Kapitel 39

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„Für freie Menschen sind Drohungen wirkungslos." ~Cicero

Clara war bewusst, dass Mikos sie nicht ausstehen konnte. Sie sah es an seinem abschätzigem Blick und der Art, wie er immer die Nase rümpfte, wenn sie etwas sagte. Es war dasselbe Verhalten, wie es die meisten Menschen bei ihr benutzten. Sie wusste auch, dass sie so etwas nicht an sich ranlassen durfte, aber das war so schwer...
Doch zum Glück waren Mikos und Sasja kurz hochgegangen, um sich etwas zu Essen zu machen, den Rucksack hatten sie mitgenommen, ganz offensichtlich trauten sie ihr nicht ganz über den Weg. Jetzt war sie allein mit dem Gefangenem.
Allerdings starrte Lake sie die ganze Zeit an und Clara versuchte verzweifelt seinem Blick auszuweichen. Sie mochte es nicht, wenn jemand sie zu lange ansah.
„Du bist dir auch nicht mehr sicher, oder?", fragte Lake jetzt sanft.
„Das geht sie gar nichts an!", gab die Rothaarige bissig zurück.
„Warum lässt du dich so von den beiden anderen behandeln?", fragte Lake weiter. Auf einmal klang er seltsam traurig.
„Ich kenn es ja nicht anders...", murmelte Clara und senkte den Kopf.
„Machst du deshalb hier mit? Weil du denkst, die ganze Welt hasst dich und hat es auf dich abgesehen?"
Clara wusste, was Lake mit seiner Fragerei bezwecken wollte: sie umzustimmen. Sie fand das Ganze aber nur nervend, obwohl Lake der Wahrheit schmerzhaft nah gekommen war.
„Sie können mich nicht umstimmen.", meinte sie und hob den Kopf wieder, um auf den Mann, der vor ihr in Ketten knien musste, von oben herab betrachten zu können.
Sie mochte den Ausblick ganz und gar nicht.
„Wenn die Welt erstmal von allem Bösem befreit ist, werden sich alle übrigen, mich eingeschlossen, viel besser fühlen.", meinte sie entschlossen.
„Und wie läuft das bisher so?", fragte Lake mit einem kleinen Grinsen nach. Aber es sah nicht allzu gemein aus.
Clara stutze und musste unwillkürlich an Sasjas Sticheleien über ihr Gewicht denken.
„Ähm...Na ja geht so.", gab sie schließlich zähneknirschend zu.
„Glaub mir, selbst wenn alle, die dir je etwas getan haben, tot wären, würdest du dich nicht wesentlich besser fühlen. Zumindest nicht für lange.", vertraute ihr Lake bitter an.
Er sah sie eindringlich an.
„Du denkst du kannst deine bisherigen Erfahrungen auf alles und jeden projizieren, aber das stimmt nicht. Manche werden dich mögen, andere hassen, und anderen bish du schlichtweg egal. Menschen sind nicht nur schwarz und weiß, manche sind grau; und glaub mir, es gibt sehr viele verschiedene Grautöne."
Clara dachte tatsächlich über Lakes Worte nach, während der Gefangene versuchte eine bequemere Sitzposition zu finden; eine, in der seine Knie sich nicht so anfühlen, als würden sie jeden Moment zermalmt werden.
„Aber, ich hab schon so vieles für Alakta und die Mitraer getan; meine Schuld an der Sache ist viel zu groß, als dass mir jemand vergeben würde, geschweige denn mir helfen!"
Lake betrachtete sie mit seinen von der Brille stark vergrößerten Augen und einem weisen Ausdruck auf dem älteren Gesicht.
„Deine Schuld ist noch nicht zu groß, Mädchen. Wir sind nicht die Summe unserer Fehler, hörst du? Wenn du es jetzt wieder gut machst, wird alles in Ordnung kommen.", versicherte er ihr lächelnd.
In dem Moment kam Mikos wieder die Treppe runter. Mürrisch blickte er von Clara zu Lake, bevor er sich wortlos auf einem Stuhl niederließ und den Rucksack auf den Boden neben sich stellte.
Sasja folgte ihm mit einer Wasserflasche in der Hand und auch sie beachtete Clara nicht weiter.
Lake warf der Italienerin einen bedeutungsschweren Blick zu.
Wir sind nicht die Summe unserer Fehler.'
Plötzlich sprang Clara auf und ließ zwei elektrische Blitze auf Mikos und Sasja los, die völlig überrumpelt ohnmächtig zu Boden gingen.
Die Ladung hatte die zwei komplett ausgeknockt, aber das würde nicht ewig so bleiben. Erst da fiel ihr auf, dass sie gar nicht wusste, wo der Schlüssel zu Lakes Fesseln war.
„Ich-tut mir leid, ich kann Sie nicht mitnehmen; tut...tut mir wirklich leid.", entschuldigte sie sich und wurde angesichts ihrer eigenen Dummheit ganz rot im Gesicht.
Doch Lake lächelte verständnisvoll.
„Schon gut, bring lieber den Rucksack hier raus; der scheint ja verdammt wichtig zu sein."
Sie tat wie ihr geheißen; stieg über Mikos liegenden Körper und wollte schon die Treppe hoch stürmen, als sie sich nochmal umdrehte und ein leises, aber sehr ernstgemeintes „Danke!" flüsterte.
Dann lief sie hoch, die Tür hinaus in die Nacht und tat das, was sie eigentlich gar nicht konnte: sie rannte.

Als sie endlich mit scharlachrotem Kopf und nach Luft ringend am Rebellenhaus ankam, klingelte sie wie eine Verrückte. Es war zwar mitten in der Nacht, aber sie brauchte etwas Sicherheit. Und wer weiß, vielleicht war Nikolai auch hier?
Ein verwirrt und alarmiert aussehender, blonder Mann, den Clara als Billy Miller erkannte, machte ihr auf.
„Ich, ich bin Clara Rossi, ich hab die 12 Könige dabei", demonstrativ hielt sie den Rucksack nach oben.
Billys Augen weiteten sich:
„Oh, Scheiße."

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