Roter Samt | 1

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Ich trat vor die Tür und atmete tief durch. Das van Gogh-Geschäft war endlich über die Bühne. Lorenzo Fiori hatte sein heiß geliebtes Bild und ich mein Geld. Es war als hätte ich einem Kleinkind ein Geschenk gemacht. Ich konnte seine Freude nur ansatzweise nachvollziehen, obwohl „Maler auf der Straße zu Tarascon" ein wirklich schönes Gemälde war, an das man nur extrem schwer kommen konnte. Trotzdem war ich froh, dass ich es endlich los war, da das Risiko erwischt zu werden bei einem so bekannten Bild erheblich stieg.
 
Ich ging zu meinem Camaro, doch kaum saß ich, bekam ich eine Nachricht auf meinem Handy: »Wollte mich bei dir entschuldigen. Wann kannst in der Innenstadt an der Ecke Garden Parks und Emerald Street sein? Vince«
 
Ich seufzte. Vincent hatte eigentlich keinen Grund sich bei mir zu entschuldigen, da er mitten ins Schwarze getroffen hatte. Die letzte Nachricht, die auf Evans Handy eingegangen war, war tatsächlich von mir gewesen, aber ich hatte ihn nicht gefragt wo er war. Ich hatte auch keine schlechte Verbindung gehabt und er hatte die Nachricht nicht später erhalten. Die Zeit, in der ich sie abgeschickt hatte, stimmte mit der Zeit überein, in der sie auf dem Handy eingegangen war. Sie hatte einen Code enthalten, der ein Virus auf Evans Handy geladen hatte, das es komplett zurücksetzte und alle Daten löschte. Irgendwann hatte ich Chips darum gebeten und er hatte es tatsächlich geschafft einen solchen zu erschaffen. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass das FBI es schaffte überhaupt etwas zu retten.
 
Ich hatte kein Recht auf ihn wütend zu sein, da es schlichtweg die Wahrheit war. Tatsächlich hatte ich nur so reagiert, damit er seinen Verdacht verwarf. Und anscheinend hatte es funktioniert. Doch das wusste er alles nicht. Und das sollte auch so bleiben.
 
Aber ich konnte diesem Mann einfach nichts abschlagen, weshalb ich zurückschrieb, dass ich in zehn Minuten dort wäre. Wie immer bereute ich es, nachdem ich auf „Senden" gedrückt hatte. Es war so unglaublich dumm nicht sofort den Kontakt zu ihm abzubrechen, aber ich konnte es einfach nicht.
 
Ich hatte mich um zwei Minuten verschätzt, weshalb ich erst zwölf Minuten später an der Ecke Garden Parks und Emerald Street ankam. Sie lag mitten in der Innenstadt, wo sich ein Laden an den anderen reihte. Einkäufer schlenderten durch die sonnendurchflutete Häuserschlucht und ich mischte mich unter sie bis ich Vincent entdeckte.
 
Er lehnte cool an einer Gebäudewand, reckte seine Nase, auf der seine Sonnenbrille saß, in die Sonne und in seiner Hand hielt er zwei Eisbecher. An seinem Gürtel glänzte seine Marke und sein Jackett, für das es viel zu warm war, verdeckte seine Waffe.
 
„Deshalb hast du mich hier her gerufen?", fragte ich, als ich direkt vor ihm stehen blieb und zeigte auf die Eiscreme.
 
„Du bist aber wählerisch. Das ist das beste Eis der Welt. Aber wenn du es nicht willst..."
 
„Das habe ich nicht gesagt", meinte ich und nahm ihm das Schokoladeneis aus der Hand.
 
Er grinste und stieß sich von der Wand ab.
 
Nebeneinander gingen wir die Straße entlang. „Du musst dich übrigens nicht entschuldigen. Ich habe gestern einfach ein wenig überreagiert."
 
„Ich hätte dich auch ein wenig freundlicher fragen können", gab er zu, „Ich wollte dich nicht verdächtigen, aber die Beweise..."
 
„Schon okay. Wirklich. Es ist immerhin dein Job. Vergessen wir das einfach, ja?", tat ich es mit einer Handbewegung ab. Die Sache gestern war mir unglaublich unangenehm und ich wollte nicht weiter länger darüber nachdenken. Vince schien es ähnlich zu gehen und er nickte erleichtert.
 
„Ich habe dich übrigens nicht nur hergebeten um dich zu bestechen", meinte er dann.
 
Ich runzelte die Stirn. „Warum dann? Das mit dem Eis ist ja wirklich süß, aber..."
 
„Ich muss einem gewissen Hendrick Hastings ein paar Fragen stellen und ich will, dass du mich begleitest. Er könnte mit dem Mord an Evan Shaw etwas zu tun haben."
 
Ich war so überrascht, dass ich stehen blieb. „Ich dachte, dass du keine Informationen weitergeben darfst."
 
Er sah mich übertrieben unschuldig an. „Ich? Das würde ich auch nie tun. Ich erzähle einer Freundin nur von irgendeinem Fall, den ich irgendwann mal bearbeitet habe und dann treffen wir rein zufällig auf Hastings. Ich nutze das, um ihn zu befragen. Offiziell hast du draußen gewartet bis ich fertig war und keine Ahnung was ich da drin gemacht habe." Er zuckte mit den Schultern und meine Mundwinkel bogen sich nach oben.
 
Vincent lächelte, wurde aber wieder ernst. „Pass auf, Jordan. Ich kann nicht nachvollziehen wie du dich bei dem Tod deines Freundes gefühlt haben musst, aber im Nachhinein kann ich verstehen warum du mich um Informationen gebeten hast und seinen Mörder unbedingt finden willst. Ich hätte an deiner Stelle vermutlich das Gleiche getan und deshalb will ich dir helfen. Aber du musst mir versprechen, dass niemand jemals davon erfährt. Wenn mein Vorgesetzter davon Wind bekommt, werde ich bestenfalls von dem Fall ausgeschlossen und schlimmstenfalls gefeuert."
 
Ich schluckte. Er hatte keine Ahnung wie viel mir das bedeutete und selbstverständlich würde ich ihn nicht in Schwierigkeiten bringen. „Keine Sorge. Ich kann schweigen wie ein Grab."
 
„Gut, ich nehme das jetzt mal wörtlich. Hastings ist nämlich bei einem Bestattungsunternehmen angestellt. Und da fahren wir jetzt hin."
 
Wir nahmen meinem Wagen, da er zu Fuß in die Stadt gekommen war. Seine Wohnung war nicht weit von hier. Während der Fahrt zum Bestattungsunternehmen erläuterte er mir die groben Details von Evans Mord, ohne zu viel zu verraten. Seine Informationen waren zwar ein wenig spärlich und ich war mir sicher, dass er das wichtigste wegließ, aber ich würde nicht auf die Idee kommen mich darüber zu beschweren. „Vor einigen Tagen hat jemand mitten in der Stadt einen Umschlag unter meiner Tür durchgeschoben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er von Shaws Mörder war und die Fingerabdrücke, die wir auf der Außenseite des Umschlags gefunden haben, sind von Hastings", schloss er, als ich parkte. Zwar hatte er nicht erzählt, was in dem Umschlag war und was das mit dem Mord an Evan zu tun hatte, aber ich fragte nicht nach.
 
Wir stiegen aus und das Erste, was mir ins Auge fiel, war ein großes Schild, auf dem »Hastings&Sons« stand.
 
Wir gingen zu der Eingangstür, doch bevor wir eintraten, hielt mich Vincent zurück. „Ich stelle die Fragen und du hörst nur zu, klar? Halte dich im Hintergrund und tu so als würdest du zu mir gehören. Solange er nicht weiß, dass du keine Agentin bist, ist alles in Ordnung, aber du darfst ihn darüber auch nicht anlügen. Das setzt natürlich voraus, dass er dich fragt. Also..." Er seufzte und unterbrach sich damit selbst. „Mach einfach keine Schwierigkeiten", fasste er es zusammen.
 
Ich legte meine Hand auf seine Schulter. „Ich kriege das schon hin." Dann öffnete ich die Tür.
 
Der erste Eindruck des Eingangsbereichs war seltsam. Er war relativ hoch und ein großes Deckenlicht sorgte für natürliches Licht. In der Mitte plätscherte ein Brunnen und überall standen Pflanzen herum, sodass ich mich fast wie in einem kleinen Urwald fühlte. Die Luft war passend dazu etwas feucht, allerdings fehlte die drückende Wärme, die normalerweise im Dschungel herrschte. Stattdessen sorgte eine Klimaanlage für einen kühlen Luftzug. Das alles sollte wohl für eine angenehme Atmosphäre sorgen, doch allein das Wort „Bestattungsunternehmen" machte sie wieder zu Nichte. Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Vermutlich weil ich Bestattungsunternehmen seit dem Tod meiner Mutter hasste und der Mord an Evan hatte das Gefühl bestätigt. Man war nur ungern an so einem Ort und der schönste Eingangsbereich konnte daran nichts ändern. Hier stand der Tod an der Tagesordnung.
 
Der Brunnen teilte den Raum und es führten jeweils zwei Wege an zwei Türen. Aus der rechten kam gerade ein Mann im Anzug heraus. Er hatte längere, braune Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. „Willkommen bei Hastings&Sons", begrüßte er uns mit einem leichten Singsang in der Stimme. Er sah aus wie ein Hippie, dem ein Anzug aufgezwungen worden war. Aber wenn man jeden Tag freiwillig mit Leichen arbeitete, musste man ja einen an der Klatsche haben.
 
„Erstmal herzliches Beileid. Was kann ich für Sie tun?"
 
„FBI", sagte Vince und zeigte seine Marke, „Ich bin Vincent Nash und das ist Jordan Everton."
 
Als mein Name fiel, flog sein Blick zu mir. „Jordan...?"
 
Ich hob die Hand. „Ja, ich weiß. Wie der Verbrecher. Die beim FBI fanden es auch wahnsinnig lustig."
 
Vincent wollte mir schon einen Blick zuwerfen, aber Mr. Hastings wandte sich wieder an ihn und schien nicht den geringsten Verdacht zu hegen. Er hielt mich tatsächlich für eine FBI-Agentin.
 
„Wir suchen Hendrick Hastings. Das sind nicht zufällig Sie?"
 
Der Bestattungsunternehmer fasste sich an die Stirn. „Was hat der Junge dieses Mal angestellt?"
 
„Sie sind also nicht Hendrick Hastings?", hakte Vincent nach.
 
„Nein. Das ist mein Sohn. Es ist nicht das erste Mal, dass die Polizei hier ist. Er hat die Schule abgebrochen und arbeitet jetzt hier."
 
„Entschuldigung, aber wie alt ist Ihr Sohn?"
 
„Siebzehn."
 
Vincent nickte und ließ sich seine Verwirrung nicht anmerken. „Können wir mit ihm reden?"
 
„Natürlich. Er ist gleich dort hinten." Er ging auf die Tür zu, aus der er gekommen war, bat uns ihm zu folgen und führte uns in die Büroräume, vorbei an in Regalen aufgereihten Urnen.
 
Die Räume dahinter waren Büroräume und ein Zimmer für Besucher, in dem man sich in Ruhe besprechen konnte. Prospekte für Urnen, Särge und Blumenschmuck lagen auf einem Tisch und ich fühlte mich zunehmend unwohl. „Warten Sie hier. Ich hole ihn", sagte Mr. Hastings und verschwand in einer weiteren Tür zu unserer linken. Sie führte in eine Halle, in der sich Särge aneinander reihten. Anscheinend war es die Werkstatt, in der sie sie herstellten.
 
Kaum schlug die Tür hinter Hastings zu, drehte sich Vincent zu mir. „Alles in Ordnung? Ich meine, das mit Evan ist noch nicht so lange her..."
 
Ich zuckte mit den Schultern. „Klar. Alles bestens", log ich, doch er durchschaute mich.
 
„Tut mir leid. Ich hätte nachdenken sollen, bevor ich dich in ein Bestattungsunternehmen mitnehme", meinte er etwas zerknirscht.
 
Ich schluckte den Klos in meinem Hals herunter. „Ich halte das aus, wirklich."
 
„Ich weiß." Trotzdem lag weiterhin sein besorgter Blick auf mir. Dann nahm er plötzlich meine Hand, drückte sie und ließ sie genauso schnell wieder los wie er sie genommen hatte. Es war nur eine winzige Geste, aber er schaffte es damit, mir einen Teil des mulmigen Gefühls zu nehmen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, aber bevor ich mich darüber wundern konnte, kehrte Mr. Hastings mit seinem Sohn zurück.
 
Hendrick Hastings war das krasse Gegenteil zu seinem Vater. Er hatte nichts von der sanften Hippie-Ausstrahlung. Wenn man ihn ansah, stieß man auf Härte. Seine stahlgrauen Augen durchbohrten einen und seine Haare waren fast vollständig kahl geschoren. Ein Piercing glänzte an seiner Augenbraue und eines an seiner Nase.
 
„Hendrick, die beiden sind vom FBI", stellte Mr. Hastings uns vor, „Ich lasse Sie dann mal alleine." Mit einem letzten strengen Blick ermahnte er seinen Sohn, dass er sich benehmen sollte, dann verschwand er in seinem Büro.
 
Als sein Vater weg war, stopfte Hendrick trotzig seine Hände in die Hosentaschen. „Was ist? Ich hab nichts gemacht."
 
„Kennen Sie einen gewissen Evan Shaw?", begann Vincent mit der Befragung ohne sich in die Karten sehen zu lassen.
 
„Wen?", fragte Hastings plump.
 
„Evan Shaw", wiederholte Nash und zog sein Handy hervor um ihm das Foto von Evans Führerschein zu zeigen.
 
„Noch nie gesehen. Was hab ich mit diesem Typen zu tun?"
 
Vincent überging seine Frage. „Wo waren Sie gestern vor einer Woche um halb elf morgens?"
 
Ich beobachtete ihn gespannt, doch Hastings verzog bei der genannten Zeit keine Miene. „Keine Ahnung. Hier, glaub ich. Warum?"
 
Ich glaubte ihm. Außerdem bezweifelte ich, dass es ein Sechzehnjähriger schaffte Evan zu überwältigen. Selbst wenn sie zu zweit gewesen wären.
 
„Und am nächsten Tag um halb drei nachts?"
 
Dieses Mal veränderte sich etwas an seinem Gesichtsausdruck. „Ich habe geschlafen", meinte er dann. Allerdings einen Tick zu spät.
 
„Sicher?"
 
„Ja", meinte der Siebzehnjährige. Seine Unsicherheit war genauso schnell verschwunden wie sie gekommen war. Er schien es gewöhnt zu sein zu lügen.
 
Vincent warf mir einen verstohlenen Blick zu, nachdem er die Zeit genannt hatte. Ich wusste, was er bedeutete. In der Nacht nach Evans Tod war ich bei ihm gewesen und hatte den Zwischenfall offensichtlich verschlafen. Er hatte mir vermutlich nichts davon gesagt, weil er nicht wollte, dass ich mir Sorgen machte. Das erklärte auch sein seltsames Verhalten am nächsten Morgen. Ich hatte recht gehabt, dass er es bereute, dass er mich mit in sein Apartment genommen hatte. Aber nicht aus den Gründen, aus denen ich gedacht hatte, sondern weil er dachte, dass der Umschlag von Evans Mörder war. Das hieße nämlich, dass sein Killer wusste, wo er wohnte und er hatte das Gefühl gehabt mich damit in Gefahr zu bringen.
 
Ich tat als hätte ich seinen Blick nicht bemerkt. Ich wollte mir von ihm genauso wenig in die Karten sehen lassen wie er es wollte, dass ich in seine sah. Er hatte mir längst nicht alle Details zu Evans Mord mitgeteilt und ich wollte nicht, dass er wusste, was ich alles wusste. Beziehungsweise welche Informationen ich mir aus diesem Verhör ableitete, die er mir verschwiegen hatte. Wie zum Beispiel Evans Todeszeitpunkt. Aber wenn ich noch mal darüber nachdachte, war es völliger Schwachsinn. Wir arbeiteten schließlich nicht gegeneinander und Vincent wusste, dass ich nicht dumm war. Er konnte sich sicher denken, dass ich bereits mehr wusste, als er mir verraten hatte. Doch das war im Moment nur nebensächlich. Denn in erster Linie ging es um den Umschlag. Egal was sich darin befunden hatte, es machte Vincent sicher, dass er von Evans Mörder war. Es könnte uns direkt zu ihm führen, aber vor allem wollten wir denjenigen finden, der wusste wo der FBI-Agent wohnte.
 
„Sie waren nicht zufällig in der Stadt und haben in einem Wohnhaus einen Umschlag unter einer Tür durchgeschoben?", fragte ich plötzlich und erntet dafür einen bösen Blick von Vincent. Ich wusste, dass ich ihm mein Wort gegeben hatte mich nicht einzumischen, aber seit wann hielt ich mich an Regeln? Und ich hatte ihm genau genommen nie versprochen, dass ich mich ganz heraushalten würde...
 
Meine Absicht war jedoch nicht ihn zu ärgern, sondern eine ehrliche Reaktion von Hendrick Hastings zu bekommen. Ich hatte die ganze Zeit kein Wort gesprochen und mich im Hintergrund gehalten, weshalb er mich kaum beachtet hatte. Deshalb hatte er auch nicht erwartet, dass ich das Wort an ihn richten würde. Außerdem brachte ihn die Härte in meiner Stimme aus dem Gleichgewicht und überrumpelte ihn.
 
Hendrick Hastings war es zwar gewöhnt zu lügen, aber er hatte diese Frage nicht erwartet, was sein Pokerface gehörig zum Bröckeln brachte. Der sonst so blasse Junge lief knallrot an und schluckte. Er schien mit einem Mal ein wenig zu schrumpfen und der Trotz verschwand aus seiner Haltung. Vor uns stand auf einmal ein Teenager, der wusste, dass er Mist gebaut hatte. „Ich weiß nicht, was Sie meinen", stammelte er, „Ich war Zuhause in meinem Bett und habe geschlafen."
 
Vincent schlug einen versöhnlicheren Ton an als ich. „Kommen Sie, Hendrick. Wir wissen, dass Sie dort waren. Wir haben Ihren Fingerabdruck gefunden und können beweisen, dass Sie ihn in der Hand hatten. Allerdings waren sie nur auf der Außenseite und ich denke, dass Sie jemand dazu angestiftet hat das zu tun, richtig?"
 
Er seufzte ein letztes Mal und gab sich geschlagen. „Ja. Ein Mann hat mir hundert Dollar gegeben, dass ich den Umschlag unter einer bestimmten Tür durch schiebe. Ich sollte danach ganz schnell wieder verschwinden und das habe ich getan. Ich weiß, das war dumm, aber ich wollte wirklich keinen Ärger machen", beteuerte er. Dieses Mal schien er absolut ehrlich.
 
„Und wer war das?", wollte ich wissen. Ich war gerade richtig in Fahrt und konnte nicht länger stillschweigend daneben stehen.
 
„Ich habe keine Ahnung. Ich war damals noch mit Kumpels in der Stadt unterwegs und gerade auf dem Heimweg, als mich ein Mann im Kapuzenpullover ansprach. Ich dachte, es wäre leicht verdientes Geld und nahm an. Er ist gleich wieder gegangen."
 
„Sie haben Ihn nicht gesehen? Sie könnten ihn also nicht beschreiben oder wieder erkennen?", hakte Vincent nach.
 
„Nein, tut mir leid. Wie gesagt, es war dunkel und er trug eine Kapuze."
 
„Trug er Handschuhe?", fragte ich weiter.
 
Er überlegte kurz. „Ja, jetzt wo Sie es sagen. Ich fand es komisch, habe es aber gleich wieder vergessen."
 
So machte es Sinn, dass nur Fingerabdrücke von Hastings gefunden worden waren. Es bestätigte aber auch noch einmal, dass es keine Amateure gewesen waren. Sie dachten an alles und planten voraus. Das machte es nicht unbedingt einfacher, festigte aber meinen Gedanken, dass Evans Mörder oder zumindest der, der dafür verantwortlich war, aus meiner Welt stammte.
 
„Haben Sie eigentlich in den Umschlag geschaut?"
 
Hastings schüttelte den Kopf. „Ich dachte, er wäre leer. Ich habe mich noch gewundert, aber bei hundert Mäusen fragt man nicht nach." Hendrick wurde wieder unsicher. „Bekomme ich jetzt Probleme?"
 
Er sah mich an, aber ich blickte zu Vincent. „Nein", meinte dieser, „Aber Sie sollten so etwas in Zukunft nicht mehr machen und vorsichtiger sein."
 
Er sah erleichtert aus und etwas von seinem Trotz kehrte wieder zurück. „Kann ich jetzt gehen?"
 
„Ja. Falls Ihnen noch etwas einfällt, hier ist meine Karte", meinte Vince, übergab ihm das Kärtchen mit seiner Büronummer und entließ ihn. Der Teenager machte sich so schnell es ging aus dem Staub.

Criminal - Krieg der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt