Kapitel 4

25 2 0
                                    

Wer seine Heimat nicht liebt, kann nichts lieben." ~ Lord Byron

Frankfurt-Höchst, Deutschland, 2019

Schweigend betrachtete Alakta den riesigen Container-Komplex vor ihr. Für Außenstehende schienen hier viele verschiedene Container dicht aneinandergereiht zu stehen, aber Alakta kannte auch hier das Geheimnis, von dem viele nicht wissen: Das Innere der Container war zu einer einzigen großen Halle umgebaut worden. Eine Halle, in der sich gerade rund 50 Altgriechen befanden und seelig schliefen.
Noch hatten sie keine Ahnung von dem Schicksal, das ihnen spätestens morgen zuteil kommen wird.
Alakta stand also dort auf irgendeinem Container-Platz, irgendwo in einem Außenbezirk Frankfurts und ließ den unbarmherzigen Regen auf sich niederprasseln.
Der Dreck und Staub auf dem Boden wurde durch das Wasser aufgespült und verschmutze alles noch viel mehr als vorher.
Leicht angeekelt wandte sie sich von dem schmierigen braun-gelb oder den dreckverkrusteten roten und blauen Containern ab und ging in Richtung ihres Autos.
Sie hasste alles, was keine Sauberkeit ausstrahlte.
Im Dunkeln erschien der eigentlich kurze Weg zum Wagen, deutlich länger, nichtmal der Mond oder die Sterne leisteten Alakta Gesellschaft, doch die Nacht war eine gute Freundin der Dunkelhaarigen. Ihr schwarzer Schleier umwand Alakta und beschütze sie vor allen Ungeheuern, die es in allen Zeiten, die sie schon besucht hatte, gab.
Im Auto brannte noch Licht, da Jonah und Polonius drin saßen.
Sie hatte die beiden dort zurückgelassen, um ihnen den Abschied von ihren Bekannten und Freunden zu ersparen. Jonah wusste, dass es ein Abschied für immer sein würde, aber Polimius hatte schon auf der Hinfahrt nicht verstanden, warum er nicht bei den anderen bleiben konnte, warum sie nicht alle zusammen bleiben konnten.
Wenig wusste er über das albtraumhafte Schicksal der andere Griechen und, dass er nur weil Jonah so ein Theater veranstaltet hatte, die Chance auf ein neues Leben hatte.
Der Sklave sehnte sich nach seiner Heimat, wie ein Vogel nach der Freiheit der Lüfte, obwohl er im Käfig sicher und versorgt war.
Fast konnte Alakta seinen Wunsch nachvollziehen.
Aber eben nur fast.
Elegant schwang sie sich auf den Fahrersitz des Audis und ließ mit einem lauten Knall die Tür hinter sich zuschlagen.
Dadurch aufgeschreckt sahen die beiden jungen Männer auf dem Rücksitz auf. Während ihr Bruder etwas müde unter seinen blonden Fransen hervorblinzelte, sah Polonius, getrieben von der Angst in seinen dunklen Augen, zu ihr.
Er saß angespannt an der vorderen Kante des schwarzen Ledersitzes und hatte schützend die Arme um den Oberkörper geschlungen. (Polonius war partout nicht davon zu überzeugen sich anzuschnallen. Er dachte der Gurt würde in einem unbeobachteten Moment zum Leben erwecken und ihn erwürgen.) Schweigend startete sie den Motor, was den Phönizier wieder zusammenzucken ließ und er sich an Jonah kuschelte. Irgendwie waren die beiden ja schon süß, aber, dass Jonah sich so um Polimius sorgte, und ihn jetzt mit treuen Augen tröstende Worte ins Ohr flüsterte, ließ sie stutzig werden.
Also ob Worte gegen die Angst, die alle immer wie eine ansteckende Krankheit befiel, ausrichten konnte.
Aber Jonah war schwach. Er sah nicht das große Ganze in ihrem Vorhaben, weshalb er anfällig für Zweifel war. Aus diesem Grund musste sie ihn beschützen. Außerdem war er alles, was sie noch hatte.
Manchmal fragte sich Alakta, wenn sie Jonahs glückliches Lächeln sah, ob es nicht besser wäre, schwach zu sein.
Jonah liebte viele Dinge. Er liebte Streuselkuchen und den Duft von Farbe und seine Heimat, Deutschland.
Alakta hatte keine Heimat. Nicht wirklich. Das Nähste, was diesem Wort kam, waren wahrscheinlich die schneebedeckten, eisigen Fjörde Norwegens. Aber diese stammen aus einer anderen Zeit, einem fast anderen Leben.
Die Fahrt war kurz und voller unangenehmer Stille.
Als sie endlich vor dem großen, alten Anwesen standen, war es schon weit nach Mitternacht und sie alle waren todmüde.
Alakta wusste zwar nicht, wem das schlossartige, mit ausgewaschenen Backsteinen verkleidete Haus gehört hatte, aber sie hätte ihnen gerne gesagt, dass die hässlichen Gargoyl-Statuen, die so ziemlich alle Säulen und vorstehende Gemäuer zierten, für ihren Geschmack zu sehr danach aussahen, als würden sie jede Bewegung beobachten und alle Bewohner ausspionieren.
Neben ihr starrte Polonius die Fenster an, als könnte jeden Augenblick ein Ungeheuer durch das Glas springen und ihn fressen.
„Komm mit, du kannst heute Nacht bei mir schlafen", verkündete Jonah und nahm entschlossen die Hand des unsicher aussehenden Polonius.
Fragend zog Alakta eine Augenbraue hoch, doch Jonah grinste nur noch breiter und die beiden verschwanden im Haus.
Alakta fragte sich oft wie ihr Bruder so unbeschwert sein konnte, wo sie selbst doch regelmäßig von Albträumen von explodierenden Häusern, verschleppten Liebsten und unvorstellbarer Angst heimgesucht wurde.
Jonah war nur ein paar Jahre jünger als sie, doch es waren genug für ein komplett anderes Leben.
Seufzend öffnete sie ihren braunen Pferdeschwanz und betrat ebenfalls das Haus.

Projekt PandoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt