Kapitel 10

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„Was man hat, das achtet man nicht." ~ Deutsches Sprichwort

Das Klingeln der Haustür schallte wie ein düsterer Gong durch die plötzliche Todesstille der Küche.
Finja merkte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte, denn die Stimmung im Raum war zu angespannt gesprungen, was sie auch in den Gesichtern der anderen sehen konnte.
Saki kam auf sie zu gelaufen, mit zusammengepressten Lippen und einem ängstlichen Ausdruck in den Augen.
„Komm, schnell... die Treppe rauf", sie packte Finja am Arm und führte sie die große Treppe aus Ebenholz hinauf.
Finja zog die Augenbrauen zusammen, diese Behandlung, dass man ihr nie etwas sagte oder erklärte, gefiel ihr gar nicht, aber im Moment konnte sie wohl nichts daran ändern, außerdem war die jetzige Situation mal wieder potenziell gefährlich, und sie hielt es für besser erstmal Saki zu folgen.
Die beiden kamen im 1. Stock an und das rothaarige Mädchen führte Finja durch den offenen Gang in ein weiter hinter gelegenes Zimmer.
Der Gang war ausgelegt mit einem großen roten hübschen aber kratzig aussehenden Teppich und an den cremefarbenen Wänden hingen einige Gemälde, die Finja zwar nicht erkannte, aber auf sie trotzdem teuer wirkten, was aber wahrscheinlich nur an den goldenen Bilderrahmen lag.
Das Zimmer selbst war in einem hellen Blau gestrichen, zumindest die kleinen Teile der Wand, die man noch erkennen konnte, denn der Großteil war von verschiedenen Postern verdeckt. Auf einigen waren Anime-Figuren abgebildet, aber die meisten zeigten kämpfende Menschen mit kleinen Erklärungen zu dem jeweilen Schlag oder Tritt.
Finja war klar, dass das hier Sakis Zimmer sein musste.
Von unten waren entfernte Stimmen zu hören, irgendjemand musste die Tür geöffnet haben und sprach jetzt mit der Person, die geklingelt hatte.
„Ok", sagte Saki atemlos, „bleib einfach hier, bis wieder jemand kommt...", sie wandte sich ab, um wieder zu gehen, aber Finja packte sie schnell am Arm. Das Mädchen sah sie fragend an.
„Warte! Sag mir erst was hier los ist.", bat Finja in einem flehendem Tonfall.
„Bitte...", fügte sie dann noch hinzu.
Saki seufzte und sah sich misstrauisch um, als würde sie erwarten, dass wer auch immer gerade geklingelt hatte, jetzt auch in ihr Zimmer spazieren würde.
„Na gut, hör mir jetzt ganz genau zu: Anscheinend gab es bei dir einen Fehler im System. Nur ein einfacher Fehler, so was passiert. Eigentlich hättest du an deinem 18. Geburtstag informiert und aufgeklärt werden sollen. Wurdest du ja aber anscheinend nicht. Ist ja auch egal, ich habe keine Ahnung, wer gerade geklingelt hat, aber es kann nichts Gutes bedeuten.", flüsterte die Rothaarige schnell, mit einem reuevollen Blick auf Finjas verwirrtes Gesicht, meinte sie noch: „Tut mir leid, dass wir dich jetzt so damit überrennen, aber ich...", sie stutze kurz; von unten waren unverständliche Stimmen zu hören. „Ich muss wieder los. Bleib einfach hier und tut nichts.", mit diesen Worten stürmte sie aus dem Zimmer.
Finja fühlte wie ihr Verstand versuchte diese ganzen unmöglichen Informationen zu verarbeiten, aber daran scheiterte.
Wo war sie da nur wieder hineingeraten?
Finja wartete und wartete. Und wartete.
Bis eine halbe Stunden vergangen war und die Stimmen unten immer wütender und hitziger wurden.
Sie meinte eine unbekannte Stimme aus dem Wirrwarr herauszuhören und sie glaubte sie gehört zu einem Mann obwohl sie ungewöhnlich hoch war.
Finja war eigentlich eine sehr ängstliche Person, aber im Moment überwog ihre Ungeduld und Neugier.
Trotzdem schlich sie vorsichtig und mit klopfendem Herzen den Gang entlang und die Treppe wieder runter.
Finja war sehr dankbar für den dicken Teppich unter ihren Füßen der alle Geräusche schluckte.
Sie ließ sich schließlich auf dem obersten Treppenabsatz nieder, sodass sie die anderen und den mysteriösen Besucher sehen konnte, jeder der unten stand konnte aber nicht sie sehen, außer er schaut genau auf ihren Platz.
Der unbekannte Mann war hochgewachsen und blass. Allerdings die Art blass, die eher wie ausgewaschene Wäsche aussieht.
Sein Gesicht konnte Finja nicht sehen, aber er trug eine schwarz-grüne Uniform, die ihm ein sehr strenges Aussehen verlieh.
„Billy, das ist jetzt meine letzte Warnung an Sie, ich weiß, dass ihr hier eine oder einen Unbefugten beherbergt. Lasst solche Gesetzesverstöße einfach sein, oder es drohen ernsthafte Konsequenzen"' verkündete der Mann mit seiner seltsam hohen, seltsam ausdruckslosen Stimme auf eine angeschwollene und überhebliche Art.
Selbst Finja konnte von ihrem Versteck aus sehen, dass Billy kurz davor war in lautes Gelächter auszubrechen und auch Lilies Lippen umspielten ein leichtes Lächeln.
Wenn Finja nicht so aufgeregt wäre, hätte sie bestimmt auch über den steifen Ton des Mannes gelacht.
„Baxter, komm schon, hier ist niemand. Sei doch nicht immer so paranoid.", grinste Billy und fuhr sich durch die blonden Locken.
Der Mann, Baxter, spannte sie Schultern an und drehte sich einwenig, um, wie jetzt auch Finja sah, Billy einen bösen Blick aus stahlgrauen Augen zuzuwerfen.
Billy lächelte einfach weiter provozierend, bis Jakob mit seinem gewöhnlich mürrischen Gesichtsausdruck vortrat. Auch er sprach Baxter direkt an: „Ich garantiere Ihnen, hier ist niemand, der hier nicht hergehört."
Finja war erstaunt, dass ausgerechnet Jakob sie beschützte, aber wahrscheinlich wollte er nur keinen Ärger bekommen.
Die beiden lieferten sich eine Art Blickduell, während Theia auffällig unauffällig die Tür zur Küche schloß.
Da lächelte Baxter zum ersten Mal, und befahl: „Mina, Suro, schaut mal da hinten nach" Zwei weitere Personen, eine große Frau und ein bulliger Mann, die bisher unentdeckt und stumm im Eingangsbereich gewartet hatten, traten in Finjas Gesichtsfeld.
Mit einem hässlichen Lachen gingen beide Richtung Küche, stießen Theia ungehalten aus dem Weg und durchsuchten den Raum.
Anscheinend sehr gründlich, denn sie kamen erst nach einigen Minuten wieder, die die anderen in einer unangenehmen Stille verbrachten, während aus der Küche nur diverses Geklapper zu hören war.
Mina und Suro kamen schließlich wieder zurück, Billy warf schon theatralisch den Kopf zurück und hob beide Handgelenke etwas von seinem Oberkörper entfernt zusammen hoch, als würde er gleich verhaftet werden. Baxter sah ihn nur mit leicht verkniffenem Mund an.
Mit einer Mischung von Aufregung und Enttäuschung auf den Gesichtern gingen Mina und Suro auf Baxter zu und Mina berichtete: „ Da ist niemand, wir haben alle Schränke und so durch gesucht, aber nada" Sie sprach in einem leichten Akzent, vielleicht Spanisch oder Französisch.
Billy warf einen triumphierenden Blick nach hinten und Theia lächelte ihn stolz an.
Auch Finja war erleichtert, diesen Leuten entkommen zu sein und sie merkte, dass Theias Getue nur eine Falle war.
„Na gut", meinte Baxter, der seltsamer Weise ebenfalls leicht lächelte, „diesmal kommt ihr nochmal davon, aber irgendwann....Wir gehen, kommt!", befahl er drohend.
Als die Haustür mit einem Klacken wieder ins Schloss fiel, lief Finja die Treppe ganz hinunter.
Ihr Lächeln fiel, als Jakob sie anfuhr: „Da siehst du, was du anrichtest! Ich hab gleich gesagt, dass das eine schlechte Idee ist!"
„Jakob, halt doch einfach mal dein Maul...!", begann Saki aufbrausend, aber Finja unterbrach sie.
Jetzt war eindeutig genug, den ganzen Tag schon war sie von einer seltsamen Situation in die nächste geraten, ohne eine Ahnung von nichts zu haben, und Jakobs ewige Meckereien halfen ihrer Wut nicht gerade weiter.
Finja hatte eigentlich vorgehabt zu schreien, ihn ihrer Vorstellung hatte sie endlich mal alles rausgeschrien, aber wie so oft in ihrem Leben klang ihre Stimme klein und zusammengepresst.
„Jakob, es tut mir ja herzlich leid, dass du offensichtlich eine so große Abneigung gegen dich oder dein Leben hegst, dass du das alles an mir und sogar den anderen auslassen musst. Du weisst schon, deinen Freunden", verkündete sie, nicht ganz unschuldig.
„Aber ich sag dir jetzt mal was, wenn du weiterhin alle so behandelst, wirst du irgendwann ganz allein sein. Vielleicht hast du es ja weit gebracht in deinem Leben, aber du bist ganz allein und wirst auch nie von anderen gemocht werden.
Sobald diese Mission hier abgeschlossen ist, werden alle die hier versammelt sind, dein ekliges Verhalten abstossend finden und gehen. Und das nur, weil du ein Arschloch bist, das es nicht hinkriegt, seine Gefühle, genau wie alle anderen auf der Welt, zu kontrollieren."
Totenstille.
Kein Wort.
Nicht mal Billy gab einen Laut von sich.
Jakobs Miene war komplett leer, und auch Finja bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Das Ganze war zu keiner Schrei-Schlacht geworden, sondern hatte sich zu einem Starr-Wettbewerb absoluter Gleichgültigkeit entwickelt.
Lilie räusperte sich: „Ähm... also ich hätte da eine Idee, wie wir weitermachen könnten..."
Alle drehten sich zu der Dunkelhaarigen; Lilie lächelte und schob sich die Brille zu recht, „Finja, ich denke es wird Zeit, dass du meinen Bruder kennen lernst."

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