Kapitel 1

39 5 0
                                    

Alltag. Taten schrumpfen zu Tätigkeiten. ~ Werner Mitsch

Frankfurt am Main, Deutschland, 2019

Als der Wecker ihres Handys um genau 7:15 Uhr klingelte, drehte sich Finja noch einmal stöhnend um.
Es war einfach nicht fair! Da hatte man schon das Abi (mehr oder weniger) erfolgreich hinter sich gebracht, und wollte jetzt ein Jahr lang erstmal NICHTS machen, aber nein...
Finja wollte dieses Jahr absoluter Freiheit nutzen, um endlich herauszufinden, was sie machen wollte und wer sie überhaupt war.
Durch das G8 war sie mitten in den Prüfungen volljährig geworden, und somit, ihrer Meinung nach, noch viel zu jung um jetzt gleich wieder studieren zu gehen, geschweige denn zu wissen, was sie mit ihrem Leben anstellen wollte.
Das Problem war nur ihre Mutter. Die wollte nämlich, dass Finja „nicht nur zuhause rumsaß" (ihre Worte) und „sich von vorne bis hinten bedienen lässt" (ebenfalls ihre Worte).
Also hatte Finja schweren Herzens und nach einigen hässlichen Streitereien einen Halbtagsjob bei einem Elektoartikelladen angenommen.
Es war zwar nicht das Luxuriöseste, was ihr einfiel, aber die Arbeit wurde einigermaßen gut bezahlt, die Mitarbeiter und sogar der Chef waren eigentlich auch ganz nett, und da die Stelle nur halbtags war, hatte Finja immernoch genug Zeit sich ihrer eigenen „Ich-Suche" zu widmen, wie sie es gerne nannte. Ausserdem war ein wenig extra Geld immer gut.

Pünktlich kam sie an, durchquerte den Laden um in das Lager, wo auch ihre Arbeitskleidung und ihr Namensschild aufbewahrt wurden, zu gelangen und grüßte im Gehen Paul, einen ihrer Kollegen, der ihr wie immer ein freundliches „Hallo!" zurief.
Heute war Dienstag, was bedeutete, dass Finja und Paul den ganzen Vormittag allein waren.
Für Finja war dies in so weit ein Problem, da sie vermutete, dass Paul ein wenig in sie verliebt war. Nicht das sie den 21-jährigen nicht mochte, aber leider hatte sie überhaupt kein Interesse an irgendeiner Beziehung, was Pauls ständige Avancen etwas nervig machten.
Finja zog ihre hellblaue Schürze mit dem Namen des Ladens -„Hartmanns Elektrogeräte"- , kein besonders kreativer Name, aber sie war ja keine Fachfrau für Marketing oder so was, demnach war es ihr die fragwürdige Werbung auch ziemlich egal.
Gerade als sie ihr Namensschild an dem Saum des Hemdes anbringen wollte, hörte sie hinter sich ein Geräusch von ...Frischhaltefolie?
Finja drehte sich um und am Türrahmen stand Paul, mit einem etwas gruseligen Grinsen im Gesicht und seinem jetzt ausgepackten Erdnussbutter-Thunfisch-Sandwich in der Hand.
Finja, die sich nur bei dem Gedanken an so ein Frühstück am liebsten übergeben hätte, runzelte die Stirn. Eigentlich hatte sie den treudoofen Paul immer für harmlos gehalten, aber dass er ihr bis hierhin gefolgt war, gab ihr doch zu denken...
„Paul", versuchte Finja den anderen mit einer sanften Stimme bei Laune zuhalten, während sie geistesgegenwärtig noch schnell ihre halblangen blonden Haare zu einem Zopf zusammenband, „Was machst du hier?", sie schaffte es sogar ihn anzulächeln.
„Du musst heute die Kunden bedienen, der Chef meinte heute hab ich einen Sonderauftrag im Lager", meinte Paul zwischen zwei Bissen seines Frühstücks, im seiner Stimme schwang ein unterschwelliger Ton von Zufriedenheit und Stolz mit.
Wahrscheinlich war sowas für den sonst erfolglosen Paul etwas richtig Besonderes. Finja versuchte sich zu beruhigen: Paul war einfach nur etwas seltsam, mit noch seltsameren Eigenheiten, die ihm nicht gerade viele Freunde einbrachten. Eigentlich konnte er einem Leid tun.
Der Vormittag flog nur so dahin: Im Laden war nicht viel los, und da Paul sich ja allein um die Lagerbestände kümmern wollte, hatte Finja nicht gerade viel zu tun.
Hin und wieder betreute sie einen Kunden oder zählte die Einnahmen nach, aber die meiste Zeit, beschäftigte sie sich mit Dingen, die ganz bestimmt nicht so im Arbeitsvertrag stehen... sie hörte Musik oder las nach, welche interessanten Serien bald auf Netflix erscheinen sollen. Kurz um: sie tat nichts Produktives.
Irgendwann um die Mittagszeit, verabschiedete sich Paul, seine Schicht war jetzt zu Ende. Trotz ihrer vorherigen Versicherungen, war Finja froh, dass er erstmal weg war.
Jetzt war aber auch Mittagspause! Darauf hatte sie sich den ganzen Tag gefreut. Finja hatte heute extra einen gesunden Salat dabei, um sich wegen den Pizza und Eis- Eskapaden des letzten Wochenendes nicht allzu schlecht zu fühlen...
Als Finja den Gang zu den Spinden der Mitarbeiter entlang ging, fiel ihr etwas seltsames auf: eine Tür, die normalerweise immer verschlossen war, zu der nicht mal sie Zutritt hatte, stand leicht auf
War das Paul? Hatte er die ganze Zeit hier drin gearbeitet und dann vergessen abzuschließen?"
Entschlossen das Geheimnis der schmucklosen Tür und dem Raum dahinter zu erfahren, stieß sie die Tür, die sich überraschend leise öffnete, weiter auf und das Licht des Ganges verscheuchte etwas die Dunkelheit des geheimen Zimmers, das Finjas Leben auf immer verändern wird...

Projekt PandoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt