Der Tod | 3

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Belustigt sah sie mich an. „Und die wären?"
 
„Ich habe Sie nicht unterschätzt. Hier sind überall Scharfschützen, die Ihre Männer jederzeit ausschalten können."
 
Amüsiert schnaubte sie. „Sie lügen. Dazu müssten Sie mithören, da sie darauf warten bis sie das Signal dazu bekommen, weil sie sonst schon längst geschossen hätten. Und Sie riskieren es nicht, dass noch jemand von Ihrem kleinen Geheimnis erfährt."
 
Dieses Mal war es an mir zu lächeln. Doch ich schaffte es nur leicht meine Mundwinkel zu heben. „Sie haben recht. Das würde ich nicht und es stimmt, die Scharfschützen hören nicht mit. Aber es gibt noch etwas, das Sie nicht bedacht haben." Ich senkte die Stimme. „Es gibt noch jemanden, der weiß, wer ich wirklich bin."
 
Ihre Mundwinkel fielen augenblicklich nach unten.
 
„Dieser Person hört mit und gibt den Snipern den Befehl zu schießen. Nämlich genau jetzt."
 
Ich sah den Schrecken in ihren Augen, doch bevor sie reagieren konnte, war es bereits zu spät. Glas splitterte, etwas zischte durch die Luft und nur Millisekunden später fielen ihre Männer tot zu Boden.
 
Lucy stand für einige Sekunden regungslos da und musste erst noch begreifen was gerade passiert war, dann ließ sie den Metallstab fallen und hechtete nach meiner Waffe. Doch sie kam nicht dazu, sie zu erreichen, denn der nächste Schuss traf sie in den Bauch. Sie schrie auf, ging zu Boden und blieb liegen.
 
Erleichtert ließ ich meinen Kopf wieder gegen die Rückenlehne des Stuhls fallen. Ich hatte Cat angerufen, kurz nachdem ich den Brief gefunden hatte. Natürlich war es dumm gewesen, hier alleine her zu kommen, aber so dumm, ohne eine Versicherung und einen Notfall-Plan herzukommen, war ich auch wieder nicht. Trotzdem war es riskant gewesen. Sie hätte mich gleich erschießen können als ich hereingekommen war und dann hätten mir die Scharfschützen nichts mehr gebracht. Aber ich hatte sie richtig eingeschätzt. Ich hatte mir gedacht, dass es hier um Rache ging und wenn man sich an jemanden rächen wollte und bereit war, dafür Unbeteiligte zu töten, wollte man den Moment auskosten. Erschießen ging zu schnell.
 
Ich schloss nicht die Augen, da ich Angst hatte, dass ich sie dann nicht mehr öffnen könnte. Stattdessen lag mein Blick auf Lucy Heavens, die röchelnd am Boden lag und vor Schmerzen ächzte. Sie presste sich die Hand auf die Wunde, doch schon jetzt hatte sich eine Blutlache unter ihr gebildet. Ich wusste, dass es für sie vorbei war. Wenn sie nicht vorher jemand umbrachte, würde es die Wunde tun. Ich war mir nur nicht sicher, ob sie das ebenfalls wusste. Der Mensch hatte normalerweise bis zuletzt die Hoffnung, dass er lebend aus dieser Situation herauskommen würde. Selbst wenn sie aussichtslos war.
 
Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis endlich Lichtstrahlen von Taschenlampen die Dunkelheit durchbrachen und ich Schritte hörte. Kurz darauf kamen weitere Gestalten in den Raum und die Lichtstrahlen blendeten mich. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte sie zu erkennen, aber eigentlich war das unnötig, da ich die meisten von ihnen ohnehin noch nie gesehen hatte und vermutlich nie kennenlernen würde. Es waren alles Männer aus einem meiner Einsatzteams, die ich angeheuert hatte.
 
Das einzig bekannte Gesicht war das von Cat, die hinter einem der Scharfschützen auftauchte und etwas zögerlicher war als die anderen. Doch als sie mich sah, drückte sie sich an ihnen vorbei und eilte auf mich zu. „Alles in Ordnung?"
 
Schwach nickte ich und gab mir Mühe, nicht ganz so erschöpft zu wirken wie ich mich tatsächlich fühlte.
 
Die Scharfschützen verteilten sich im Raum und überprüften zur Sicherheit die am Boden liegenden auf Lebenszeichen. Einer von ihnen ging neben Heavens in die Knie, drehte sie um und betrachtete sie. „Sie lebt noch", sagte er nüchtern und stand wieder auf. Ihre Männer waren allesamt tot. Alles war so, wie ich es angeordnet hatte.
 
Cat hatte in der Zwischenzeit ein Messer gezückt und die Kabelbinder durchtrennt.
 
Ich rieb mir die Handgelenke. Das raue Plastik hatte in meine Haut geschnitten und vermutlich einige Schürfwunden und Blutergüsse hinterlassen, aber das war nebensächlich. Schließlich stellte auch endlich jemand den Generator ab und das Surren, das mich vermutlich noch bis in meine Albträume verfolgen würde, verschwand endlich.
 
Ich drückte mich von den Stuhllehnen ab und stand auf, was mir allerdings erst beim zweiten Versuch gelang. Cat bot mir ihre Hilfe an, doch ich lehnte ab. Mühselig richtete mich auf und sah zu dem Einsatzteam, die sich in die Nähe gestellt hatten und auf weitere Befehle warteten. „Danke, Sie können gehen. Den Rest schaffen wir alleine."
 
Die Männer zögerten kurz, nickten dann und gingen. Schließlich fiel mein Blick auf Lucy Heavens, die noch immer am Boden lag. Sie hatte aufgehört zu ächzen und lag nun still und mit ungleichmäßigem Atem auf dem Rücken und starrte gegen die Decke. Etwas schwerfällig hob ich meine Waffe auf und stellte mich über sie.
 
„Sie haben gewonnen", sagte sie leise und bitter.
 
Ich nickte langsam. „Das mit Ihren Eltern tut mir leid. Manchmal denkt man nicht nach, bevor man handelt." Der letzte Satz traf ironischerweise auf uns beide zu.
 
Als sie das merkte, flog ihr Blick zu Cat, die nun neben mich trat.
 
„Sie haben ihren Verlobten umgebracht. Er hatte nicht das geringste mit mir oder meinen Geschäften zu tun. Er war unschuldig." Ich würde ihr nicht sagen, dass sie dadurch auch nicht viel besser war als ich. Auch ich war damals auf Rache aus gewesen und hatte meine Wut an den falschen Leuten ausgelassen. Sie hatte genau das Gleiche getan. Doch ich war nicht dazu bestimmt, ihre Richterin zu sein. Das war Cat alleine.
 
Ich nahm die Hand meiner Freundin und legte meine Waffe hinein.
 
Nur zögerlich umschlossen ihre Finger die Pistole, aber schließlich hielt sie sie fest.
 
Ich trat einen kleinen Schritt zurück und überließ ihr die Entscheidung.
 
Es war unfair, aber ich war froh, dass ich mich nicht entscheiden musste. Ich wüsste nicht, was ich getan hätte. Da Lucy und ich uns so ähnelten, konnte ich sie verstehen. Sie hatte Cat nicht verletzen wollen. Auch wenn sie vorhin etwas anderes behauptet hatte, hatte sie doch nie die Absicht gehabt, jemandes Glück zu zerstören. Der Mensch in mir wollte sie leben lassen, doch die Geschäftsfrau wusste, dass sie zu viel über mich wusste. Sie durfte meinen Namen nicht der Polizei oder gar der Presse geben und man konnte jemanden nur hundertprozentig zum Schweigen bringen, wenn man ihn tötete.
 
Ich sah wie Cat mit sich haderte. Es war das, was sie die letzten Wochen über gewollt hatte, aber es war etwas anderes, wenn man dem Mörder tatsächlich gegenüber stand. Im eigenen Kopf waren sie immer nur seelenlose Monster ohne wirkliche Gestalt, ohne Charakter und ohne Leben. Nichts, bei dem man sich schuldig fühlen musste, es zu zerstören. Doch letztendlich war Heavens auch nur ein Mensch wie Cat und ich.
 
Was Cat allerdings nicht wusste, war, dass Lucy nicht so hart war, wie sie vorgab zu sein. Der Mord an Cole war wirklich ihr erster, eigenhändiger Mord gewesen, doch sie war dabei nicht so abgebrüht gewesen, wie sie behauptet hatte. Den Stichwunden zu urteilen, hatte sie bei den ersten Stichen gezögert. Wenn man nicht gerade ein Psychopath war, konnte man nicht töten ohne zu etwas zu fühlen. Und Lucy war keine Psychopathin.
 
Noch immer unsicher stand Cat über der Mörderin des Mannes, den sie geliebt hatte.
 
Lucy lag unter ihr und sah zu ihr auf. Beinahe mit flehendem Blick, aber um zu betteln war sie zu stolz. Genau wie ich es gewesen war.
 
Schließlich drehte sich Catalina zu mir um.
 
„Du musst das nicht tun", sagte ich und sie nickte.
 
Das half ihr nicht wirklich weiter, aber ich wollte nicht, dass sie dachte, dass ich das von ihr verlangte oder sie gar dazu zwang. Es spielte im Moment keine Rolle, ob sie meinen Namen verraten könnte. Es ging gerade nur um sie. Und Cat verstand, dass sie alleine das entscheiden musste. Sie hielt die Waffe. Sie hatte die Macht über Leben und Tod.
 
Dann, so plötzlich, dass ich zusammenzuckte, drückte sie den Abzug durch und der Knall des Schusses prallte an den kahlen Wänden ab und hallte durch das komplette Red-Carpet-Hotel.

Criminal - Krieg der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt