Böses Erwachen | 5

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Draußen schien noch immer die Sonne und keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen. Damit niemand sah, wie ich die Straße unauffällig nach dem grauen Ford absuchte, setzte ich meine Sonnenbrille wieder auf. Die Mühe war allerdings unnötig gewesen. Er war nicht mehr da.

Ich war gleichzeitig enttäuscht und froh darüber. Ersteres verdrängte ich, während ich auf meine Uhr sah. Ich hatte noch genug Zeit, zu Chips zu fahren und danach in Ruhe zu Mittag zu essen. Eigentlich war mir der Appetit vergangen, trotzdem stieg ich in meinen Camaro und fuhr in Richtung Downtown.

Chips hatte ein kleines Apartment in einer einfachen Gegend mit gutem WLAN-Zugang, was vermutlich der Hauptgrund war, warum es ihn ausgerechnet dorthin gezogen hatte. Sicherlich war es nicht die zentrale Lage gewesen, denn die Gegend war eine, die man als typische amerikanische Vorstadt bezeichnen würde. Um das Klischee perfekt zu machen, hatte seine Vermieterin, eine alte Dame, die auf die Achtzig zuging, sogar den Gartenzaun weiß gestrichen. Sie wohnte unter dem Einundzwanzigjährigen im Erdgeschoss.

Ich klingelte und nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete mir Agatha die Tür. „Entschuldigen Sie, Miss Everton", sagte sie mit zittriger Stimme, „Aber ich bin nicht mehr die Jüngste."

Ich winkte ab. „Ach was. Sie sprühen förmlich vor Leben."

Als sie lächelte, entblößte sie ihr lückenhaftes Gebiss. „Sie tischen mir jedes Mal eine neue Lüge auf. Böses Mädchen."

Ich grinste schelmisch und sie trat einen Schritt zur Seite. „Er ist oben. Wie immer."

„Danke, Agatha."

Ich stieg die Treppe rauf. Chips Tür war nur angelehnt, dafür hatte er wie üblich jegliches Licht ausgesperrt. „Du solltest ihr wirklich mal erklären, dass sie die Tür auch per elektrischem Türöffner öffnen kann", machte ich mich bemerkbar, „Die Ärmste ist schon vom Gang zur Tür völlig außer Atem."

„Habe ich schon mal versucht. Genau genommen sogar vier Mal. Ich glaube, sie weiß nicht mal, was ein Computer ist, also habe ich es aufgegeben", rief mir Chips aus seinem Aller Heiligsten zu, „Aber das heißt mehr Internet für mich. Volle Signalstärke, Baby!"

Chips, der eigentlich Seth Tosh hieß, war mein persönlicher Hacker und Zahlengenie. Er arbeitete seit einigen Jahren für mich, seine restliche Zeit verbrachte er mit Videospielen. Schon in seiner Highschoolzeit hatte er neben den Schulservern schon die ein oder andere Firewall gehackt. Ganze fünf große IT-Unternehmen, einschließlich Microsoft, wollten ihn schon als Teenager als Programmierer anwerben. Doch offensichtlich hatte er zu viel Spaß daran sich illegal in fremde Systeme zu hacken. Irgendwann war er, eher durch einen Zufall als durch einen Fehler, geschnappt worden und die Firmen hatten das Interesse an ihm verloren. Daraufhin hatte ich meine Chance ergriffen. Schon länger hatte er meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen gehabt und ich hatte die Situation genutzt, ihn vor dem Gefängnis bewahrt und mit seinen zarten siebzehn Jahren angeworben.

Ich wich einem Kleidungsstück aus, das im Flur lag und betrat sein Aller Heiligstes, was nichts anderes als ein Zimmer war, in dem die einzige Beleuchtung das kühle Licht seiner Bildschirme war. Der Raum war vollgestopft mit unzähligen Computern, Kabeln und blinkenden Geräten, über die ich jetzt hinweg stieg. Gerade saß er vor dem größten der Bildschirme, hatte sich in seinem Drehstuhl zurückgelehnt und die Füße auf dem Tisch abgelegt. Er hielt einen Controller in der Hand, lief virtuell Amok und wühlte gleichzeitig in einer Chipstüte herum. Daher auch der Spitzname. So gut wie immer wenn seine Finger nicht mit einem Joystick oder einer Tastatur beschäftigt waren, steckten sie in einer Süßigkeitenpackung. Doch das sah man ihm nicht an. Dass er nahezu die ganze Zeit im Dunklen saß, allerdings schon. Er war bleich wie ein Vampir und seine feuerroten, lockigen Haare hingen ihm so weit in die Stirn, dass sie bald seine Augenbrauen verdeckten und einen heftigen Kontrast zu seiner Haut bildeten.

Criminal - Krieg der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt