Kapitel 24

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„Geladne Gäste schießen nicht." ~Gerhard Branstner

Ungeduldig wippte Mikos auf seinen Fußballen auf und ab. Er betrachtete die umherlaufenden Menschen in dem großen, steril eingerichtetem Wartebereich des Krankenhauses und verzog die Mundwinkel dabei mürrisch.
Alles ging ihm auf die Nerven: das Geschnatter der Wartenden, die helle Möbilierung, selbst die paar Plastikpflanzen, die man in dem verzweifelten Versuch das Ambiente für die Patienten angenehm aufzulockern, aufgestellt hatte; das alles schien ihn nur zu verhöhnen. Außerdem roch es hier überall nach Desinfektionsmittel. Mikos hasste diesen Geruch. Er erinnerte ihn viel zu sehr an seine Kindheit.
Diese kleine Schlampe hatte ihn den Arm durchbohrt, einmal quer durch, doch unglücklicherweise hatten sie keinen Heiler auf ihrer Seite, weshalb Mikos mit Sasja ins Krankenhaus fahren musste, um die Wunde behandeln zu lassen.
Eigentlich lief auch alles gut, sie mussten nur etwa zehn Minuten warten, der Heiler konnte das klaffende Loch in Mikos Oberarm schnell wieder schließen (er hatte noch nicht mal nach einem Grund gefragt), dann bekam der Tscheche noch eine kleine Infusion, damit sein Kreislauf stabil blieb und schon könnten sie wieder gehen.
Aber für Mikos war diese Prozedur schon viel zu langwierig.
Er wusste, was auf ihn zukommt: die Manie.
Es begann immer mit dieser Ungeduld, die ihn jetzt dazu zwang von einem Bein auf das andere zu hüpfen, dann ging es weiter mit dem unglaublichen Verlangen irgendetwas zu tun, auch wenn seine Vorhaben in dieser Phase auf andere gefährlich und befremdlich wirken mochten.
Wie zum Beispiel die Apokalypse herbeizuführen.
Trotzdem war nach Monaten seiner letzten Depression, dieses Gefühl endlich aufgewacht zu sein, eine nette Abwechslung.
In der letzten Zeit, hatte er es nur Sasja zu verdanken, dass er überhaupt noch lebte, da sie ihn immer wieder zum Essen oder Aufstehen gezwungen hatte, sonst wäre er wahrscheinlich den ganzen Tag im Bett liegen geblieben.
Eigentlich müsste Mikos seiner Freundin dankbar sein, dass sie sich so um ihn gekümmert hat, aber in diesem Moment konnte er einfach nicht anders als sich über sie zu ärgern:
Sasja wollte noch kurz die Formalitäten ihres Besuches und von Mikos' Behandlung klären, allerdings dauerte das schon wieder viel zu lange...
Nyní si pospěšte, Sasja.", murmelte er, wobei er beinahe über die Worte stolperte, so schnell sprach er sie aus. Dabei war Tschechisch seine Muttersprache.
Sasja sollte sich gefälligst beeilen.
Endlich kam sie wieder um die Ecke geschlendert.
„Na endlich!", meinte Mikos erleichtert.
„Okay, wir können los, Schatz. Hast du alles?", plauderte Sasja munter los.
Mikos grunzte nur zustimmend.
Gerade als sie gehen wollten, brach hinter ihren Rücken ein Tumult los.
Mikos drehte sich ungeduldig, aber auch neugierig um.
Was war denn jetzt wieder?
Menschen hatten einen Haufen um das gebildet, das anscheinend alle so aufregte; Mikos konnte nicht genau sehen was es war, aber er war sich ziemlich sicher, es war eine Person, die dort auf dem Boden zusammen gebrochen ist.
Eine ohnmächtige Person.
Schwestern und ein Ärzteteam hatten sich auch schon dort versammelt, verscheuchten mit ernsten Mienen die Schaulustigen und hoben den Verletzten auf eine rollbare Bahre.
Der Größe nach zu urteilen, war es ein Junge; er kam Mikos seltsam bekannt vor.
Ja, die Kleidung und die dunklen Haare hatte er schon mal gesehen, nur wo?
Sasja neben ihm holte kurz schnappend Luft und umklammerte seinen Arm.
Leider war es Mikos' verletzter Arm und Sasja grub ihre Fingernägel so tief rein, dass es auch noch durch den Verband etwas schmerzte.
Er zuckte kurz zusammen und wand dann seinen Arm aus Sasjas Griff, diese schien seine Situation gar nicht wahrzunehmen, denn sie flüsterte nur:
„Das ist Jakob! Jakob Perez."
„Was?!"
Jetzt wusste Mikos auch, woher er den Jungen kannten: es war der Kleine von den Rebellen.
Was machte der denn hier? Er war verletzt, sehr stark sogar, so viel war klar.
Nur wer hatte ihn so zugerichtete?
Hatte Alakta noch einen Angriff geplant, ohne Mikos und Sasja? Aber wo waren dann Jakobs Freunde? Die würden doch einen von ihnen in so einer Situation nie allein lassen...Außer sie waren schon tot...
Sasja sah ihn an. In ihrem Gesicht lag ein wissender Ausdruck: Beide wussten was jetzt zu tun war: Sie mussten Jakob umbringen, je weniger es von den Rebellen gab, desto besser.

Also warteten sie.
Und warteten.
Und warteten.
Für Mikos war diese Warterei schlimmer als jede Folter. Wütend starrte er auf die Uhr, die an der gegenüberliegenden Wand hing. Ihre Zeiger wollten sich einfach nicht bewegen; die Uhr ging doch falsch, oder?! So langsam kann die Zeit doch einfach nicht sein!
Sasja las in ihrem Handy und Mikos wünschte er könnte sich auch so auf eine Sache konzentrieren, aber das war unmöglich.
Er nestelte solange an seinem Verband herum, bis dieser fast wieder abfiel, dann unterließ er auch das.
Einmal schlug er sogar aus Langeweile mit der Faust gegen die Wand, was ihm von den anderen Besuchern verstörte und von seiner Freundin tadelnde Blicke bescherte.
Mikos wusste, dass Sasja seine Manie-Phasen mehr hasste als die Depressionen; sie kümmerte sich zwar immer um ihn in seinen Tiefphasen, aber da konnte sie ihn auch besser kontrollieren...
Die beiden wussten zwar nicht genau, was mit Jakob passiert war, aber wahrscheinlich war er gerade in einer Not-OP, da konnten sie schlecht einfach so reinplatzten, also mussten sie warten.
Endlich, nach gefühlten Stunden, blickte Sasja auf und stieß ihm ihren Ellenbogen in die Rippen.
Wieso musste sie ihn eigentlich immer so verletzten?
„Da! Das ist der Heiler, der Jakob weggebracht hat!", flüsterte sie ihm zu und nickte mit dem Kopf zu einem unscheinbaren Mann mit grauen Haaren und einem ausrangierten grauem Kittel.
Natürlich könnten sie nicht mit 100%iger Sicherheit sagen, dass dieser Heiler Jakob auch operiert hatte, aber Mikos wäre alles recht gewesen, um aufzustehen.
Sasja und er machten sich auf den Weg. Es war nicht schwer zu erraten, dass der kleine Rebelle sich gerade in einem der Aufwachräume der Intensivstation befand. Und da gingen sie jetzt auch hin. Niemand versuchte sie aufzuhalten; die Leute ließen einen in Ruhe überall hin spazieren, wenn man so aussah, als gehöre man dorthin.
Nach kurzem Suchen fanden sie schließlich seinen Raum.
Jakob lag in einem Bett, angeschlossen an mehrere Maschine, die hin und wieder fiebten oder blinkten und bewegte sich nicht.
Seine Augen waren geschlossen, aber er atmete noch, also schlief er nur.
Sasja und Mikos sahen sich an, sie brauchten keine Worte mehr um sich zu verständigen: Sie hatten keine Waffen mitgenommen (in einem Krankenhaus käme das auch sehr verdächtig rüber, außerdem wurden die Sicherheitsmaßnahmen erst kürzlich verstärkt), also mussten sie Wohl oder Übel improvisieren:
Sasja nahm vorsichtig eins der Kissen, während sich Mikos an den schlafenden Jungen ranschlich um ihn nachher packen zu können.
Zunächst sachte drückte die Blonde das Kissen auf Jakobs Gesicht, dann wurde ihr Griff stärker.
Der Mexikaner wachte langsam auf und begann sich in Panik zu winden, als sein Gehirn realisierte, was gerade passiert.
Mikos sprang nach vorne und drückte Jakobs dünne Arme auf die Matratze, während er gleichzeitig seinen Oberkörper still hielt.
Doch Jakob kämpfte so dagegen an, dass sich die Verbände auf seiner linken Seite langsam aber sicher zu lösen begannen.
Mikos verlor seinen Halt und auch Sasja hatte Probleme dem Jungen die Luft abzuschnüren.
Mikos murmelte unverständlich vor sich hin. Der Typ soll einfach still halten!
Entschlossen packte er Jakobs verbrannten Oberarm und trieb seine Finger tief in das geschundene Fleisch.
Jakob kreischte schmerzerfüllt auf und Mikos lachte tief.
Oh ja, das musste wehtun. Ihm machte das einen Heidenspaß.
Doch der Junge wollte einfach nicht aufgeben; er wand sich immer weiter, bis er einfach...verschwand??
Wo war er hin?
Verwirrt und verärgert starrte Mikos in das leere Bett.
Sasja fiel ohne den Widerstand des Körper unter dem Kissen nach vorne und schaute dann genauso verwirrt zu Mikos.
„Verdammt! Er muss teleportiert sein!", rief der Dunkelhaarige erbost.
Sasja biss die Zähne zusammen. Auch sie war verärgert; sie mussten Jakob wiederfinden!

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