„Nichts, dem Gerechtigkeit mangelt, kann moralisch richtig sein" ~ Cicero
06. Mai 1937, 14:30 Uhr, etwa 300 Meter über dem Atlantik, kurz vor Lakehurst, USA
Alakta saß im großen, imposanten Salon des Zeppelins LZ-129, der „Hindenburg", und sah aus den für diese Zeit hochmodernen Fenster auf das wilde Toben des Atlantiks unter sich.
Regen klatschte gegen die Scheibe und das Heulen des Windes wurde immer stärker, mittlerweile hörte man es sogar durch die geschlossenen Fenster.
Endlich! Ganz weit entfernt, irgendwo am Horizont, sah man ein kurzes, aber kräftiges Leuchten. Ein Blitz, noch so weit weg, dass man ihn, wenn man nicht danach Ausschau gehalten hätte, gar nicht bemerkt hätte.
Aber Alakta hatte Ausschau gehalten, schließlich zielte ihr ganzer Plan auf das näherkommendes Gewitter ab.
Sie schreckte aus ihren Gedanken, als sich Jonah grinsend auf den Sitz neben ihr fallen ließ. Die beiden hatten Polonius zu Hause gelassen, der Arme war ja schon völlig überfordert mit dem Auto gewesen, und Alakta wollte sich nicht vorstellen, wie er wohl bei einem fliegenden Zeppelin, der auch noch in Flammen aufgehen sollte, reagieren würde.
„Sag mal...", fing Jonah an, während er an dem Saum seines neuen, für die 30er passenden Anzugs herumspielte. Allein daran konnte sie schon ablesen, das etwas nicht stimmte. „Könntest du mir noch mal den Plan erklären...bitte?", schloß er zögernd. Sie seufzte genervt auf. „Mann, das haben wir doch schon heute Morgen zweimal durchgekaut! Wofür machen wir die Planbesprechungen überhaupt?!", zischte sie wütend. Eigentlich wollte Alakta ihren Bruder nicht so anfahren, aber die Anstrengungen der letzten Tage, zerrte an ihren Nerven, und dann rückte ihr Ziel auch noch immer mehr in greifbare Nähe...
Alakta atmete tief durch und beugte sich tief zu Jonah rüber, sie durften nicht so viel Aufmerksamkeit erregen, sonst war der ganze Plan in Gefahr. „Also wegen dem Gewitter, müssen wir noch etwa drei Stunden warten, bis wir landen dürfen", begann sie flüsternd, „aber kurz davor fängt der Zeppelin Feuer, das passiert etwa um 18:00 Uhr, bis dahin müssen wir die Kinder und ihre Eltern in den hinteren Teil gelockt haben, damit wir dann im allgemeinen Trubel, die beiden Kinder mitnehmen und verschwinden könne, möglichst ohne zu verbrennen. Jetzt kapiert?"
Den letzten Kommentar konnte sie sich nicht verkneifen. Jonah streckte ihr dafür die Zunge raus. Wie erwachsen. Sind Geschwister nicht etwas Schönes?
„Konzentrier dich gefälligst!", fuhr Alakta ihn an. Ihr Bruder stellte heute ihre Geduld wahrlich auf eine harte Probe. Jonah öffnete abermals den Mund, und Alakta dachte schon, das ganze würde in einem handfesten Streit enden, aber er fragt nur: „Sind sie das? Die Kinder, meine ich?", und tatsächlich spielten die beiden Zielobjekte, ein Mädchen von sieben Jahren und ihr Bruder, sechs, keine fünf Meter von ihnen entfernt auf dem Boden mit einigen Spielzügen und -figuren.
„Ja", antwortete Alakta schlicht, obwohl sie innerlich die Nervosität runterschlucken musste.
Aber das hier war nicht der richtige Augenblick für Gefühle.
Sie betrachtete die Kinder, sah wie das Mädchen immer wieder unterschwellig auf ihren Bruder achtete, immer bereit ihn vor potentiellen Gefahren zu schützen. Alakta fühlte sich an sich selbst und Jonah erinnert. Nachdenklich schaute sie den Blonden neben sich an.
Leider waren auch die Eltern der beiden Kinder dabei. Der Mann und die Frau stritten sich heftig, wobei sie keine Rücksicht auf die anderen Gäste nahmen, was für einige zurückhaltende Lacher unter ihren Zuhörern sorgte.
Eigentlich interessierte sie der Streit nicht, aber auch Alakta kam nicht umhin mitzuhören. Anscheinend ging es um ein Geschäftsessen mit dem Boss des Familienvaters, bei der sich seine Frau „unangemessen" verhalten habe, was immer das bedeutet.
Auch Jonah sah belustigt zu dem Ehepaar und auch er lachte, allerdings laut, er hatte eben keine Ahnung von der Etikette dieser Zeit; oder überhaupt einer Etikette.
Alakta hätte sich am liebsten die Hand ins Gesicht geschlagen, und als die beiden Streithähne samt ihrer Kinder auf sie zu kamen, war das Schlamassel perfekt. So viel zu ‚kein Aufsehen erregen', Jonah
„Was fällt Ihnen ein, junger Mann?!", empörte sich die Frau, ihr dickes Gesicht war von der Aufregung ganz aufgedunsen und rot. Während sie durch die Sitzreihen lief, blieb sie fast mit ihrem pompösen, rüschenbehangenem Kleid, das ihr etwas zu klein war, hängen, was schon ziemlich lustig aussah, das musste auch Alakta zugeben.
Aber Jonah hätte wirklich nicht nochmal lachen müssen.
„Vær stille, Jonah.", zischte Alakta.
Die Frau ereiferte sich weiter, aber Alakta fand die Gesichter ihres Ehemannes und ihrer Kinder viel interessanter: Da stand nur eine Emotion, eine die Alakta nur zu gut selbst kannte, Angst.
Sie hatten Angst.
Auf einmal fühlte sie erhebliche Verachtung für die Frau in sich aufwallen, sie griff seitlich in ihr eigenes leichtes hellrotes Kleid, wo sie einige Klingen versteckt hatte. Nur für Notfälle.
Doch bevor sie eins der Messer in die Finger bekam, hatte Jonah diskret ihren Arm gepackt und heilt ihn fest.
Er zwinkerte ihr kurz zu.
Wie gut er sie doch kannte.
„Verzeihen Sie vielmals", begann er sich immer noch grinsend zu entschuldigen, „es wird nicht mehr vorkommen", auch wenn Jonah beinah schon wieder in Lachen ausbrach, ließ die Frau überraschenderweise die Sache ruhen und setzte sich mit ihrer Familie wieder auf ihre Plätze.
Die Gemüter hatten sich wieder beruhigt und der Flug ging ruhig weiter.
Doch Alakta fand keine Ruhe. Jonah saß noch neben ihr, aber er war mittlerweile eingeschlafen, doch sie selbst rutschte auf dem Sitz hin und her oder trommelte mit den Fingern auf der Samtlehne.
Ihr behagte der Gedanke nicht wieder so nah an der Zeit ihrer Jugend zu sein. An der Zeit des Krieges, der Bomben, der Angst, der Schreie, des Rauchs,...
Sie schüttelte sich um die schlimmen Erinnerungen zu vertreiben. Als ob das etwas bringen würde, diese Gedanken waren für immer in ihr Gehirn gebrannt.
Außerdem musste sie an Ihn denken und an das große Finale, das immer näher rückte.
Gott sei Dank waren die Eltern der Kinder ebenfalls eingeschlafen, das würde alles viel einfacher machen.
Endlich war es zehn vor sechs und Alakta rammte Jonah den Ellenbogen in die Seite. Er wachte stöhnend auf „Was bitte sollte d-", „Ruhe! Jetzt bring die Kinder nach hinten!" Grummelnd stand Jonah auf, folgte aber ihren Anweisungen: Aus seiner Anzugtasche zog er etwas Schokolade, er machte kurz „Psst" und schon hatte er die Aufmerksamkeit der Kinder.
Als sie die Schokolade sahen, rannten sie auch schon auf sie zu. Jonah setzte sein charmantestes Lächeln auf, gab jedem ein Stück und sagt: „Ich habe noch mehr davon, kommt grad mit." Der braunhaarige Junge nickte sofort mit strahlenden Augen und braunem Mund, aber das Mädchen runzelte die Stirn und sag Jonah misstrauisch an. „Wir dürfen nicht mit Fremden mitgehen". Cleveres Kind.
Jonah ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und meinte nur: „Na also ich bin Jonah. Jetzt bin ich kein Fremder mehr." Der Junge lachte. „Ich bin Ferdinand und das ist meine Schwester Virginie", sagte er und wandte sich an seine Schwester, „Bitte, Gini, können wir mitgehen? Biiiitte". Anscheinend haben die beiden Virginie überzeugt, denn jetzt lächelte auch sie und Jonah führte die Geschwister nach hinten. Davor drehte er sich aber nochmal um und nickte Alakta zu. Seine blauen Augen waren auf einmal ernst. Alakta nickte genauso ernst zurück.
Showtime, Baby
Sie wartete noch etwa zwei Minuten bis sie aufstand und zu den Eltern ging.
Sanft schüttelte sie den Mann an der Schulter. Fast sofort schreckte er auf und sah sie verwirrt an. Alakta setzt ihr bestes Lächeln auf, aber sie war darin einfach nicht so gut wie Jonah.
„Entschuldigung Sie bitte, aber ich habe gerade Ihre Kinder nach hinten gehen sehen, vielleicht wollen Sie ja nach ihnen sehen." Der Mann sah sich kurz besorgt um, doch als er seine Kinder nirgendwo sah, weckt er seine Frau, erklärte ihr alles, und stand sofort auf um nach hinten zugehen, wohin seine Frau ihm nur grimmig folgte.
Auch Alakta folgte ihnen still.
Alles in ihr spannte sich an, sie konnte praktisch den Wasserstoff, der sich mit Sauerstoff im Ballon des Zeppelins vermischte, hören.
Genau in dem Moment, in dem die drei Jonah und die Kinder erreichten, entzündete sich das hoch-explosive Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch.
Das Feuer verbreitete sich rasend schnell und leckte an der Außenseite des Zeppelins.
Auch Alakta, Jonah und die Familie spürten schon jetzt die Hitze, das Ehepaar sah sich jetzt ängstlich an, selbst die Frau, die eine Hand in Virginies lange rote Haare gesteckt hatte, hielt in ihrem Wutgeschrei inne, als mehrere Schrei zu hören waren, irgendjemand brüllte: „Feuer!" und dann ging alles ganz schnell:
Die Flammen züngelten meterhoch in den roten Abendhimmel von Lakehurst wie eine tödliche, mit Gift versetzte Krone, und die Flammen fraßen sowohl die Haut des Zeppelins, als auch die der Menschen.
Alakta warf Jonah kurz einen Blick zu, beide schnappten sich eins der schreienden Kinder, während ihre Eltern noch wie versteinert dastanden.
„Kom hit!", rief Jonah seine Schwester zu sich
Um den Mann tat es Alakta leid, aber als sie sich an die ängstlichen Gesichter und in die Hand an Virginies Kopf dachte, hoffte sie inständig, dass die Ehefrau elendig in den Flammen verbrannte.
Sie spürte wie eine Kraft viel mächtiger und vor allem älter als alles was es gab, ihren Körper durchströmte.
Es war die Zeit, die alles sah und hörte und definierte.
Sie sah in Jonahs Gesicht, dass er es auch spürte, wie vor jeder ihrer Zeitreisen, was sie ebenfalls sah war die leuchtend rote Feuerwand, die auf sie zuraste, bevor die Welt schwarz wurde.
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Projekt Pandora
FantasyFinja ist eine ganz normale 18-Jährige, bis sie eine sehr seltsame Erfahrung bei der Arbeit macht. Als sich dann aber die Ereignisse überschlagen, findet sich Finja in einer magischen Welt wieder mit Kreaturen älter als die Zeit und Geheimnissen, di...