Kapitel 35

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„Wer zu gefallen sucht, wird fallen." ~Willibrord Verkade

Sie hatten beschlossen, dass es nichts bringen würde, heute noch irgendetwas zu unternehmen oder einen Plan zu fassen. Schließlich war es schön sehr spät und alle waren von dem harten, langen Tag erschöpft.
Nachdem sie Lilie, Billy, Jakob und Saki ins Bett gebracht hatte, blieb allerdings noch das Problem des fehlenden Schlafplatzes für Finja, Nikolai und Jamie. Auf der Couch war nur Platz für einen; Nikolai bot sofort Finja das Sofa an, er selbst wollte auf dem Boden schlafen. Obwohl Finja hundemüde war und tatsächlich lieber auf der weicheren Couch als auf dem Boden schlafen wollte, versuchte sie abzulehnen.
Nikolai hatte sich jedoch schon eine Decke geschnappt und auf dem Teppich hingelegt. Er war vehement nicht davon zu überzeugen, die Couch zu nehmen.
Finja vermutete, dass er seine vorherige Entscheidung, sich den Mitraern anzuschließen, wieder gut machen wollte.
Jamie hingegen hatte sich schon am Anfang der Diskussion aus dieser ausgeklinkt, war behände eine der Wände  im Wohnzimmer hochgeklettert und hatte sich dann wie eine kleine Fledermaus kopfüber von der Ecke gehängt.
Irgendwie beunruhigte Finja dieses Kind.
Obwohl er das ja nicht war, wie Jamie ihr mit einem reißzähne-zeigendem Lächeln erklärt hatte.
Finja machte sich das Sofa zurecht -mit einem Kloß im Hals erinnerte sie sich dabei daran, dass Theia das letzte Nacht noch für sie gemacht hat- und überprüfte ihre Tasche viermal, ob sie auch wirklich alle Sachen eingepackt und nichts aus Versehen liegen gelassen hat.
Endlich legte sie sich hin; sobald ihr Kopf das Kissen berührte, war sie schon eingeschlafen.

Ein lautes Scheppern riss sie wieder aus dem Tiefschlaf, verwirrt sah Finja sich um und bemerkte, dass es noch mitten in der Nacht war.
„Pass doch auf, wo du hintrittst, du Idiot!", zischte eine Stimme, die Finja bekannt vorkam, sie wusste nur nicht mehr, woher.
Neben ihr, auf dem Boden, bewegte sich Nikolai so, dass sie mitbekam, dass er ebenfalls wach war. Mit einer kurzen Drehung ihres Kopfes konnte sie auch Jamie in seiner Ecke ausmachen, der sie aus hellen, wachen Augen anstarrte.
Die Körpersprache der beiden war darauf ausgerichtet, ihr mitzuteilen, jetzt bloß keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Also blieb Finja stocksteif liegen und blickte leicht mit angehaltenem Atem unter ihren Wimpern hervor Richtung Küche, aus der die Geräusche kamen und, wo mittlerweile auch das Licht angegangen war.
Die Türe ging leicht auf und ein Schatten löste sich aus dem Licht...
Nikolai sprang mit einer Rolle rückwärts auf und stürzte darauf zu, bis...
„Nikolai?!" Jetzt wusste Finja auch, woher sie die fremde Stimme kannte: sie hatte sie schonmal gehört, in Sanas Winterpalast; es war Alakta Dahl, die Nikolai jetzt ungläubig anstarrte.
Doch der ließ sich gar nicht lange aufhalten: mit einem gekonnten Schlag boxte er der Mitraerin ins Gesicht, sodass ihr Kopf zur Seie geschleudert wurde.
„Verräter!", zischte sie und trat Nikolai zwischen die Beine; stöhnend sank er zu Boden.
Eine weitere Person kam aus der Küche: Alaktas Bruder, Jonah und er hielt seine Pistole in der Hand, mit der er Nikolai jetzt drohte in den Kopf zu schießen, aber da war Jamie schon vorgeschossen und fing die Kugel mit der bloßen Hand ab.
Mit einem Fußtritt trat er Jonah die Waffe aus der Hand und mit einem zweiten Tritt versuchte der kleine Junge ihn ins Gesicht zu treffen, aber Jonah blockte mit gekreuzten Armen ab.
Durch den Schuss aufgeweckt, rannte Billy die Treppe runter, an seiner Seite flog Lilie und Jakob teleportierte sich einfach gleich in den Tumult.
Während Jakob sich auf Alakta stürzte und Billy und Saki mit Jonah kämpften, der seine Pistole wieder aufgehoben hatte, half Jamie Nikolai auf.
Finja sah wie ein Mann aus der Küche trat, den Kampf kurz beobachtete und sich dann ängstlich an der Wand entlang schlich. Sie erkannte ihn als den Typ, der in der Bibliothek schon so zurückhaltend gewirkt und eigentlich nichts getan hatte.
Von ihm ging keine Gefahr aus, aber Alakta hatte es irgendwie geschafft Jakob an der Kehle zu packen und ihn an die Wand zu pinnen. Finja sprang auf und ließ die Schatten aus ihren Händen kommen.
Rasiermesserscharf flogen sie auf die andere Frau zu, doch da hatte Finja die Rechnung ohne Jonah gemacht, der aus dem Nichts aufgetaucht war und seine Schwester aus dem Weg riss; allerdings war er einwenig zu langsam, denn die Schattenmesser streiften Alaktas Arm und  verletzten sie.
Jakob rutschte die Wand runter und begann zu husten.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Finja, dass jetzt auch Saki auf sie zugestürmt kam und sich auf den unscheinbaren Typen stürzte.
Schreiend wollte er sie wieder abwerfen, doch das entschlossene Mädchen hielt ihn fest im Griff.
„Polonius!", rief Jonah, der schweißüberströmt war. Er verschwand und tauchte an Polonius' und Sakis Seite wieder auf, er packte das Mädchen und warf sie mit aller Kraft auf die Treppe, wo die Asiatin stöhnend liegen blieb.
Jakob, der zwar immer noch heftig hustete, aber entschlossen schien Saki zu helfen, teleportierte zu ihr.
Jonah hatte Polonius erleichtert und beschützerisch in den Arm genommen.
Alakta warf Finja einen Blick zu und bevor Billy, Lilie, Nikolai und Jamie auf sie zustürmen konnten, schickte sie die vier mit einer gewaltigen Druckwelle an die gegenüberliegende Wand.
Dann stürzte sie sich auf Finja.
Diese konnte Alakta jetzt etwas genauer betrachten: die andere sah schrecklich aus; müde und ausgezehrt, sie wirkte, als hätte sie seit Tagen nicht mehr geschlafen, was vielleicht sogar stimmte. Wütend verzog sie das Gesicht und packte Finja an den Haaren.
Finja ließ die Energie durch sich fließen und lenkte sie zu Alakta, doch irgendetwas stimmte nicht: es war als würde sie feststecken. Voller Panik versuchte sie es nochmal, aber mit demselben Ergebnis.
Alakta zerrte an Finjas Haaren; zuerst dachte sie die andere tat dies um ihr wehzutun, aber dann sah sie in Alaktas panisches Gesicht und begriff, dass sie ebenfalls versuchte loszukommen, es aber nicht schaffte.
Was passierte hier??
Alles tat Finja weh: ihre Muskeln, ihre Organe, ihre Haut, selbst ihr Blut schien durch die Energie verbrannt zu werden.
Alakta schien es da nicht anders zu gehen: beide Mädchen schrien schmerzerfüllt auf.
„Alakta!", rief Jonah, löste sich von Polonius und tauchte bei den beiden auf. „Nein, Jonah, geh da weg!", kreischte Alakta voller Panik und Schmerz.
Doch es war schon zu spät: Jetzt zu dritt, bildete sich um die Schreienden, ein Strudel aus goldenem und blauem Licht, der sich immer schneller drehte.
Finja wurde schlecht; sie würde sich übergeben müssen, bis plötzlich alles vorbei war und die Welt schwarz wurde.

Als sich das gleißende Licht legte, waren Finja, Alakta und Jonah verschwunden. Verwirrt starrten ihre Freunde auf den Punkt, wo sie gerade noch gestanden und geschrien hatten, doch jetzt war keine Spur von keinem der drei mehr da.
„Du!", Billy wirbelte herum und schritt schnell auf den zitternden Polonius zu.
„Du wirst uns jetzt alles verraten, was du weißt."

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