jeweils eine Zeitung, ein kleines Mädchen in Sarajevo tanzte ebenfalls, wie die alte Frau, ein Junge wurde gerade in Lodz wohl von seiner Mutter mit Babybrei gefüttert, ein Mann mittleren Alters führte ebenfalls diesen seltsamen Tanz auf...
Warte mal, was zum...? Ungläubig beugte sich Finja weiter über den Schreibtisch zu den drei verschiedenen Monitoren. Das konnte doch nicht wahr sein!
Aber es war wahr.
Diese drei Menschen, aus Italien, Deutschland und Bosnien-Herzegowina, aus drei verschiedenen Ländern, die sich auf keinen Fall hätten treffen oder absprechen können, tanzten zusammen. In einem Takt.
In einem Rhythmus.
Mit denselben Bewegungen.
Sie wirkten wie hypnotisiert.
Finja stockte kurz der Atem, ihre anfängliche Freude war wie weggepustet und sie spürte wie sich eine dunkle Wand der Angst vor ihrem inneren Auge aufbaute.
Sie musste hier raus.
Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht.
Ruhig und geordnet ging sie zur Tür, obwohl alles in ihr Flucht! schrie, aber sie durfte jetzt nicht schon wieder in Panik geraten.
Nur noch einpaar Schritte, dann war sie draußen. Die Tür war zu. Oh Gott, hatte sie sie zugemacht, oder war sie einfach so zu gefallen?
Finja wusste es nicht mehr.
Die Haare auf Finjas Armen stellten sich plötzlich auf und ein sehr ungutes Gefühl beschlich sie, während Panik ihr dann doch noch die Lungen zu erdrücken und das Atmen zu erschweren schien.
Vorhin hatte sie sich auch schon beobachtet gefühlt.
Krachend wurde die Tür aufgestoßen und eine in Dunkel gekleidete Person, versperrte Finja, die zuerst vor Schreck ein gurgelndes Geräusch von sich gab und dann wie erstarrt den anderen anblickte, den Weg.

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