Der alltägliche Wahnsinn | 2

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Vincent starrte unverhohlen zurück, als der Gorilla vor dem Eingang des Séparée misstrauisch die Augen zusammenkniff. Es war nicht das erste Mal, dass er solchen Blicken standhalten musste. Sein Puls erhöhte sich nur minimal, während er äußerlich vollkommen gelassen wirkte.

Der Mann musterte ihn und blieb für einen Moment an seinen Schuhen hängen.

Vincent wusste, dass Türsteher gerne auf die Schuhe der Gäste sahen, um herauszufinden, ob sie tatsächlich wohlhabend waren oder sich nur dafür ausgaben. Jeder Idiot konnte sich eine teure Jacke kaufen, aber nur die wirklich Reichen trugen auch tausend-Dollar-Schuhe.

Er hatte ihn nicht nach Waffen durchsucht, obwohl Nash seine Heckler&Koch P30 nicht gerade versteckt hatte. Sie gab ihm Sicherheit und er war froh, dass er sie bei sich hatte, aber gleichzeitig bedeutete das auch, dass die anderen erst recht nicht durchsucht worden waren und ebenfalls Waffen hatten. Was es unter dem Strich nicht besser machte. Gleichzeitig spürte er das winzige Mikrofon unter seinem Hemdkragen, das jedes kleinste Geräusch aufzeichnete. Wenn überhaupt wog es nur wenige Gramm, doch für ihn fühlte es sich an als wären es Tonnen.

Schließlich reichte er ihm den roten Pokerchip zurück und gab die Tür frei. Das kleine Stück Plastik diente als Eintrittskarte für das illegale Pokerspiel und man kam nur an eines heran, wenn man von einem anderen Spieler eingeladen worden war. Deshalb war es schwer, sich in die Runde einzuschleusen. Nash wollte das zu seinem Vorteil ausnutzen und hoffte, dass die Anwesenden sich in Sicherheit wähnten, was die eine oder andere Zunge lockern könnte.

Doch schon kurz darauf verabschiedete er sich von dieser Vorstellung. Die Männer, die an einem professionellen Pokertisch saßen, verstummten, sobald er den Raum betreten hatte. Obwohl sie deutlich den Chip in seiner Hand sehen mussten, betrachteten sie ihn wie einen Eindringling, was ihn aber nicht wunderte.

Falls es in dieser Stadt etwas wie die Elite der Verbrecher gab, gehörten diese Männer auf jeden Fall dazu. Der bekannteste unter ihnen war wohl Tyrese Zola, der Drogenbaron dieser Gegend. Er war einer der Menschen, von denen man hoffte, ihnen nie begegnen zu müssen. Er war nicht nur aufbrausend und unberechenbar, sondern auch unglaublich arrogant. Alleine der Diamant an seinem rechten Ohrläppchen musste mehrere tausend Dollar wert sein und wurde durch seine dunkle Hautfarbe noch mehr hervorgehoben. Es war ein offenes Geheimnis, dass er seit Jahren im großen Stil bei Drogenhandel mitmischte, nachweisen konnte ihm trotz seiner Großspurigkeit niemand etwas.

„Wer sind Sie?", fragte er gerade und drehte an einem seiner Ringe.

„Adam Tyne", stellte Vincent sich vor und hielt den roten Chip hoch, „Todd Rogan hat mich eingeladen."

Eingeladen war vielleicht ein bisschen übertrieben. Vielmehr hatte der Waffenhändler den Chip nur widerwillig rausgerückt, nachdem das FBI ihn geschnappt hatte. Während des Verhörs hatte er wohl ein wenig über die kleine Pokerrunde mit seinen hochrangigen Mitgliedern geplaudert und das andere Team hatte die Informationen an Kingston weitergeleitet. Dieser hatte seine Chance ergriffen und Nash eingeschleust.

„Rogan?", knurrte der andere, „Was treibt dieser Mistkerl so lange?"

Lässig winkte Vincent ab. „Ihm kam was dazwischen. Aber er ist der Meinung, dass ich eine würdige Vertretung für ihn sein werde." Dann zog er eine dicke Geldklammer aus seiner Jeanstasche und ließ den Bündel Scheine auf den Tisch fallen. Die Augen der Anwesenden begannen zu glänzen. Sie hielten Nash nur für einen reichen, verzogenen Schnösel, dem langweilig war und der ein kleines Abenteuer suchte. Einen Geldsack, den man leicht ausnehmen konnte. Und Nash hatte nicht vor, sie über ihren Irrtum aufzuklären. Noch nicht.

„Setzen Sie sich", meinte schließlich der Mann, der ihn ein bisschen an Al Capone erinnerte. Marlow Bates war ein einflussreicher Geschäftsmann und dass er hier war, schien die Gerüchte, die über ihn kursierten, nur zu bestätigen. Er war genauso schuldig, wie die anderen zwei am Tisch und hatte mit ihnen genau drei Dinge gemeinsam: Er war reich, bekannt und höchstwahrscheinlich kriminell. Außer vielleicht illegalem Glücksspiel, hatte man allerdings keinem von ihnen je etwas nachweisen können.

Nash kam seiner Aufforderung nach und setzte sich. Das Séparée des Edelrestaurants war nicht gerade das Ambiente gewesen, dass man sich für eine illegale Pokerrunde vorstellte. Ironischerweise war es hell gehalten. Trotz des gedimmten Lichts strahlte es moderne Eleganz aus, was nicht zuletzt an den cremeweißen Designerstühlen und der zurückhaltenden, silbernen Dekoration lag. Sogar der Spieltisch passte perfekt zur Einrichtung, obwohl sich Vincent sicher war, dass er nicht immer hier stand. Über das Birkenholz spannte sich brauner Filz und die Ränder waren mit weißem Leder gepolstert. Herrgott, sogar die Farben der Chips waren darauf abgestimmt.

Spätestens das Ambiente machte klar, dass das hier keine verruchten Kleinkriminellen waren, die illegales Glücksspiel betrieben. Und wenn ihn nicht alles täuschte, würde Jordan hier perfekt reinpassen.

Die Karten wurden ausgeteilt und er warf den ersten Blind in die Mitte des Tisches. Dort lag bereits so viel Geld wie er in drei Monaten verdiente und vor seinen Mitspielern lagen zerknitterte Hunderter Scheine als wären es Papiertaschentücher, die man einmal benutzte und dann wegwarf. Als wären sie nur Kleingeld für sie.

Die Situation erschien ihm so unwirklich und ein wenig kam er sich vor wie in einem alten Mafia-Film. Zu seiner rechten saß El Chapo, zu seiner linken der russische Pate und ihm schräg gegenüber Capone. Die Anwesenden warfen sich angespannte Blicke zu und schienen nur darauf zu warten, dass einer von ihnen gleich eine Waffe zog. Jeder schien jedem zu misstrauen, aber nichts dergleichen passierte. Mal abgesehen von der angespannten Stimmung war es ein normales Pokerspiel.

Nash konzentrierte sich auf sein Spiel. Nicht nur, weil das Geld vom FBI kam und Kingston ihm die Hölle heiß machen würde, wenn er alles an Verbrecher verlor, sondern auch, da er bezweifelte unauffällig ein paar Informationen aus den dreien herauszubekommen. Sie waren zu erfahren, sich aus Versehen zu verplappern, weshalb er das Risiko, dadurch auffällig zu erscheinen, gar nicht erst einging. Er hatte das Gefühl, dass diese Männer eine ausgereifte Paranoia gegenüber Fremden hatten und jeder Versuch, Smalltalk zu machen, würde seine Chance vergrößern, aufzufliegen.

Überhaupt sprachen sie nicht viel und selbst wenn sie einmal redeten, nahmen sie das Wort »Geschäft« nicht einmal in den Mund. Anscheinend war es eine stille Regel, dass nicht über irgendetwas geschäftliches gesprochen wurde. Er konnte nicht sagen, ob das an ihm lag oder nicht, aber eigentlich spielten diese Männer ohnehin keine Rolle für ihn. Er war nicht wegen ihnen hier, sondern einzig und alleine wegen Jordan.

Er bezweifelte, dass einer von ihnen Jordan war. Ihnen fehlte die gewisse Eleganz, die das Verbrechergenie an den Tag legte, während die Männer in diesem Raum lediglich großkotzige Alphamännchen waren, die über dreckige Witze lachten und der hübschen Bedienung hinterher sahen, die Nash gerade unaufgefordert einen teuren Scotch serviert und ihn angelächelt hatte.

Er warf noch einmal fünfhundert Dollar in den Pot und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er versuchte, sich zu entspannen, da er zugeben musste, dass diese großen Summen ihn nervös machten. Verdammt, diese Männer warfen mit Geld als wären es Kieselsteine. Doch als reicher Erbe, der Adam Tyne nun mal war, durfte er sich das nicht anmerken lassen.

Allerdings konnte er nicht verhindern, dass er die Luft anhielt, während die anderen Männer ihre Karten aufdeckten. El Chapo war schon ausgestiegen, doch als Nash realisierte, dass Capone und der Pate beide weniger auf der Hand hatten als er, setzte er lediglich ein selbstsicheres Grinsen auf und strich in Ruhe seinen Gewinn ein. Während Bates ihn mit einem tödlichen Blick traf, nahm er sein Whiskyglas und bemerkte mit einem kleinen Lächeln die Nummer, die ihm die Bedienung auf die Serviette geschrieben hatte.

Er nippte an dem Scotch und beschloss, nicht über den Preis der Flasche oder die Vorschriften zu Alkohol im Dienst nachzudenken. Doch gerade weil er verboten war, schien der Drink noch besser zu schmecken.

Zumindest so lange, bis die letzten beiden Spieler, die noch erwartet wurden, in der Tür erschienen.

Vincent verschluckte sich fast an seinem Scotch und unterdrückte nur mühselig den Hustenanfall.

Criminal - Krieg der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt