„Man ist allein mit allem, was man liebt." ~Novalis
Zu fliegen war ein tolles Erlebnis. Es fühlte sich wie dieser Moment an, wenn man auf der Schaukel am obersten Punkt angekommen ist oder wenn es mit der Achterbahn wieder nach unten geht.
Finja kam nicht darum herum, wie eine Verrückte zu grinsen, während Lilie sie mit Billy an ihrer rechten und Finja an der linken Hand, durch die Luft transportierte.
Allerdings konnten sie nicht ewig hier oben bleiben, schließlich waren sie jetzt gesuchte Verbrecher, und nur weil der Engel wieder abgedreht ist, hieß das nicht, dass er und seine Garde von Polizisten nicht wieder auftauchen konnte.
Außerdem waren sie in der Luft praktisch Freiwild: Hier war ja sonst niemand, also könnte ihr geflügelter Verfolger sie leicht erkennen und abpassen, also musste Lilie sie wieder auf dem Boden absetzen.
Finja kannte die Gegend: es war in der Nähe des Hafengebietes und große Industriegebäude und Fabriken türmten sich um sie herum.
Die Gegend war nicht wirklich für ihre viele touristische Attraktionen bekannt, deshalb standen sie auch alleine auf der kleinen schmutzigen Straße.
Billy, vom Flug noch etwas zittrig auf den Beinen, versuchte seine immer noch nassen und zerzausten Haare zu glätten und klatschte dann unternehmungslustig in die Hände: „Also, ich denke, es ist klar, was wir jetzt machen müssen,oder?"
Lilie sah ihn verwirrt an. Anscheinend hatte sie genauso wenig einen plan wie Finja.
„Na, wir besuchen Sana.", grinste Billy. Da hellte sich Lilies Gesicht auf und sie schob sich ihre silberne Brille die Nase hoch; Finja hatte aber immer noch keine Ahnung von wem die beiden sprachen.
Zum Glück schienen ihre beiden Freunde ihre Lage diesmal zu erkennen:
„Sana ist zwar selbst keine Energiewerferin wie du, aber in ihrer Familie gab es den letzten. Die Chancen stehen also gut, dass sie irgendwo noch ein paar Aufzeichnungen über diese Kräfte rumliegen hat und vielleicht hat sie sogar Informationen über die 13 Könige.", erklärte Billy.
Aha, also endlich eine Spur.
„So wie ich Sana kenne, vergammeln diese Aufzeichnungen schon seit 300 Jahren in einer ihrer vielen Schubladen und sie hat es bloß niemandem gesagt.", lachte Lilie.
„Ich freu mich schon auf das Winterland. Ich war schon ewig nicht mehr da."
Winterland?!
Finja befürchtete schon, sie müssten auf die Südhalbkugel reisen oder den Mount Everest besteigen, um jetzt irgendwo ein bisschen Schnee zu finden, als sie losgingen.
Doch da sollte Finja sich, wie so oft, irren.Wie sich herausstellte, mussten sie nach Bockenheim, ins Reichenviertel, um genauer zu sein. Die Frage war, wie sie da hin kamen. Schließlich mussten sie Finjas Auto auf dem Parkplatz vor dem Zirkus lassen.
„Diesmal nehmen wir aber mein Auto.", verkündete da Billy. Finja legte die Stirn in Falten: „Ich dachte ihr habt kein Auto...?"
Ihre Frage blieb unbeantwortet, aber Billy steckte die Hand durch das Fensters eines am Fahrbahnrand stehenden schwarzen Porsches und öffnete das Sicherheitsschloss von innen.
So ging es natürlich auch. Langsam begann Finja die Vorzüge von Magie zu genießen.
„Du musst aber fahren.", meinte er dann noch an Finja gewandt. Was? Jetzt sollte sie auch noch den gestohlenen, ziemlich teuer aussehenden Porsche fahren?
Plötzlich erschien ihr die Idee nicht mehr ganz so gut.
„Niemand sonst kann fahren.", meinte Billy zerknirscht.
Und ehe Finja sich versah, hatte der Blonde auch schon den Wagen kurzgeschlossen, und Lilie hatte entspannt lächelnd auf dem Beifahrersitz Platz genommen.
„Hey, ich wollte eigentlich vorne sitzen!", beschwerte sich Billy und schob sogar etwas schmollend die Unterlippe nach vorne.
„Kinder sollten hinten sitzen, denkst du nicht?", meinte Lilie nur trocken, aber ohne Hinzusehen konnte Finja das Grinsen aus ihrer Stimme raushören.
„Und vergiss nicht, dich anzuschnallen, Kleiner."
Grummelnd setzte sich der Angesprochene auf die Rückbank und Finja blieb keine andere Wahl als loszufahren.
Es ist ja für einen guten Zweck: Die Rettung der Welt, versuchte sie sich selbst zu ermutigen.Sie kamen in einen kleinen Stau, weshalb sie etwas länger brauchten, als normal; aber die Zeit wurde gut damit genutzt, dass die drei begeistert die vielen Radiosender und den anderen technischen Komfort ausprobierten.
Schließlich kamen sie dann doch an und Finja wusste, was Lilie mit ‚Winterland' gemeint hatte.
Sie standen vor einem großen viktorianischen Anwesen; eine Reihe kleiner zierlicher Bäume führte als Allee zu dem Eingang einer riesigen Villa aus blassrotem Stein mit etlichen kleineren Türmen, die wie übergroße Finger in den Himmel ragten. An der Außenfassade des Gebäudes und an den Fenstersimsen, waren einige kompliziert aussehende, goldene Verzierungen angebracht, die Finja auf die Entfernung aber nicht genau ausmachen konnte.
Oh, und außerdem lag der gesamte Platz von einer feinen, aber stetigen Schneeschicht und es schneite immer mehr.
Finja fragte, ob das Ganze auch nur eine Illusion sei, da sie sich nicht vorstellen konnte, wie es sonst mitten im Sommer schneien sollte.
„Ne, nicht ganz. Weisst du, Sana ist eine Wintermentikerin. Ihr Spezialgebiet ist Schnee und Eis und das alles.", erklärte Billy.
„Pass aber auf: Sana ist eine Meisterin der Manipulation. Und sie ist sehr mächtig und auch gefährlich. Sie wird versuchen dich zu einem Fehler zu animieren, nur damit sie dich bestrafen kann. Also tu am besten nur das, was wir auch tun. Nichts. Anderes!", fügte er noch hinzu. In Billys Stimme schwang nicht nur Sorge, sondern auch eine Drohung mit.
Wieso war diese ganze Welt nur so gefährlich?
Finja nickte ernst und zu dritt betraten sie das Winter-Wunderland.
Sie musste zugeben, dass es wunderschön war: Sonnenstrahlen fielen auf den frischgefallenen Schnee und ließen ihn in einem so hellen Weiß erstrahlen, dass Finja sich vorkam wie im Himmel. Aber es war auch verdammt kalt und in ihren kurzen Sommerklamotten zitterten alle drei, denn auch Billy und Lilie hatten nicht mit einem Besuch bei Sana gerechnet und somit auch keine wärmeren Anziehsachen dabei.
Zweimal ist Finja sogar ausgerutscht und wäre hart auf den Boden aufgeschlagen, wenn Lilie sie nicht geistesgegenwärtig am Arm hochgezerrt hätte.
Finja lächelte ihrer Freundin dankbar zu, als ein eisiger Wind durch die Allee wehte, Finja frösteln ließ und anscheinend eine Wand von dunklen, bedrohlich aussehenden Wolken mit sich brachte, die sich jetzt hinter dem Anwesen auftürmten.
Sie bemerkte, dass an der Eingangstür plötzlich eine Frau stand. Hoheitsvoll betrachtete sie die Neuankömmlinge.
Ihre dunkelbraune Haut hob sich beeindruckend von dem weißen Ambiente der Umgebung ab und ihre langen weißen Haare waren zu einem Zopf geflochten. Die Frau sah jung aus; etwa Mitte 30, und sie trug einen Anzug, der ebenfalls komplett weiß war.
Finja begriff, dass diese Frau vor ihr Sana sein musste, denn sie strahlte eine Aura aus purem kaltem Eis aus.
Sie wirkte in der Tat sehr mächtig und gefährlich, weshalb Finja unauffällig einen Schritt näher an ihre Freunde herantrat.
Nur für alle Fälle.
„Sana!", rief Billy freundschaftlich, aber es klang zu aufgesetzt um aufrichtig gemeint zu sein.
„Wie geht's dir so? Wie lang ist das jetzt schon her? Wir beide müssen unbedingt mal wieder etwas unternehmen, hm? Wie wär's, komm doch mal zum Essen vorbei.", redete er weiter in einem gönnerhaften Ton.
Finja sah augenblicklich ein sehr angespanntes Abendessen, bestehend aus Theias Curry, vor sich.
Sie schaffte es gerade noch so nicht zu lachen.
Sana beachtete Billy nicht weiter, sondern wandte sich an Lilie:
„Lilie! Schön dich zu sehen, wir feiern hier gerade eine kleine Geburtstagsparty für den kleinen Jason Taller, es gibt sogar einen DJ. Was meinst du, können wir deinen Bruder auch einladen? Meinst du die Musik könnte ihm gefallen?", fragte sie süffisant. Finja fand selbst ihre Stimme klang zu süß, zu perfekt, wie der makellose Schnee und Anzug.
Das war ein harter Schlag, doch Lilie verzog nur für den Bruchteil einer Sekunde bitter das Gesicht, bevor sie höflich lächelnd antwortete:
„Nein, ich denke eher nicht."
Finja erinnerte sich daran, dass Billy gesagt hat, Sana sei sehr manipulativ.
Sie konnte ihm nur zustimmen.
Sie verachtete die hübsche Frau jetzt um so mehr.
„Wir wollten eigentlich...", fing Billy von Neuem an um die unangenehme Stille zu durchbrechen, doch Sana unterbrach ihn:
„Ich weiß, weshalb ihr hier seid." Ihre Stimme klang auf einmal schneidend, bevor sie sich wieder etwas beruhigte:
„Kommt doch rein."
Schweigend folgten sie Sana in ihr Haus. Das Innere des Anwesens sah ähnlich ehrwürdig und alt aus, wie das Äußere: zunächst befanden sie sich in einer weiten Eingangshalle, an deren Ende eine goldene Tür offenstand. Dahinter wiederum konnte Finja Menschen, tobende Kinder und verschiedene Tische und Bänke mit Essen drauf erkennen, leichte Musik war zu hören. Das musste also die Party sein.
Doch Sana führte sie zu einer kleinen Treppe am Rand der Halle.
Die Treppe bestand aus Holz, knarzte aber überraschenderweise nicht, obwohl sie und das ganze Haus schon sehr alt wirkten. An den Wänden, in die Holzvertäfelung, waren unbekannte Schriftzeichen und Symbole geritzt, die Finja gerne länger studiert hätte, aber sie hatten keine Zeit.
Irgendwie hatte sie das Gefühl, die Bilder würden eine Geschichte erzählen.
Billy und Lilie liefen vor ihr und Billy legte der Dunkelhaarigen beruhigend eine Hand auf die Schulter.
„Hier bitte sehr.", verkündete Sana am oberen Treppenabsatz und stieß eine unscheinbare, einfache Tür auf, hinter der sich aber die größte Bibliothek befand, die Finja je gesehen hatte.
„Bleibt. Hier.", obwohl Sana schon die ganze Zeit ein seltsames Verhalten an den Tag gelegt hat, klangen ihre Worte jetzt zum erste Mal wirklich bedrohlich.
Mit einem mulmigen Gefühl betrat Finja den Raum.
Mal wieder mussten sie Bücher durchforsten, auf der Suche nach irgendetwas, dass auf die Energiewerfer oder diese 13 Steine hinweisen könnte.
Finja konnte sich nicht richtig konzentrieren, und das lag nicht nur daran, dass von unten die Musik und das Gelächter immer lauter wurden, sondern auch daran, dass es da etwas gab, das keinen Sinn ergab.
In ihrem Hinterkopf war diese nagende Stimme, die ihr einredete, dass hier etwas faul war. Irgendetwas, das Sana gesagt hatte....Nur was?
Sie suchten weiter.
Bis....
„Leute...?", rief da auf einmal Lilie leicht verunsichert. „Kommt mal her."
Sie hörte sich nicht so an als hätte sie etwas positives gefunden.
Lilie stand vor einer der wenigen Stellen, die nicht vollgestellt waren mit Büchern, es war eine einfache Steinmauer, aber auch hier waren diese mysteriösen Symbole eingeritzt.
„Sind das etwa...Kyrilien?", fragte Billy stirnrunzelnd und beugte sich etwas vor um die Wand genauer betrachten zu können.
„Ja", flüsterte Lilie und mit einem Seitenblick auf Finja, fügte sie hinzu:
„Die Kyrilien sind eine alte Mentiker-Sprache. Sie können sogar etwas unserer Magie aufnehmen, je nach dem wie mächtig ihr Zeichner war. Ich kann sie ein bisschen lesen, und ich glaube hier steht etwas von Schutz und den...Naruli.", schloß sie.
„Weißt du das, oder glaubst du das nur, denn wir können nicht einfach Sanas Schutztauber übergehen.", meinte Billy seltsam gereizt.
Lilie sah sich nochmal die Schriftzeichen an und sagte dann entschlossen:
„Ja, doch, ich bin mir sicher."
Dann bat sie Billy um eins seiner Messer, das er ihr mit versteinerter Miene reichte. Finjas Freundin machte sich daran mit der Klinge die Symbole nachzufahren oder ganz Neue leicht einzuritzen.
Finja bewunderte Lilie dafür, dass sie diese Zeichen einfach so entziffern konnte, und sah ihr staunend zu.
Ein leises Klacken und die Wand schob sich zur Seite. Ein geheimes Zimmer!
Zufrieden lehnte sich Lilie wieder etwas zurück und gab Billy sein Messer zurück.
Der geheime Raum, war streng genommen kein eigenständiges Zimmer, sondern eher so klein, dass er einer Abstellkammer glich.
Allerdings stand dort eine Art Konstruktion, die stark an einen Thron erinnerte: Sie war ganz aus Gold und hatte 13 etwa handgroße Sessel, von denen jeder mit einer eigenen Farbe künstlerisch verziert worden war.
Es sah aus wie ein modernes Kunstwerk.
Aber das konnte es nicht sein, denn Billy zog scharf die Luft ein und Lilie schlug sich die Hand vor den Mund, als sie begriffen, was das war.
Finja hatte mal wieder keine Ahnung.
„Oh Gott. Das ist eine Vorrichtung für die 13 Könige! Damit können sie sie aufbewahren und immer benutzen wann sie wollen,... oder auch zerstören.", flüsterte Lilie erschrocken.
Da begriff auch Finja: Sana war eine der Mitraer.
Sie hatte sie in eine Falle gelockt und sie waren voll hineingelaufen.
„Da hast du Recht.", sagte eine Stimme hinter ihnen.
Alle drei Freunde wirbelten herum. Einige Meter von ihnen entfernt stand Sana in ihrem weißen Anzug und sprach durch zusammengebissene Zähne:
„Das werdet ihr noch bereuen, glaubt mir."
Sie klang undeutlich und seltsamerweise erinnerte sie Finja an ein kleines Albino-Kätzchen.
Sanas dunkle Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln.
DU LIEST GERADE
Projekt Pandora
FantasyFinja ist eine ganz normale 18-Jährige, bis sie eine sehr seltsame Erfahrung bei der Arbeit macht. Als sich dann aber die Ereignisse überschlagen, findet sich Finja in einer magischen Welt wieder mit Kreaturen älter als die Zeit und Geheimnissen, di...