Kapitel 41

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„Der Dichter hat gesehen, was die Sonne nicht sah." ~Indisches Sprichwort

Kurz bevor sie ins Bett gingen, musste Jonah sich erneut spritzen, damit war sein Vorrat aufgebraucht.
Sie sollten sich also beeilen.
Am nächsten Morgen hatten sie endlich mal richtig ausgeschlafen, und der größte Teil ihrer Kräfte war zurückgekommen.
Sie bekamen nochmal Frühstück von ihrer Vermieterin spendiert und verbrachten tatsächlich einen entspannten Morgen in ihrem Zimmer.
„Wir sollten darüber nachdenken, bald loszugehe-", Alakta wurde von Geschrei von draußen unterbrochen. Stirnrunzelnd ging sie zum Fenster und sah hinaus. Erschrocken drehte sie sich wieder um.
„Ach du Scheiße! Die Kreuzzüge, ich glaube es geschieht jetzt!", schrie sie panisch.
„Was?!", rief Finja und rannte mit Jonah ebenfalls an das winzige Fenster. Man konnte nicht viel sehen, außer die schreienden und rennenden Menschen auf der Straße. Aber Alakta hatte schon immer ein Gespür für schwierige Situationen und Katastrophen gehabt.
Und wenn dieser Kampf wirklich ausbrechen sollte, mussten sie schleunigst hier weg. Schließlich passte es ihnen gar nicht in den Kram noch länger in Jerusalem zu bleiben.
Sie stürmten auf die Straße, mitten in den Tumult.
„Verdammte Scheiße!", fluchte Alakta, als sie von zwei korpulenten panische Männern mitgerissen wurde und Jonah und Finja aus den Augen verlor. Stattdessen fand sie ihre nette Vermieterin, deren Namen sie nicht mal kannte, aber gerade drohte die freundliche alte Frau von einem der berittenen Ritter, die urplötzlich wie Geister aus dem Nichts aufgetaucht waren, niedergetrampelt zu werden.
Ohne Nachzudenken sand Alakta eine Druckwelle aus, die den Ritter vom Pferd warf. Er fluchte auf Italienisch und die Vermieterin sah Alakta dankbar, aber auch ängstlich an, bevor sie in eine der verwinkelten Gassen flüchtete.
Jonah dagegen sah sich etwas weiter vorne besorgt nach seiner Schwester und Finja um, als er eine Gruppe schreiender Kinder entdeckte, die versuchten nicht unter harte Stiefel oder Hufe zu geraten. Ein kleines, verarmt aussehendes Mädchen kam einem panischen Pferd gefährlich nahe, doch Jonah zog sie von der Steinwand, an die sie sich schutzsuchend drückte, hervor, kurz bevor sie der Pferdekörper zerquetschte. Kurz fragte er sich, was er mit dem erstaunt dreinblickendem Kind machen sollte, als schon eine Frau, Jonah schätzte mal es war die Mutter, ihm das Mädchen aus den Händen riss und ohne ein einziges Wort des Danks davoneilte. Das letzte, was er von ihr sah, waren ihre wehenden schwarzen Haar.
Wo, verdammt, war Alakta?
Suchend sah Jonah sich um, doch zwischen den vielen Menschen konnte er seine Schwester nicht ausmachen.
„Hast du gehört, da ist eine Zauberin, sie hat eine alte Frau vor einem der Ritter gerettet! Mit ihrer Magie, hat sie ihn vom Pferd gefegt!", hörte er das Gespräch zweier vorbeieilender Männer.
Das konnte ja nur Alakta sein!
Erleichtert lief er in die Richtung, aus der die beiden kamen; sich durch die vielen Leute zu zwängen, war gar nicht so einfach, aber dort stand sie!
Alakta suchte ihn und Finja wahrscheinlich genauso, wie er die beiden.
Jonah winkte ihr zu und sie lief ihm erleichtert entgegen. Er umfasste ihre Hand fest, um sie nicht nochmal zu verlieren und gemeinsam suchten sie weiter nach ihrer Energiequelle.
Finja konnte gar nicht so schnell schauen, schon waren Alakta und Jonah in den Menschenmassen verschwunden.
Was sollte sie jetzt bitte tun?
Verzweifelt versuchte sie die beiden wiederzufinden, doch das war unmöglich. Stattdessen landete sie in einer unbekannten Straße und hatte keine Ahnung, wie sie wieder zurückfinden sollte.
Ein Leuchten.
Ein hellgrünes Leuchten.
Es war unterirdisch und schien ihr einen Weg zu weisen.
Es war hypnotisierend; und Finja wusste, dass sie eigentlich dem Ruf, den das Licht auf sie hatte, nicht nachkommen sollte; schließlich hatte sie ihre gestrige Pleite mit dem Hypnotiseur nicht vergessen, aber das hier war anders: es war kein Mentiker, der sie rief, sondern etwas viel mächtigeres. Und egal, was es war, es wollte gefunden und befreit werden.
Also folgte sie der grünen, unter der Erde liegenden Spur, bis vor ein kleines, verstecktes Hinterhaus. Die Bewohner waren wohl, wie alle anderen auch, voller Angst geflohen und hatten alles stehen und liegen gelassen: Finja sah einen verlassenen Webstuhl und ein umgestoßener Wasserkrug mit einer kleinen Pfütze davor.
Das Licht führte sie ganz durch das Haus, an eine Wand, an der sie die Kyrilien erkannte. Finja hatte zwar weder Ahnung von dieser Sprache, noch ein Messer bei sich; aber auch hier gab ihr das Leuchten vor, welche der Symbole sie mit dem Finger entlang fahren musste: eine Spirale, die in einer komplizierten Konstruktion aus mehreren Kreisen überging, eine große Raute und einpaar Wellenlinien.
Die Wand begann sich zur Seite zu bewegen und dahinter kam eine kleine Kammer zum Vorschein.
Dort in ein samtenes Kissen gebettet, lag die Quelle des mysteriösen Leuchten: ein einfacher grauer Stein, der allerdings hübsche grüne Verzierungen aufweisen konnte.
Instinktiv wusste Finja, was es war: Der 13. König. Sie hatte ihn gefunden.
Ohne groß nachzudenken, steckte sie ihn in die Falten ihres Kleides und wollte schon gehen, als sie Stimmen hörte. Allerdings unterhielten sie sich auf Französisch:
Vingt...trois...seize...cinq...dix....dix-huit."
Finja konnte zwar noch niemanden sehen, aber die Stimme gehörte einer Frau. Sie sagte noch mehr, aber Finja hatte in der Schule nur ein Jahr lang Französisch gehabt, aber für diesen Zahlencode, den die Frau in dem Gespräch öfters wiederholte, reichte es alle mal.
20, 3, 16, 5, 10, 18
20, 3, 16, 5, 10, 18
Was hatte das zu bedeuten?
Die Stimmen kamen immer näher, doch Finja stand zur Salzsäule erstarrt da; es war als könnte sie sich vor Schreck nicht mehr bewegen.
Die Frau, die gesprochen hatte, kam jetzt zum Vorschein und mit ihr zwei andere Männer; alle drei trugen dunkelblaue Anzüge, mit jeweils einem gelben aufgenähtem Kreis auf der Schulter.
Diese Leute konnten nichts Gutes wollen; ihre Kleidung passte überhaupt nicht in diese Zeit, also wer waren sie? Etwa auch Zeitreisende? Gehörten sie zu den Mitraern? Wollten sie den 13. König stehlen?!
Die Fremden betrachteten kurz erstaunt Finja und die jetzt leere Kammer hinter ihr; ihre Gesichter verdunkelten sich und alle drei setzten zum Angriff an, doch Finja war schneller; sie ließ eine Energiewelle auf die Unbekannten los, die sie umwarf, sodass Finja genug Zeit hatte, aus dem Haus wieder auf die Straße zu rennen.
Kopflos lief sie drauflos, wobei sie sich immer wieder alarmiert umdrehte, falls die Franzosen wieder auftauchen sollten; doch bisher keine Spur von ihnen, genauso wenig wie von Alakta und Jonah...
Nein, warte! Da vorne konnte Finja Jonahs strubbelige blonde Haare ausmachen!
Gott sei Dank!
Erleichtert rannte sie auf die Geschwister zu, wobei sie im Laufen überprüfte, ob der König noch da war. Sie spürte den runden Stein durch den dünnen Stoff ihres Kleides.
Sie wäre zwar beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert, aber schließlich kam Finja doch noch schlitternd vor Alakta und Jonah zum Stehen und grinste die beiden erleichtert an.
Sie waren doch nicht ohne sie abgereist!
Dann fragte sie Alakta nach den Franzosen. Die Mitraerin hob überrascht die Augenbrauen, und verneinte die Frage, ob diese zu ihrer Organisation gehörten.
„Aber das ist jetzt egal; wir kümmern uns später darum! Wir müssen hier weg, die Angriffe werden immer schlimmer werden! Außerdem...", mit einem sorgenvollen Blick schaute sie zu Jonah, der leicht schwitzte und auch schon etwas zitterte.
Finja nickte entschlossen und sie verschwanden in einer Seitengasse um ungestört zu sein.
„Werden wir wieder daraus kommen, wo wir los sind?", fragte sie neugierig.
„Ja, wir landen in eurem Wohnzimmer; wir müssen sowieso noch Polonius einsammeln", beim Namen seines Freundes schaffte Jonah es sogar zu lächeln und legte seine feuchte Hand in Finjas.
„Los geht's."
Finja ließ die Energie fließen und lenkte sie schließlich zu den beiden Zeitreisenden; alle drei hatten konzentriert die Augen geschlossen, diesmal tat es zum Glück nicht so weh.
Das altbekannte blaue Licht umhüllte sie und auf einmal war das Trio verschwunden.

Hätten sie die Augen aufgehabt, hätten sie die drei Personen in den blauen Anzügen, die am Eingang der Gasse lungerten und sie beobachteten, bemerkt. So aber blieben ihre Beschatter unentdeckt.

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