Kapitel 21

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„Das sind auch nicht immer die schlechtesten Menschen, die störrisch sind." ~ Immanuel Kant

Houston, Texas, USA
05:36 Uhr Ortszeit
„Nikolai Morosow und Clara Rossi?", fragte der schmierige Mitarbeiter am Schalter des George-Bush-Flughafens in Houston in einem schrecklichen texanischen Akzent.
Ernsthaft, wenn der Typ sich noch einmal mit den Fingern durch seine fettigen Haare fuhr und danach ihre Visen betatschte, würde Nikolai alles desinfizieren müssen.
Gut, dass Clara extra noch Desinfektionsmittel eingepackt hatte.
„Ja, genau", antwortete die Italienerin auf Englisch.
„Und der Grund ihres Besuches?", fragte der Mann, der, wie ein Blick auf sein Namensschild verriet, Timothy Kline hieß, gelangweilt weiter.
Nikolai lächelte: „Wir wurden beauftragt, 13 uralte Steine einzusammeln, um das vermeintliche Ende der Welt herbeizuführen."
Timothy zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„Also, ich trag dann ‚Urlaub' ein, okay?"
Sobald er sprach, sag man beunruhigend viele gelbe Zähne in seinem Mund. Wie unappetitlich.
„Tun Sie das.", meinte Clara sanft und gab Nikolai unter der Theke einen Stoß in die Rippen. Sie nahm diese Sache viel ernster als er.
Dabei waren beide, Clara und Nikolai, viel besser gelaunt, als noch vor einpaar Stunden. Nach Alaktas Anruf, hatten sie einen neuen Auftrag: die 13 Könige einsammeln und nicht nur überwachen. Das bedeutete vor allem eins: endlich Action!
Nicht mehr nur ödes Rumgesitze, sondern auch mal etwas unternehmen.
Ja, das war mehr nach Claras und Nikolais Geschmack.
Sie verließen schnellen Schrittes den Flughafen, wobei sie glücklich an etlichen lauten Touristen mit tobenden Kindern vorbeizogen.
Die beiden hatten Glück, denn vor dem Eingang warteten schon einige Taxen auf Kundschaft, und da sie einen der ersten waren, hatten sie freie Wahl.
Sie nahmen sich das erstbeste Auto und verstauten jeweils einen kleinen Koffer im Kofferraum. Eigentlich bräuchten die beiden diese Koffer nicht einmal. Sie planten keinen längeren Aufenthalt und sie würden so schnell wieder fertig sein, dass es sich kaum lohnte groß Gepäck mitzunehmen.
Aber es kam sehr verdächtig rüber aus einem Flughafen ohne Koffer oder Taschen zu treten.
Das ganze Prozedere erschien routiniert, schließlich hatten Clara und Nikolai das schon oft gemacht, sie waren es gewohnt schnell und effizient von einem Ort zum nächsten zu gelangen.
Sie setzten sich auf die Rückbank und der Fahrer brummte: „Wohin soll's gehen?"
„In die Downtown.", meinte Nikolai entschlossen und das Taxi fuhr los.
In den Fahrzeug stank es fürchterlich nach Zigarettenrauch, aber dagegen konnten sie jetzt nichts tun.
„Ihr seit nicht von hier, oder?", fragte der Taxifahrer schmatzend mit einem Kaugummi im Mund, und sag die beiden misstrauisch im Rückspiegel an.
Na toll, so einer also.
„Jaa, wir sind hier im Urlaub, wissen Sie. Wollten mal in die Staaten, und... uns alles ansehen.", lachte Nikolai; er verstärkte beim Sprechen seinen leichten russischen Akzent sehr stark.
Der namenlose Fahrer zog die Augenbrauen zusammen, sagte aber nichts mehr.
Sie brauchten nicht lange, der Verkehr war vergleichsmäßig wenig und schon standen sie in genau der Straße, die Clara vorher auf Google Maps ausgesucht hatte.
Hier gab es einen Schrank mit Schließfächern für die Touristen, wo sie ihre Koffer lassen konnten, denn keiner von beiden hatten Lust diese den ungefähr 20-minütigen Fußmarsch zu der abgelegenen Kirche, die ihr eigentliches Ziel war, mitzuschleppen.
Sie hätten natürlich auch direkt zu dieser Kirche fahren können, aber das hätte vielleicht zu viele Fragen von dem Fahrer aufgeworfen. Im schlimmsten Fall hätten sie ihn danach töten müssen.
Clara bezahlte den Taxifahrer, sagte zu ihm: „Grazie", und lächelte ihn extra freundlich an, nur um ihn zu ärgern. Der Mann brummte etwas unverständliches und zog ab.
Clara und Nikolai sahen sich kurz vielsagend an, nahmen sich dann ein Schließfach (Nummer 146) und machten sich auf den Weg.
Es war unglaublich heiß und die Sonne brannte ohne Erbamen auf die zwei nieder. Clara hatte sich ihre langen roten Locken zusammengebunden, trotzdem war sie vor der Hitze ganz rot im Gesicht. Nikolai konnte nur vermuten, dass er nicht besser aussah, ganz verschwitzt. Er wünschte er hätte leichtere Kleider angezogen. Aber naja, da müssen sie jetzt durch, soweit war es schließlich nicht mehr.
Nikolai spürte die Anspannung in der Luft, Clara wollte mit ihm reden. Und tatsächlich öffnete sie irgendwann den Mund: „Nikolai?", fing sie zögernd an. Der Braunhaarige nickte ihr aufmunternd zu, zu mehr reichte seine Energie einfach nicht mehr.
„Bereust du es? Mit mir zusammen gewesen zu sein, meine ich?"
Nikolai blieb abrupt stehen, während Clara noch ein Stückchen weiter ging, bis sie ihren Fehler bemerkte und verwirrt zum Halt kam.
„Wie kommst du denn jetzt darauf?" Nikolai war ernsthaft verwirrt.
Clara biss sich verunsichert auf die Lippe.
„Du bist doch nicht mehr glücklich. Sind wir beide nicht mehr. Zumindest nicht mehr richtig. Vielleicht wäre es besser wenn wir... naja...ähm.. getrennte Wege gehen?", schloß sie zaghaft.
Da hatte sie Recht, darüber hatte er ja auch schon mit ihr reden wollen. Aber doch nicht so.
„Clara, ich stimme dir zu, dass es besser wäre, wenn wir uns trennen, aber ich will dich nicht verlieren. Nicht als Freundin verlieren. Du bist eine großartige Person! Die Jahre mit dir waren die bisher besten meines Lebens, für nichts auf der Welt würde ich die wieder hergeben. Ich bereue gar nichts. Wir haben uns einfach auseinander gelebt. Das passiert, kein Problem."
Clara lächelte und sah ihn an.
„Ich bin froh, dass es dich gibt."
„Das bin ich auch. Freunde?", meinte Nikolai sanft und Clara nickte.
Er fühlte sich viel besser, als wäre eine große Last von seiner Schulter genommen worden, was ja auch stimmte.
Auch Clara war erleichtert, die Sache hinter sich gebracht zu haben , denn ihr Gang war erheblich leichter als noch vor ein paar Minuten.
Endlich hatten sie die verlassene Kirche erreicht. Sie war nichts besonderes: aus dunklem Holz gebaut im Stil der 40er Jahre und es war schon lange niemand hier gewesen, denn innen war alles mit einer dickem Staubschicht überzogen. Eine einzige verlassene Bibel lag noch vorne auf dem Lesepult.
Still schweigend machten sie sich an die Arbeit: Die 13. Diele war locker und Nikolai hob sie an, damit Clara die Box, die schon seit Jahrzehnten dort unten lag, herausfischen konnte.
Sie holten den Stein heraus. Genau wie die Kirche, sah auch er nicht besonders aus: ein einfacher rauer, grauer Stein, gerade groß genug um in Claras kleine Handfläche zu passen.
Kaum zu glauben, dass so etwas eine solche Macht besaß.
„Wir sind uns sicher, oder? Dass wir das richtige tun?", fragte Clara.
Nikolai betrachtete noch mal den Stein; er erinnerte ihn an sich selbst: Von allen übersehen, weil sie ihn nicht ernst nahmen. Aber diesmal würde sich das ändern: Der Stein und Nikolai würden es allen zeigen.
„Ja, wir sind uns sicher.", antwortete er hart.
Das war erstaunlich leicht gewesen.
Hoffentlich hielt ihre Glückssträhne an.

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