Kapitel 16

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„Ich trage die Gänsehaut innen." ~Birgit Berg

Guadalajara, Mexico
02:00 Uhr Ortszeit

Müde fuhr sich Nikolai durch seine kurzen braunen Haare. Jetzt war es schon weit nach Mitternacht, und er saß immer noch in dieser kleinen, stickigen Wohnung in Mexiko!
Dabei hatte das Apartment gar nicht mal eine so schlechte Lage: in der Nähe der Goldenen Kathedrale war die Gegend ein gern genommenes Ziel für Touristen, aber sie waren schließlich nicht hier um Urlaub zu machen.
Nikolai erhob sich vom Esstisch in der Küche, und ging den kurzen Weg ins Schlafzimmer.
Die Wohnung war vielleicht klein, aber für ihn und Clara reichte sie allemal.
Clara hatte sich schon vor Stunden schlafen gelegt; das hatte sie sich verdient, denn sie hatte die letzten zwei Schichten im Überwachungsdienst übernommen; ihre langen, roten Locken lagen verstreut auf dem Kopfkissen.
Nikolai musste morgen früh gleich noch in die Apotheke und Claras Östrogen-Tabletten abholen.
Das darf ich nicht vergessen.
Schweigend ging er wieder in die Küche, starrte aber diesmal aus dem Fenster.
In einpaar Tagen würde ihr Plan endlich vollendet werden.
Alakata hatte angerufen und ihm und Clara die Aufgabe der „Überwachung" aufgegeben.
Dabei konnte man ihre Aufgabe nur als Witz bezeichnen!
Sie sollten die 13 Könige bewachen, das waren 13 Steine, genauer gesagt, 13 Sternschnuppen, die in den letzten hunderten von Jahren auf die Erde gestürzt waren.
Sie waren das einzige, dass die Todsünden aufhalten könnte, deshalb mussten sie auch so beschützt werden.
Alakta hatte Nikolai mal erzählt wie schwierig es war die richtigen Steine ausfindig zu machen, und der gebürtige Russe glaubte ihr aufs Wort.
Magie aufzuspüren war eins der schwierigsten Bereich, die es gibt, und Nikolai war sofort sehr beeindruckt von Alakta gewesen.
Aber auch neidisch.
Er war noch nie in einer magischen Disziplin irgendwie...begabt gewesen, geschweige denn von einer sehr schwierigen.
Leider waren die 13 Könige, teils für ihren Schutz, teils weil auch die Menschen sie entdeckt und in Museen ausgestellt hatten, in der gesamten Welt verteilt, was bedeutete, dass Nikolai und Clara jetzt alle paar Tage das Land wechseln durften, um immer wieder nach den verschiedenen Königen zu sehen.
Gott sei Dank, würde das bald aufhören!
Bald würde die Welt untergehen...
Natürlich würde sie nicht wirklich untergehen.
Nikolai kannte zwar die Überlieferungen, dass die sieben Todsünden die Welt zerstören würden, aber es gab auch andere Versionen, die besagten, dass diese Wesen alle, sowohl die Zauberer als auch die Menschen, von ihren schlechten Eigenschaften befreien und die Welt zu einem besseren Ort machen würden.
Daran glaubte Nikolai.
Dafür kämpfte er.
Es musste so geschehen, endlich wäre niemand mehr gemein oder selbstsüchtig und er, Nikolai hätte seinen Teil dazu beigetragen!
Er war so in seine Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkt hat, dass Clara mittlerweile auch aufgestanden und in die Küche gekommen war.
„Was machst du da?", fragt sie ihn, klang aber noch sehr müde.
Er drehte sich zu ihr um und sah seine Freundin an.
Clara trug ein einfaches Top und eine kurze Schlafhose, doch unter Nikolais braunen Augen, legte sie ihre Arme unbehaglich über ihre Brust.
Nikolai wusste, dass Clara noch nie ganz zufrieden mit ihrem Körper war. Sie war nicht übergewichtig, sondern nur etwas...dicklicher.
Aber das machte gar nichts; er hatte Clara kämpfen sehen: die junge Frau konnte besser Schläge austeilen, als alle anderen, die er kannte.
Nikolai lächelte ihr beruhigend zu, auch wenn er hundemüde war.
„Nachdenken. Und aufpassen. Wie immer. Kennst mich doch.", antwortete er scherzend. Und dann etwas ernster: „Du solltest wieder schlafen gehen."
„Hatte ich auch vor, hatte nur Durst."
Clara ging zum Wasserhahn und trank das Wasser direkt davon. Dass hatte sie schon immer so getan. Dann murmelte die Rothaarige noch etwas auf Italienisch und verschwand dann schließlich wieder im Schlafzimmer.
Er hatte Clara kennengelernt, als sie noch Claudio hieß und Nikolai hatte sie durch alle Operationen und Hormon-Therapien begleitet.
Sie hatten sich verliebt.
Aber das war jetzt auch schon einpaar Jahre her...
Fast schon fünf, wie schnell die Zeit doch vergeht...
Doch ihre Liebe hatte sich im Laufe der Jahre verändert; war irgendwie geschrumpft.
Was sich früher wie die Welt anfühlte, war jetzt nur noch ein Teil von einem Teil in ihren Leben.
Nikolai wusste, dass Clara dasselbe fühlte, und obwohl sie noch nicht darüber geredet hatten, war beiden klar, dass sie Schluss machen sollten.
Trotzdem tat Nikolai alles um Clara zu unterstützen, und andersrum genau so.
Vielleicht waren sie nicht mehr ineinander verliebt, aber Zuneigung herrschte immer noch. Wahrscheinlich würden sie sogar Freunde bleiben können.
Nikolai hoffte es. Er mochte Clara, und er hatte nicht sehr viele Freunde.
Und er wollte nicht allein sein.
Nie mehr.
Aber jetzt heißt es erstmal: sich auf die Operation konzentrieren.
Alles andere konnten sie ausmachen, nachdem sie die Welt gerettet hatten.

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