Kapitel 27

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„Mitleid ist eine Art Krankheit der Seele." ~Zenon

Der Fußboden unter ihnen öffnete sich und Finja, Lilie und Billy stürzten in die Tiefe, allerdings nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie in kaltem Wasser landeten.
Erschrocken tauchte Finja wieder aus den eisigen Fluten auf und sah sich verwirrt um.
Was war passiert?
Auch Billy und Lilie sahen sich leicht perplex an; anscheinend befanden sie sich in einem unter der Bibliothek liegenden Aquarium; da trat Sana an den Rand und sah mit einem widerlichen Lächeln auf ihre Gäste hinunter. Ihn ihrer Hand bemerkte Finja eine kleine Fernbedienung, die die Frau wohl die ganze Zeit hinter ihrem Rücken gehalten haben musste.
Wahrscheinlich konnte man damit den automatischen Boden aufschieben und somit das Aquarium freilegen.
Finja fragte sich, was das sollte, schließlich konnten sie alle schwimmen.
„Ich sagte doch, das werdet ihr bereuen.", meinte Sana langsam und auf einmal bildete sich auf der anderen Seite des Aquariums, da wo Sana stand, meterdickes pures Eis.
Oh Gott! Sie würde sie einfrieren
„Weg hier!", schrie Billy und sie schwammen los.
Finja glaubte sich noch nie bei einer sportlichen Betätigung so angestrengt zu haben.
Aber es half alles nichts, das Eis verbreitete sich schneller und kam immer näher...
Sie spürte Billys Schwimmbewegungen hinter sich und hörte Lilie entsetzt keuchen, bevor sich eine schlanke Hand um ihren Oberarm klammerte und sie hochhob.
Lilie ließ sie wieder fliegen! Gott sei Dank!
„Nein!", kreischte Sana hinter ihnen und Finja brauchte ich nicht mal umzudrehen, um die Duzenden eisigen Dolche, die auf sie zu flogen, zu sehen.
Mit einem weiter Luftzug wurden diese in ihrer Flugbahn abgelenkt und landeten nutzlos auf dem verbleibendem Boden oder im Aquarium.
Finja machte sich Sorgen um ihre Freundin: Lilie war schweißnass und ganz grau im Gesicht, ihre Finger um Finjas Oberarm zitterten gewaltig und sie schien auf ihrem kurzen Flug beinahe dreimal abzustürzen.
Sana wiederum schickte ihnen eine Schneewolke, die sie beinahe erreicht hatte. Sie wollte nicht wissen, was passiert, wenn sie wirklich bei ihnen ankommt.
„Schneller!", schrie Billy panisch, doch Finja konnte Lilie ansehen, dass sie einfach nicht mehr konnte.
Allerdings spürte sie auch wieder, wie Energie in ihren Adern floß und sich in ihrem gesamten Körper verteilte...
Entschlossen mal etwas nützliches zu tun, hob sie wie heute Morgen die Hand und stellte sich einfach vor, wie ein heißer Weißer Blitzstrahl daraus hervorschoß und...ließ es einfach geschehen...
Die Wolke landete als pulvriger Neuschnee auf den Büchern.
Finja, Billy und Lilie steuerten derweil auf eine Wand zu, und sie rechnete schon damit, dass Lilie davor abdrehen würde, doch sie flog unverändert weiter.
Bevor Finja überhaupt panisch werden konnte, waren sie schon hindurch.
Durch eine Wand zu fliegen war ein seltsames Gefühl: man konnte nicht richtig atmen, da es nichts zum Atmen gab, und es war sehr beengt, als würde man durch einen Lüftungsschacht kriechen.
Finja wollte schon nachfragen, wie sie das gemacht hatten, als ihr wieder einfiel, dass Billy ja durch Gegenstände gehen konnte. Und dazu gehörten Wände auch.
Nass und erschöpft standen die drei in einem Gang, der genauso aussah wie der Gang vor der Bibliothek. Finja hatte das schlechte Gefühl, dass alles hier so aussah.
Lilie brach fast auf der Stelle zusammen und Billy musste sie stützen. Fie Dunkelhaarige schob sich die Brille die schweißnasse Nase hoch. Seufzend sagte Billy leise:
„Bleibt alle zusammen. Wir dürfen uns nicht verlieren!"
Seine Stimme wurde zum Ende hin irgendwie immer leiser und verschwommener, als würde er beim Reden weggehen, aber er das konnte nicht sein! Schließlich stand er immer noch vor ihr.
Finja sah sich noch einmal kurz um, um vielleicht einen Hinweis auf einen Ausgang zu finden, aber außer den Kyrilien, die sie sowieso nicht verstand, gab es nichts zu sehen.
Sie drehte sich wieder zu ihren Freunden um. Da war niemand.
Finja blinzelte. Aber da stand wirklich keiner mehr. Weder Lilie, noch Billy.
Waren sie etwa ohne sie losgegangen? Aber doch nicht in so einer Situation! Billy hatte doch extra noch betont wie wichtig es sei jetzt zusammen zubleiben.
Leicht panisch trat Finja einpaar Schritte nach vorne.
„Äh...Leute? Seid ihr noch da?" Keine Antwort.
Okay, das ist jetzt ungünstig
Finja blieb nichts anderes übrig als zögerlich weiterzugehen. Immerhin fühlte sie sich nicht mehr so ausgelaugt wie heute Morgen, als sie zum ersten Mal die Energie verwendet hatte.
Sie war gerade um die Ecke gebogen und stand jetzt in einem anderen Gang, der tatsächlich genau so aussah wie die anderen zwei (wahrscheinlich war das ganze Haus ein riesiges Labyrinth, in dem sie sich jetzt schon verlaufen hatte), als sie ein leises Quitschen vernahm.
Es kam von den Wänden. Ungläubig beobachtete Finja wie sich die verzierten Holzwände langsam auflösten und sie zum Schluß in einem Maisfeld stand?!
Wie ist denn das möglich? Sana ist doch eine Wintermentikerin, keine Vorspielerin, oder?
Wo verdammt waren Billy und Lilie, wenn man sie brauchte?
Finja war sich nicht mal ganz sicher, ob der Mais überhaupt eine Illusion war, denn als sie ihn berührte und zur Seite schob, fühlte er sich auf jeden Fall sehr echt an.
Ein Rascheln war hinter ihr zu hören. Panisch drehte sie sich um und versuchte hektisch durch die Reben zu spähen, konnte aber nichts entdecken.
Finja spürte wie ihre Atmung automatisch schneller wurde und tat ihr Bestes um das zu unterdrücken, am besten keine unnötigen Geräusche verursachen!
Eilig lief sie weiter, doch weit kam sie nicht, denn schon aus dem Augenwinkel sah sie die bekannte schwarzen Schlieren.
Wie hatte Billy die Dinger doch gleich genannt? Ach ja, Limenti!
Aber eigentlich war ihr Name auch egal, Finja rannte jetzt weg, schließlich konnten diese Schattendinger ihre Magie riechen, da brachte es auch nichts mehr still zu sein.
Die Limenti waren tu dritt, soweit Finja das beurteilen konnte, und gaben ein schrecklich hohes Quitschen von sich.
Finja brauchte einen Plan, wegrennen würde nicht ewig funktionieren. Vor allem nicht mit ihrer Kondition.
Schatten'
Das hatte Taio gesagt, sie hatte nicht nur Energiekräfte, sondern auch die Schatten. Was auch immer das bedeuten mag, aber die Limenti sahen aus, als bestünden sie aus Schatten.
Adrenalin schoss durch ihren Körper, außer Atem wandte sie sich den Schattenwesen zu. Eines davon stürzte sich schon kreischend auf Finja, doch diese hob die Hand wie vorhin und stellte sich einfach vor wie ein Schatten aus ihr und in den Limenti stob.
Es funktionierte sogar: Ein großes schwarzes Etwas durchbohrte das Wesen und es fiel tot zu Finjas Füßen.
Ihr Schatten wiederum verschwand wieder in ihrer ausgestreckten Hand. Er war nicht wirklich beständig, sogar etwas durchsichtig, wie ein Schatten eben.
Die anderen zwei Limenti hatten offenbar aus dem Schicksal ihres Freundes gelernt, denn jetzt sprang einer auf Finjas Rücken. Erschrocken schrie sie auf und versuchte aus Gewohnheit ihn abzuschütteln, doch der Limenti hatte seine Klauen in ihre Haut gegraben und Finja keuchte schmerzerfüllt auf.
Ihr Körper hatte jetzt jedoch die Kontrolle übernommen und aus ihrem Rücken schoßen viele kleine Schattenklingen, die auch diesen Limenti unschädlich machten.
Nun gut, blieb noch einer.
Finja spürte wie ihr Blut über den Rücken tropfte.
Sie sah den letzten ihrer Feinde nicht, doch es war schwer sich unbemerkt in diesem Maisfeld fortzubewegen, deshalb hörte sie den Limenti auch schon bevor er auf sie zu springen konnte.
Instinktiv hob sie beide Hände und mit einem Schrei ließ Finja eine ganze Schattenlawine los. Der Limenti zerfiel zu schwarzem Staub.
Krass...
Ein Rascheln neben ihr, ließ sie alarmiert aufblicken. Gab es doch noch mehr?
„Finja?", flüsterte Lilie ängstlich.
Erleichtert entspannte sie sich wieder.
Gott sei Dank!
„Ja, ich bin hier." Lilie sah schrecklich mitgenommen: sie hatte eine schlimm aussehende Wunde über dem linken Auge und irrte sich Finja oder wirkten die bunten Strähnen in ihren schwarzen Haaren irgendwie blasser?
„Hast du gemerkt? Bei Sana muss auch ein Vorspieler sein, das sind alles nur Illusionen. Mich hat das Eis weiter verfolgt, und bei dir?" Erst da schienen ihr die toten Dinger auf dem Boden aufzufallen. Erstaunt sah sie Finja an:
„Hey, du hast einpaar Limenti besiegt, herzlichen Glückwunsch! Das ist wirklich toll, Finja, für so etwas braucht man eigentlich etwas mehr Training...", sagte sie beeindruckt.
Doch Finja hörte ihrer Freundin gar nicht mehr richtig zu.
Ihre Augen waren blank und leer geworden und ihr Kopf schien nur noch aus Watte zu bestehen.
„Manchmal wünschte ich, mein Vater wäre gestorben.", sagte sie unvermittelt; Finja wusste nicht wieso sie das sagte, aber es war ihr auch egal.
Lilie runzelte die Stirn, bis sie Finjas blutiges T-Shirt sah und begriff:
„Oh je, dich hat wohl einer von denen erwischt, was?", sie biss sich auf die Lippe und betrachtete die Stelle auf Finjas Rücken, wo der Limenti sie verletzt hatte.
„Es wäre besser gewesen, als zu gehen. Er hat mich verlassen.", erzählte Finja völlig emotionslos weiter.
„Jaaa", meinte Lilie gedehnt. „Die Limenti haben so einen Effekt, aber nur kurz, in ein paar Minuten ist alles vorbei.", beruhigte sie sich eher selbst.
Sie fühlte sich unwohl so in die Privatsphäre ihrer neuen Freundin einzudringen.
Sanft packte sie Finja am Arm und zog sie gekonnt durch das Labyrinth aus Mais und Gängen.
„Wir gehen jetzt zu Billy. Er ist unverletzt und hat sogar den Ausgang gefunden. Alles wird gut."
Lilie tätschelte Finjas Arm sanft, die immer noch teilnahmslos ins Leere starrte.

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