Böses Erwachen | 1

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Vincent Nash stürzte den letzten Schluck seines Drinks herunter. Der gestrige Tag steckte ihm noch tief in den Knochen und er brauchte ein wenig Abstand, weshalb er nicht direkt nach Hause gefahren war. Unter anderen Umständen wäre der Abschluss eines Falls ein Grund zum Feiern, trotzdem war er unzufrieden, wie die Sache geendet hatte. Den Verdächtigen erschießen zu müssen, nachdem man ihn mit den Beweisen konfrontiert hatte, war zwar ein Schuldeingeständnis, aber in seinen Augen keine Gerechtigkeit. Sein restliches Team schien das zwar weniger zu beschäftigen als ihn, aber sie waren es auch nicht gewesen, die den Abzug durchgedrückt hatten. Es war nicht das erste Mal, noch würde es das letzte Mal sein, dass er töten musste, nur manchmal holten ihn die düsteren Gedanken ein.

Heute war so ein Tag, weshalb er ein wenig Zerstreuung suchte und einer spontanen Laune folgend hier her gekommen war. Er mochte das Ambiente der Bar. Das dunkle Holz in Verbindung mit dem warmen Licht und den geschickt platzierten Spiegeln sorgten für eine zeitlose Eleganz, doch der wahre Grund, warum es ihn ins Smith's gezogen hatte, waren die Leute. Denn nicht nur die Einrichtung zeugte von Qualität. Sogar einige der oberen Zehntausend verschlug es ab und zu in die Bar in der Innenstadt. Die zivilisierte Gesellschaft, die sich hier tummelte, stand im krassen Kontrast zu den Leuten, mit denen er sich tagsüber rumschlagen musste und bei ihnen konnte er sich getrost einreden, dass sein allgegenwärtiges Misstrauen unbegründet war.

Dennoch saß er an der Ecke des Tresens, damit er den gesamten Raum überblicken konnte. War wohl eine Berufskrankheit. Doch so entging ihm zumindest nicht, wie sich die Türen öffneten und er endlich die Ablenkung fand, die er gesucht hatte.

Die Frau, die herein kam, schaffte es innerhalb weniger Sekunden, ihn in ihren Bann zu ziehen. Ihre hohen Schuhe ließen ihre Beine noch länger wirken und das weiße Kleid, das knapp oberhalb ihrer Knie aufhörte, betonte zwar ihre umwerfende Figur, war aber nicht aufdringlich. Den Kragen ihrer Lederjacke hatte sie aufgestellt und die Krönung ihres Outfits war der schwarze Fedora-Hut. Eigentlich war Nash niemand, der sich von Oberflächlichkeiten allzu sehr beeindrucken ließ. Vor allem bei Menschen nicht. Er hatte gelernt, dass eine schöne Hülle längst nicht alles war, doch diese Frau hatte mit ihrem Auftritt auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Dabei war es weniger ihre Schönheit, als die Kleinigkeiten, die ihm verrieten, dass sie sich weder darum scherte, was andere von ihr dachten, noch versuchte, in eine Schublade zu passen. Ganz eindeutig hatte sie ihre ganz eigene Schublade.

Die Frau hat Stil, dachte sich Vincent und sein Blick blieb schließlich an ihrem Gesicht hängen, das er – wie er mit gemischten Gefühlen feststellte – vermutlich nicht so schnell vergessen würde. Auf eine attraktive Art war es markant und wurde von ihren tiefschwarzen Haare eingerahmt, die ihr bis kurz über die Brust reichten. Ihr Körper war sehnig und auch wenn die Muskeln sich nicht deutlich abzeichneten, konnte man sie zumindest erahnen. Sie wirkte nicht zierlich. Das konnte sie wahrscheinlich gar nicht, selbst wenn sie es wollte. Aber das musste sie auch nicht. Die Gefahr und die Autorität, die von ihr ausging, machte sie nur noch attraktiver, noch interessanter.

Nash riss sich von ihrem Anblick los und wandte sich wieder seinem inzwischen leeren Glas zu. Sein Instinkt brüllte ihn förmlich an, sich möglichst weit von ihr fern zu halten und der hatte ihm immerhin mehr als einmal das Leben gerettet.

Deshalb gab er dem Mann hinter dem Tresen ein Zeichen, der sofort zu ihm kam. „Einen Margarita bitte", bestellte er und ignorierte seine innere Stimme, die ihm riet, sofort zu verschwinden. Er wollte es noch ein wenig herauszögern, mit seinen Gedanken alleine zu sein. Morgen würde alles von vorne anfangen. Ein neuer Fall, neue Opfer, neue Verdächtige. Verbrecher waren wie Fliegen. Tötete man einen, kamen zehn neue auf seine Beerdigung. Und in dieser Stadt wimmelte es nur so von Fliegen.

„Zwei", sagte plötzlich eine weibliche Stimme und verdoppelte seine Bestellung. Die Fremde hatte sich direkt neben ihn gesetzt und war gerade dabei, ihre Jacke auszuziehen. „Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich mich hier hin setzte", äußerte sie mit einer vorausschauenden Höflichkeit, die Nash verwunderte. Er hatte erwartet, dass sie die Arroganz in Person war, aber ihr aufmerksamer Blick ließen ihn das überdenken.

„Nein, kein Problem", entgegnete er, bevor er darüber nachgedacht hatte.

„Danke." Sie legte den Hut auf den Tresen und fuhr sich kurz durch die Haare, dann nahm sie das Getränk entgegen, das der Barkeeper vor sie hinstellte, und nippte daran.

Vincent hingegen trank seinen Drink in einem Zug aus und bestellte sich kurzerhand den nächsten.

„Schlechter Tag?", fragte die Fremde und sah ihn an. Das reine Grün ihrer Augen war so intensiv, dass sie beinahe schon unnatürlich wirkten. Sie strahlten etwas gefährliches aus; etwas, das ihn gleichzeitig beunruhigte und anzog.

„Ist das so offensichtlich?"

„Nein, eigentlich nicht."

Er wartete, dass sie etwas nachschob, aber sie schwieg und wandte sich wieder ihrem Margarita zu.

Doch gerade als er fragen wollte, wie sie dann auf die Idee kam, wurde er von dem Barkeeper unterbrochen, der ein Glas Champagner vor sie hinstellte. „Von dem Herrn da drüben." Auf der anderen Seite der Bar saß ein Mann mit tausend-Dollar-Anzug, der ihr zunickte.

Super. Damit konnte er beim besten Willen nicht mithalten, doch zu seiner großen Überraschung lehnte sie dankend ab und lächelte entschuldigend zurück, um ihn danach geflissentlich zu ignorieren.

„Das war der teuerste Champagner, den sie anbieten", murmelte Nash und wusste selbst nicht genau, warum er das laut aussprach. Er hatte beobachtet, wie sich der Barkeeper umständlich hatte strecken müssen, um an das oberste Regal zu kommen, auf dem die Flasche thronte. Dort war sie zwar gut sichtbar und wurde regelrecht in Szene gesetzt, aber nur schwer erreichbar, weshalb er vermutete, dass sie nicht oft heruntergenommen wurde. Sie war schlichtweg zu teuer, als dass jeder zweite ihn bestellen würde.

„Genau da liegt das Problem", entgegnete die Frau unbeeindruckt und widmete sich der Limettenscheibe, die an ihrem Glasrand steckte.

Vincent blinzelte verwirrt. „Dass er teuer ist?"

„Nein, dass es Champagner ist." Sie sah ihn an. „Ich hasse Champagner", fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu, „Ich bevorzuge richtigen Alkohol."

„Richtigen Alkohol?"

„Vorzugsweise Whiskey. Aber Tequila geht auch. Oder Caipirinha."

Ein leises Lachen entkam Vincents Lippen, das die Fremde jedoch ihre schönen Augen zusammenkneifen ließ. „Was? Nur weil ich eine Frau bin, darf ich keine harten Sachen trinken?"

Erschrocken klappte er den Mund auf. Zwar war es für Frauen tatsächlich ungewöhnlich, aber sie hatte sein Lachen falsch aufgefasst. Eigentlich hatte sie ihn damit noch mehr beeindruckt als ohnehin schon und das wollte etwas heißen. Es gab nicht viele Menschen, die es noch schafften, ihn zu überraschen.

„Das Äußerliche täuscht oft", fuhr sie ungerührt fort, „Nichts für ungut, aber Sie sehen schließlich auch nicht aus, als könnten Sie es sich leisten, hier zu sitzen."

Für einen Moment war Nash sprachlos. Mit solch einem offenen Konter hatte er nicht gerechnet. Allerdings schluckte er seinen Protest herunter, als er sich auf sein Aussehen besann. Seine letzte Rasur war schon ein paar Tage her, das Jackett hatte er im Auto gelassen und seine Krawatte hing nur schlampig um seinen Hals. Und vermutlich waren seine Haare genauso zerknittert wie sein Hemd. „Touché", sagte er deshalb, „Anscheinend haben wir uns beide falsch eingeschätzt."

Jetzt drehte er sich vollständig zu ihr und streckte ihr die Hand hin. „Vincent Nash", stellte er sich vor, „Ich bin nicht der oberflächliche Vollidiot, für den Sie mich gerade halten müssen."

Ihr Händedruck war fest, was sie ihm noch sympathischer machte. Angeblich sagte er viel über einen Menschen aus und Nash hasste Leute, bei deren Hände er Angst haben musste, sie zu zerquetschen, wenn er zupackte.

„Ever. Und ich bin nicht so unschuldig, wie ich aussehe."

Der Ansatz eines teuflischen Grinsens legte sich auf ihre Lippen und langsam dämmerte es ihm, dass genau dieses Lächeln sein Verderben sein würde.

Criminal - Krieg der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt