Kapitel 30

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„In der Einsamkeit findet und verliert sich der Sinn vom Sein." ~Anita

Das Regierungsgebäude befand sich direkt am Main und es herrschte geschäftiges Treiben als Sasja und Mikos dort ankamen.
Viele wichtig aussehende Geschäftsleute in teuren Anzügen oder Blazern gingen dort aus und ein. Man könnte meinen, das Sasja und Mikos in ihren normalen Alltagsklamotten dort auffielen wie bunte Hunde, aber niemand beachtete sie, jeder war viel zu arg mit sich selbst beschäftigt.
Nachdem Jakob ihnen entkommen war, mussten sie Alakta anrufen, die nur gemeint hat, sie sollen die Rebellen links liegen lassen und sich lieber um das Portal kümmern.
Also waren sie jetzt hier, um einen der bedeutendsten Regierungschefs der Mentikerwelt zu entführen.
Was ein Spaß.
Mikos wäre lieber auf Rebellenjagd gegangen.
Sie betraten das graue Gebäude und gingen schnurstracks zu einer der Empfangstheken. Die Dame die dahinter saß trug ein teures rotes Kleid und blickte abschätzig auf Sasjas normale Kleidung. Sie versuchte es noch nichtmal, ihre Meinung darüber zu verbergen.
Doch Sasja wusste, dass sie es eigentlich besser hatte, immerhin musste sie nicht den ganzen Tag am Schreibtisch hocken.
Sie lächelte genauso herablassend und meinte: „Guten Tag, wir würden gerne mit HerrN Lake sprechen."
„Natürlich, haben sie einen Termin?", fragte die Sekretärin in einer viel zu hohen Stimmlage.
Mikos hätte ihr am liebsten eine reingedonnert.
„Ja.", lügte Sasja.
Entschlossen gingen die beiden weiter, während die Empfangsdame verzweifelt in ihrem Computer nach dem vermeintlichen Termin suchte.
Lakes Büro zu finden war nicht sonderlich schwer, alles war gut ausgeschildert und ihm zweiten Stock wurden sie endlich fündig: ‚Tyler Lake'
Mikos öffnete die Tür und schloss sie auch wieder hinter ihnen. Lake, ein Mann Ende 50 mit langsam ergrauenden Haaren und einer unvorteilhaften Hornbrille, sah die beiden perplex an.
„Ähm...entschuldigen Sie, aber wer sind Sie? Und Sie können hier nicht einfach reinkommen!"
„Du willst mit uns kommen", sagte Sasja in einem tiefen Bariton, den man ihrem zierlichen Körper gar nicht zugetraut hätte.
„Du willst alle Termine absagen und mit uns kommen. Das ist schon seit Wochen so ausgemacht, du hast es nur vergessen zu erwähnen. Wir sind alte Freunde."
Lakes wässrige Augen wurden seltsam leer und verträumt. Er lächelte sogar leicht. Der Tacker, den er in den Händen hielt, fiel klackernd auf seinen Schreibtisch.
„Ja, das stimmt. Ja, natürlich.", meinte er etwas fahrig, erhob sich aber und führte sie an.
Auf dem Weg begegneten ihnen einige Leute, die mit Lake reden wollten und dabei Sasja und Mikos geflissentlich übersahen, doch Lake schüttelte sie alle ab. Kurz vor dem Ausgang eilte die Sekretärin von vorhin auf sie zu.
„Herr Lake, ich-"
„Alles gut, Stacey, sag meine ganzen Termine für heute ab, ich habe zu tun."
Stacey machte sich wieder pflichtbewusst an die Arbeit und die drei schritten durch die Eingangstür nach draußen. Niemand hielt einen auf, wenn man freiwillig ging.

In Alaktas Haus hatten sie Lake in den Keller geführt und gefesselt. Langsam ließ Sasjas Magie nach und Lake wurde wieder er selbst. Hatte ja auch lange genug gedauert, vor lauter Langeweile hatte Mikos angefangen verschieden Rhythmen auf seinen Oberschenkel zu trommeln und kleine Muster in die Wand zu ritzten.
„Ahh...was ist passiert?", fragte er stöhnend.
„Wir haben dich entführt. Wir sind die Mitraer, vielleicht hast du schonmal von uns gehört.", erklärte Sasja munter.
Lake starrte sie erst etwas perplex an, aber er war clever und langsam schien er sich wieder an die beiden zu erinnern.
„Oh", meinte er schwach. Lake hatte schon von den Mitraern gehört und ihrer Mission, die Welt zu zerstören, aber er hatte es immer als Unfug abgetan...
Naja, jetzt hatte er den Salat.
„Ich hab gehört, du kannst auch in die Zukunft sehen, stimmt das?", fragte Sasja neugierig. Lake senkte niedergeschlagen den Kopf.
„Nein, meistens sage ich nur das, was die anderen Seher auch sagen. Ich bin ein Lügner!", er hob den Kopf und hatte plötzlich Tränen in den Augen.
Tadelnd schnalzte Sasja mit der Zunge.
„Die Portale kannst du aber erschaffen, oder?", fragte sie und Mikos ließ bedrohlich sein Messer aufschnappen.
Eilig nickte Lake.
„Oh ja, das kann ich.", schloß er etwas kleinlaut.
„Alakta?! Jonah? Irgendjemand?", rief auf einmal von oben eine Stimme.
„Wir sind hier unten!", brüllte Mikos zurück und Nikolai und Clara kamen die Treppe runter.
Atemlos erzählte Clara ihnen von dem Angriff der Unbekannten.
„Franzosen?", fragte Sasja perplex und schaute Mikos an, der genauso ratlos war. „Nein, von denen wissen wir gar nichts."
„Seid ihr sicher, dass es nicht die Rebellen waren?", fragte Sasja nochmal nach.
„Ja, verdammt!", Clara war eindeutig wütend.
Erst da schien Nikolai den gefesselten Gefangenen zu bemerken:
„Wer ist das?", fragte der Russe dezent verwirrt und betrachtete das ängstliche und tränennasse Gesicht des unbekannten Mannes.
„Das, mein lieber Freund, ist Tyler Lake; du weißt schon, der Portaleur.", stellte Mikos den zitternden Mann fröhlich vor.
„Müssen wir in wirklich fesseln?", fragte Nikolai unsicher und sah Mikos an. Dieser nickte nur grimmig. Nikolai war viel zu weich!
Währenddessen überreichte Clara Sasja ihren Rucksack mit 12 der 13 Könige drin. „Sind das alle?", fragte Sasja und stellte den Rucksack zu ihren Füßen ab.
„Nicht ganz.", meinte die Rothaarige zerknirscht, „einer fehlt noch."
„Na, worauf wartet ihr dann? Holt ihn!", brauste Sasja auf.
„Was habt ihr denn den ganzen Tag so gemacht? Immerhin haben wir gearbeitet!", jetzt war auch Clara sauer; sie war müde und hungrig und hatte überhaupt keine Lust auf Diskussionen.
„Wir hätten heute fast Jakob Perez getötet!", dass er ihnen entwischt ist, ließ Sasja unter den Tisch fallen.
„Wie bitte?", Nikolai hatte sich zu den streitenden Frauen umgedreht.
„Jakob? Jakob Perez? Seid ihr sicher?"
Nikolai kannte Jakob noch von früher. Als er als kleiner Junge in Moskau auf der Straße lebte und sich niemand einen Scheiß um ihn gesorgt hatte, hat Jakob ihm Essen gegeben und sich um ihn gekümmert. Er hatte ihn sogar als ganzen Menschen und Erwachsenen, nicht als ein schmutziges Straßenkind, gesehen.
Wahrscheinlich verdankte Nikolai dem kleinen Mexikaner sein Leben.
Deshalb biss er sich jetzt auch unsicher auf die Unterlippe und fing an zu zweifeln.
Was das Ganze hier wirklich eine so gute Idee?
„Ihr müsst das hier nicht tun, wisst ihr?", meldete sich plötzlich eine sanfte Stimme zu Wort.
Es war Lake, den die Mitraer beinahe vergessen hatten.
„Ich kann sehen, dass ihr alle einen starken Hass auf die Welt habt; ich weiß zwar nicht, was euch allen wiederfanden ist, aber ich wollte euch nur sagen, dass viele Menschen euren Schmerz teilen, deshalb kann es sein, dass sie, wie ihr auch, andere aufgrund dieses Schmerzes falsch behandeln.
Mein Punkt ist: wir könne nicht wissen, was andere Menschen um uns herum durchlebt haben, und wie sie auf bestimmte Situationen reagieren werden, deshalb ist es unser aller Pflicht, uns immer möglichst gut zu verhalten.
Es ist keine Schande, wenn ihr jetzt eire Meinung ändert; ihr könnt noch etwas verändern!", bei seiner kleinen Rede schaute Lake vor allem Nikolai in die Augen; er hatte das Gefühl bei dem Braunhaarigen am ehestem etwas zu erreichen.
Nikolai dachte nach: Will ich wirklich all diese Menschen verletzten? Wir machen alle Fehler, ich auch, aber haben sie und ich deswegen den Tod verdient? Würde Jakob sterben? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht, dennoch würde er mich danach auf jeden Fall hassen.
Die Sache war beschlossen: Nikolai lief wortlos die Treppe wieder hinauf.
Clara rief seinen Namen, doch er hörte nicht auf sie, sondern ging einfach weiter.
Clara lief ihm nach, und auch Mikos setzte an den beiden nachzurennen.
„Lass sie.", hielt Sasja ihn zurück, „Wir haben alles was wir brauchen.", sagte sie lächelnd und nickte auf den Rucksack, der noch immer neben ihr stand.

„Nikolai, warte! Bitte!"
„Komm mit mir, Clara. Das war ein Fehler, aber wir können es wieder gutmachen!"
Clara legte nervös den Arm über ihren Bauch und überlegte, aber der kalte Ausdruck in ihren Augen, sagte Nikolai schon alles, bevor sie es aussprach.
„Ich...Ich kann nicht, tut mir leid."
Die beiden fielen sich noch ein letztes Mal in die Arme, dann drehte sich Nikolai um und ging endgültig und ließ dabei seine langjährige Freundin allein zurück.

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