Gangster's Paradise | 3

348 34 9
                                    

Auf der Rückfahrt flogen die heruntergekommenen Häuser nur so an mir vorbei. Ich kannte die Gegend und doch war ich jedes Mal überrascht wie sehr die Gebäude und die Straßen die Menschen spiegelten. Sie waren alles andere als makellos und sie alle hatten schon einiges erlebt, wovon ihre Macken und Narben zeugten. Sie versuchten sie nicht zu verstecken, genauso wenig wie sie versuchten zu tun als wäre alles in Ordnung wie die restliche Welt. Die Ordnung und die vorgetäuschte Perfektion, nach der jeder strebte, waren nur Fassade dafür wie kaputt doch alles war. Hier war die Umgebung authentisch. Manchmal zu authentisch.
 
Ich konnte verstehen, warum jeder versuchte diese Fassade aufrechtzuerhalten. Ich schwelgte gerne in der Illusion, dass alles gut war oder zumindest gut werden würde. Wer tat das nicht? Trotzdem hatte ich es immer als Schwäche gesehen. Vielleicht zogen mich deshalb die Schatten so an. Ich wurde jeden Tag mit den Abgründen der Menschheit konfrontiert und nicht selten war ich selbst daran beteiligt. Ich suchte die Dunkelheit, weil ich mich davon überzeugen wollte, dass es noch schlimmere, noch kältere, noch weitaus grausamere Personen gab, als ich es war.
 
Und das wurde ich. Jedes Mal aufs neue überraschten mich diese Abgründe mit Leuten, die noch mehr Dunkelheit im Herzen trugen als ich. Und genau das war es, was ich verabscheute. Die Möglichkeit, dass ich eines Tages genauso werden könnte wie sie. Dass ich noch tiefer fallen und die Dunkelheit irgendwann nicht mehr kontrollieren könnte. Deshalb hasste ich diese Menschen so. Sie erinnerte mich daran, dass ich nur einige Taten davon entfernt war, genau wie sie zu werden. Aber ich hatte mir geschworen gewisse Grenzen niemals zu überschreiten. Leider schienen sich diese Linien immer wieder verschieben zu lassen. Ich hatte Angst eines Tages aufzuwachen und zu bemerken, dass ich sie längst überschritten hatte.
 
Manchmal fragte ich mich, ob ich schon immer Teil dieser Dunkelheit gewesen war. Was passiert wäre, wenn meine Mutter noch am Leben wäre. Würde ich heute dort sein, wo ich war? Oder würde ich einem normalen, langweiligen Job nachgehen und Menschen fürchten, die genauso waren wie ich? Die Wahrheit war, dass ich es nicht wusste. Ich hatte immer den Tod meiner Mutter als Grund angesehen, warum ich das alles tat. Rache dafür, dass die großen Staaten sich nicht um die kleinen Leute kümmerten und dass sie nur auf Macht aus waren. Doch vielleicht war das alles nur eine Ausrede. Vielleicht war ich nicht besser als sie. Aber ich dachte nicht weiter darüber nach. Wer wusste schon ganz genau warum man das tat was man tat? Man konnte sich das zwar einreden, doch wenn man ganz ehrlich zu sich war, hatte man keine Ahnung. 
 
Während ich fuhr, war ich so in Gedanken versunken, dass der Suicide District an mir vorbeizog wie ein Film, den man zu schnell abspielte. Ein formloser Rausch aus Farben. Doch als ich aus dem Fenster sah, blieb ein einziges Bild bei mir hängen. Ich sah es vielleicht den Bruchteil einer Sekunde lang und hatte anfangs keinen blassen Schimmer warum, aber es hatte sich in meine Netzhaut eingebrannt. Mein Unterbewusstsein arbeitete schlichtweg schneller als mein bewusstes Denken. Meine Gedanken rasten und ich versuchte ihnen hinterherzurennen, konnte sie aber nicht fassen. Das einzige Signal was mein Hirn mir im Moment sendete, war glasklar: Anhalten.
 
Ich legte eine Vollbremsung mitten auf der Straßen hin. Der Sicherheitsgurt drückte in meine Brust und als ich angehalten hatte, wurde ich wieder zurück in den Sitz geschleudert. Im Nachhinein konnte ich von Glück reden, dass niemand auf der Straße und vor allem niemand hinter mir gefahren war, aber das war mir im Moment vollkommen egal. Ich wendete und fuhr zurück zu der Stelle, die mir gerade eben ins Auge gesprungen war.
 
Eigentlich war es einfach nur eine kahle Wand, die mit Graffitis überseht war. Eine Wand, wie man sie überall im Suicide District findet. Hier war nahezu alles besprüht. Doch das interessante an dieser Wand war das Motiv. Besser gesagt das, was ich darin sah.
 
Die Ostseite des Gebäudes war voll mit seltsamen, bunten Kreaturen und Buchstaben. Der oder die Künstler hatten kreuz und quer durcheinander gesprüht, aber das war es nicht, was herausstach. Es war der leere Raum zwischen den Bildern. Ich wusste nicht ob es Absicht gewesen war, aber der Negativraum bildete ein etwa ein Meter großes X.
 
Ich wusste, es war völlig unlogisch. Niemand sonst hätte in diesem höchstwahrscheinlich wahllosen Gekritzel etwas gesehen. Doch der Anblick des X löste etwas in mir aus. Als hätte er eine Denkblockade gelöst. 

Bilder, die unter anderen Umständen keinen Sinn gemacht hätten, schoben sich in meine Gedanken. Häuser, Straßen, eine Stadt. Punkte auf einer Karte. Linien, die sich verbanden. Ein Kreuz – ein X. Eine Schlinge, die sich langsam immer enger um einen Hals zog. Meinen Hals.
 
Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Innerhalb von Sekunden zogen die einzelnen Puzzleteile vor meinem inneren Auge vorbei und setzten sich zusammen. Plötzlich ergab alles einen Sinn. Ich verstand, was die Tarot-Karten sollten. Verstand die Botschaft, die nur an mich gerichtete war. An mich alleine. Weil nur ich die Verbindung zwischen all den einzelnen Teilen herstellen konnte, da nur ich sie kannte und sehen konnte. Angst durchzuckte mich. Aber es war einen andere Angst als sonst. Es war keine Angst mit einem Namen. Sonst hatte meine Angst ein Gesicht oder eine Form, wie zum Beispiel eine Kugel oder ein Messer. Doch dieses Mal war es anders.
 
Ich riss mich von dem Anblick der Wand los und stieg wieder in mein Auto. Ich musste unbedingt nach Hause. So schnell wie möglich. Es grenzte an ein Wunder, dass ich auf dem Rückweg in mein Apartment keinen Unfall baute. Ich raste durch die Straßen und meine Gedanken rasten mit. Und als ich endlich vor der Tür meines Penthauses stand, war ich so aufgedreht, dass ich den Schlüssel fast nicht ins Schlüsselloch bekam.
 
Drinnen hielt ich mich gar nicht erst damit auf meine Schuhe auszuziehen, sondern ging sofort an die Schublade, in die ich die Tarot-Karten gelegt und seit Vincents Besuch nicht mehr herausgeholt hatte. Ich schmiss sie auf den Tisch, während ich schon zu meinem Bücherregal hetzte und eine Karte der Stadt heraus kramte, von der ich nicht mal wusste warum ich sie überhaupt hatte. Zusätzlich zu einem Stift legte ich alles zu den Tarot-Karten und ließ mich auf einen Stuhl fallen.
 
Wie besessen beugte ich mich über die Stadtkarte und begann bestimmte Punkte zu suchen. Die erste Stelle, an der eine Tarot-Karte aufgetaucht war, war der Park of Arts. Vincent hatte erzählt, dass sie „Kraft" an Evans Leiche gefunden hatten. Ich markierte die Stelle mit einem Punkt und legte die Tarot-Karte daneben. Als nächstes kam „Gerechtigkeit". Es war die Karte, die in einem Umschlag unter Vincents Tür durchgeschoben worden war. Wieder zeichnete ich einen Punkt ein. Die nächsten zwei Karten waren „Die Liebenden" und „Gericht". Ich zeichnete den Punkt für beide bei Cats und Coles gemeinsamen Apartment ein. Coles Tarot-Karte hatte ich zwar eigentlich im Krankenhaus „gefunden", aber ich war mir sicher, dass es geplant war, dass er Zuhause starb. Und schließlich „Der Narr", Chips Karte. Ich brauchte kurz um die Wohnung von Seth Tosh zu finden, dann hatte ich vier Punkte auf der Karte.
 
Schließlich kam das X ins Spiel. Ich verband die jeweils gegenüberliegenden Punkte miteinander und heraus kam – Überraschung – ein Kreuz. Doch das war nicht das, was mich beunruhigte. Es war die Stelle, wo sich die zwei Striche trafen und eben dieses X bildeten. Es war eine Stelle im Diamond Square.
 
Genau dort, wo das X war, lag mein eigenes Apartment.
 
Ich brauchte einige Sekunden um den Schock zu verdauen. Das hier war beängstigend genau. Vor allem die Bedeutung, die sich ergab, wenn man das alles metaphorisch sah. Cat, Evan, Cole, Chips und seit neustem auch Vincent waren die Menschen, die mir außer meiner Familie am nächsten standen. Sie waren mein Umfeld. Ich verband all diese Menschen, die sich teilweise nicht mal gegenseitig kannten und nicht wussten, dass sie eine Verbindung miteinander hatten. Ich persönlich war die Verbindung.
 
Die Botschaft war klar. Jemand kannte nicht nur mich, sondern auch mein Umfeld. Nur warum hatte man dafür ausgerechnet Tarot-Karten benutzt? Plötzlich erinnerte ich mich an einen Gedanken, den ich gehabt hatte, als ich Chips Karte gefunden hatte: Die Karte hatte die Zahl Null und hieß „Der Narr". Nicht gerade sehr schmeichelhaft, aber irgendwie zutreffend.
 
Zutreffend. Es war kein Zufall, dass diese Karte irgendwie zu Chips passte. Es gab hier keine Zufälle. Alles hatte eine Bedeutung und das war wohl das Motto des Tages. Ich erinnerte mich daran, dass jede einzelne Tarot Karte ihre eigene Bedeutung hatte. Ich hatte sie mir zwar durchgelesen, mir aber nichts weiter dabei gedacht. Doch auf einmal erschien es mir glasklar. Jede Karte stand für die Person, die sie bekommen hatte.
 
Ruckartig stand ich auf, wobei fast mein Stuhl umfiel. Ich kramte eine Schachtel heraus, die ich erst vor kurzem gekauft hatte. Darin war das komplette Rider-Tarot inklusive eines Buches, das die Bedeutung jeder einzelne Karte erläuterte. Ich hatte es gekauft, da ich alle Karten vor mir haben wollte. Auch die, die ich nicht bei mir hatte, weil sie zum Beispiel als Beweismittel beim FBI waren. Zwar hatte ich ein fotografisches Gedächtnis, aber ich konnte besser nachdenken wenn ich die Dinge, über die ich mir den Kopf zerbrach, vor mir hatte. Geholfen hatte es zwar nichts, aber ich war trotzdem froh, dass ich die Kiste gekauft hatte.
 
Ich schnappte mir das Buch und ging zurück zu dem Tisch, wo ich die erste Karte nachschlug. Ich begann mit „Der Narr". Sie stand für das Kind im Menschen, für jugendliche Unbekümmertheit, das kindliche Gemüt, für Verspieltheit und auch ein wenig für Naivität. Chips war der jüngste von uns und würde vermutlich geistig immer ein Kind bleiben. Ich hatte mich geirrt. Die Karte passte nicht nur zu ihm, sie war wie für ihn gemacht.
 
Ich blätterte weiter zu „Die Liebenden", Coles Karte. Ihr Thema war das Bekenntnis zu der einen Liebe. Eine Entscheidung, mit der man vieles aufgeben musste, dadurch aber auch neue Erfahrungen machen würde. Ich dachte sofort an das Heiraten und daran, dass Cole Cat einen Antrag hatte machen wollen. Dadurch hatte er seinem alten Leben ein großes Stück weit absagen müssen, doch die Ehe wäre gleichzeitig eine neue Chance auf etwas vollkommen Neues für die Beiden gewesen.
 
Cats Karte „Gericht" stellte das jüngste Gericht dar. Doch sie hatte nichts mit Bestrafung, sondern vielmehr mit Erlösung zu tun. Es ging um eine Befreiung, die etwas besseres zur Folge hatte. In Verbindung mit Cat sollte sie wohl auf ihr früheres Leben in Mexiko unter der Tyrannei von José Donio und darauf, dass sie dort herausgekommen war, anspielen. Den Neuanfang, den sie hier hatte.
 
„Kraft" hatte sogar eine Verbindung mit meiner Karte, „Der Magier". Im einzelnen stand sie, wie der Name schon sagte, für eine außerordentliche Kraft und Mut. Evan war in vielerlei Hinsichten stark gewesen.
  Und wie könnte es anders sein, beschrieb auch Vincents Tarot-Karte „Gerechtigkeit" ihn bis aufs Detail. Bei seiner Karte ging es um Unbestechlichkeit, Fairness und eben Gerechtigkeit. Außerdem stand sie für viel Selbstverantwortlichkeit und der FBI-Agent war wahrscheinlich der verantwortungsvollste Mensch, den ich kannte.
 
Letztendlich kam ich zu „Der Magier". Er bedeutete Klugheit, Selbstbewusstsein, Geschicklichkeit und einen außerordentlichen Einfluss.
 
Eigentlich müsste ich geschmeichelt sein, aber aus meinem Blick sprach die blanke Angst. Wie konnte derjenige uns alle nur so gut kennen? Wie konnte er oder sie von Catalinas Vergangenheit und Coles geplanten Antrag wissen? Wie konnte diese Person jeden von uns so genau kennen, dass sie das wesentliche unserer Charakterzüge diesen Tarot-Karten zuordnen konnte? Genau das war es, was mir Angst machte. Ich war ein Schatten und er kannte die Antwort darauf wie man einen Schatten vernichtete: Man leuchtete mit einem Licht darauf. Klang simpel, war es aber nicht immer.
 
Ich stand auf und riss die Terrassentür auf. Draußen wehte ein kühler Wind. Das war genau das, was ich gerade brauchte: Luft. Ich ging zu dem Geländer und stützte mich dort ab. Vor mir bauten sich die kalten Kanten aus Stahl und Glas auf, die zu der Skyline der Stadt gehörten. Heute erschienen sie mir irgendwie scharf und gefährlich. Wer wusste schon so genau was sich in den tiefsten und dunkelsten Löchern der Stadt versteckte? Ich hatte einmal gedacht, dass ich es wusste. Ich hatte gedacht, dass ich damit umgehen und sie sogar kontrollieren konnte, doch offensichtlich hatte ich mich geirrt. Die Karten waren der beste Beweis dafür.
 
So etwas konnte und durfte einfach nicht passieren! Verflucht, ich war ein Geist. Anonymität war schon immer alles gewesen und jetzt das? Wie konnte es sein, dass jemand mich und mein Umfeld beinahe besser kannte als ich?
 
Es gab nur eine Möglichkeit und die machte mir mehr Angst als alles andere: Jemand wusste wer ich wirklich war. Meine wahre Identität. Denn dadurch war nicht nur ich, sondern vor allem meine Familie in Gefahr.
 
Ich atmete einmal tief durch und schloss meine Augen. Das konnte nicht sein. Ich war die ganzen Jahre über so vorsichtig gewesen. Wahrscheinlich reagierte ich schlichtweg über. Ich zwang mich mich zu beruhigen. Ich musste nachdenken. Viel wichtiger war gerade wer mir diese Botschaft zukommen lassen wollte und warum. Weil er mir zeigen wollte, dass er mich und die Leute mit denen ich zu tun hatte, kannte. Nur warum sollte derjenige mir das zeigen wollen? Es machte keinen Sinn, dass mich erst jemand heimlich beobachtete und mir dann seine Erkenntnisse unter die Nase rieb. Normalerweise verwendete man solche Informationen gegen die Person, aber so war das Überraschungsmoment zerstört.
 
Ich fuhr mir durch die Haare. Das würde mich vermutlich die ganze Nacht beschäftigen, weshalb ich wieder nach drinnen ging und mir erst mal einen Kaffee machte. Mit der dampfenden Tasse ging ich zurück zu dem Tisch und stellte sie dort ab. Mein Handy klingelte. Als ich den Namen auf dem Display las, musste ich unwillkürlich lächeln. Verflucht, dieser Mann vollbrachte ein wahres Wunder, indem er mich sogar das Karten-Dilemma vergessen ließ. Fürs Erste zumindest.
 
„Hallo, schöne Frau."
 
Meine Mundwinkel bogen sich noch weiter nach oben und alleine durch Vincents Stimme schlug mein Herz mir bis zum Hals. „Hallo, schöner Mann. Wie ist die Arbeit?"
 
„Hm. Ein paar böse Buben, ein paar fliegende Kugeln, ein bisschen Papierkram. Nichts besonderes. Und bei dir?"
 
Ich setzte mich auf die Tischkante. „Ein paar nervige Kunden, ein Van Gogh und ein kleiner zwei-Millionen-Deal. Nichts besonderes."
 
Er lachte. „Und? Wie waren die letzten paar Tage?"
 
„Tatsächlich ist es ziemlich langweilig ohne dich." Ich bemühte mich möglichst unbeteiligt zu wirken und nahm mehr unbewusst als bewusst eine Karte in die Hand, die ich zwischen meinen Fingern hin und her drehte.
 
„Ich hab dich auch vermisst, Jordan", lächelte Vincent.
 
Dann schwieg er für einen Moment. „Geht dir das langsam genug?"
 
Ich biss mir auf die Lippe und hielt die Karte fest. „Um ehrlich zu sein... könnten wir uns am Anfang ruhig ein wenig öfter sehen...", meinte ich etwas schüchtern.
 
„Geht mir genauso", flüsterte er.
 
„Wo bist du?"
 
„Noch im Büro. Hatte in den letzten Tagen viel zu tun." Ich wusste, dass das zumindest teilweise gelogen war. Er hatte mir einfach den Freiraum geben wollen, um den ich gebeten hatte. Wofür ich ihm wirklich dankbar war. Er hatte Wort gehalten. Nicht, dass ich daran je gezweifelt hatte.
 
„Und hätte der vielbeschäftigte FBI-Agent trotz seines vollen Terminkalenders vielleicht Zeit für ein klitzekleines Abendessen?"
 
„Du kannst kochen?"
 
„Natürlich. Aber eigentlich wollte ich uns eine Reservierung im Lux besorgen."
 
„Machst du Witze? Das ist schon Monate im Voraus ausgebucht."
 
„Mm, das werden wir mal sehen."
 
„Führt normalerweise nicht der Mann die Frau zum Essen aus und nicht andersherum?", fragte er und ich konnte seine hochgezogene Augenbraue förmlich vor mir sehen.
 
„Ach, sei doch nicht so konservativ", beschwerte ich mich.
 
„Na schön. Dann lass mich dich wenigstens abholen. Und das nächste Mal zahle ich."
 
Ich lachte. „Einverstanden. Und wann?"
 
„Wie wär's gleich mit morgen?"
 
Mein Herz machte bei der Vorfreude einen kleinen Hüpfer. „Hört sich gut an."
 
„Und du bekommst wirklich so schnell einen Tisch?"
 
Ich schnaubte. „Ich bitte dich. Die nehmen mich mit–"
 
Plötzlich stockte ich. Mein Blick war eher durch Zufall auf die Tarot-Karte gefallen, mit der ich schon die ganze Zeit herumspielte. Darauf war ein Thron abgebildet, worauf ein bärtiger Mann mit Krone und Zepter saß. Offensichtlich ein König, aber so hieß die Karte nicht. Der Name, der darunter stand, ließ mich vergessen was ich gerade sagen wollte.
 
„Mit Handkuss?", schlug Vincent schließlich vor und erinnerte mich, dass er noch am Telefon war.
 
Ich riss mich aus meiner Starre. „Ähm, ja. Mit Handkuss, natürlich."
 
Aber Vincent wäre nicht Vincent wenn ihm meine kurze Geistesabwesenheit nicht aufgefallen wäre. „Ist alles in Ordnung?"
 
„Ja, klar. Was sollte sein?", log ich.
 
„Keine Ahnung. Du hast dich nur gerade angehört als hättest du einen Geist gesehen."
 
Das traf es ziemlich gut.
 
„Nein, alles bestens. Ich muss nur leider auflegen. Da ist ein Kunde."
 
„Okay. Dann bleibt es bei Morgen?"
 
„Sicher. Bis morgen."
 
„Bis morgen."
 
Kaum hatte er zu Ende gesprochen legte ich auf und warf mein Handy achtlos auf den Tisch.
 
Ich schnappte mit das Buch und blätterte bis zu der Seite mit der Karte Nummer vier. In erster Linie stand diese Karte für Ordnung und Struktur, aber auch für den Wunsch nach Macht bis hin zur Herrschsucht und eisernen Machtentfaltung. Die Karte traf auf die Person, die sie darstellte, zwar von allen am wenigsten zu, aber auf der anderen Seite kannte ich denjenigen auch nicht persönlich. Nur eins wusste ich sicher: Die Karte bedeutete, dass derjenige mit der ganzen Sache zu tun hatte. Selbst wenn ich nicht genau wusste wie.
 
Zumindest hatte ich jetzt ein Problem weniger. Oder mein Problem hatte sich gerade vergrößert. Je nachdem wie man es sah. Denn anscheinend waren Evans und Coles Mörder und mein Rivale ein und die selbe Person.
 
Ich sah wieder zu der Karte. Unter dem Bild stand in schwarzen Buchstaben ihr Name: »Der Herrscher«

Criminal - Krieg der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt