Roter Samt | 3

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Jetzt hatten wir zwar ein Versteck, gleichzeitig mussten wir aber wieder die Füße stillhalten. Unser Schicksal lag nicht mehr in unserer Hand, sondern in der des Zufalls und was ich noch mehr hasste als auf den Zufall zu vertrauen, war die Kontrolle abzugeben.
 
Ich presste die Lippen aufeinander und lauschte. Ich hörte die lauten Schritte unserer Angreifer wie sie weiter auf der Suche nach uns das Labyrinth aus Särgen durchliefen. Einer von ihnen kam genau in unsere Richtung.
 
Ich hielt den Atem an und hörte, dass Vincent das Gleiche tat.
 
Der Mann draußen ging so nah an dem Sarg vorbei, dass er ihn streifte. „Sie sind weg!", sagte er und durch das dicke Holz war seine Stimme ein wenig gedämpft.
 
„Sie können nicht weg sein!", kam die barsche Antwort von weiter hinten.
 
Er blieb stehen, kam einige Schritte zurück und blieb direkt neben uns stehen.
 
Gequält schloss ich die Augen und wartete nur darauf, dass der Deckel aufgerissen wurde und sich mir eine Kugel in den Rücken bohrte. Mein Herzschlag beschleunigte noch einmal und Panik kroch in mir hoch. Es fiel mir schwer ruhig zu bleiben bis ich plötzlich eine warme Hand spürte, die sich auf meine Wange legte und ein Daumen sanft darüber strich. Gleichzeitig spürte ich seinen bebenden Körper unter mir. Vincent sagte nichts, aber das musste er auch nicht. Seltsamerweise schaffte er es mich nur mit dieser Geste zu beruhigen. Ich zwang mich leise zu atmen und gab mich der Tatsache hin, dass ich im Moment rein gar nichts tun konnte.
 
Dann war plötzlich alles vorbei. Die Schritte entfernten sich und kurz darauf hörten wir eine Stimme, die den Rückzug befahl. Wir warteten noch ein paar Minuten bis wir sicher waren, dass sie weg waren, dann atmeten wir auf.
 
„Geht es dir gut?", fragte Vincent.
 
„Ja", antwortete ich und holte noch einmal tief Luft.
 
„Gut. Könntest du dann bitte dein Knie aus meinem Oberschenkel nehmen?"
 
„Sorry." Ich legte mich so hin, dass ich im Grunde direkt auf seinem rechten Oberschenkel lag und stützte mich mit meinen Ellenbogen neben seinem Kopf ab.
 
Seine weißen Zähne blitzten in der Dunkelheit auf, als er grinste.
 
„Was?", fragte ich.
 
„Nichts. Das ist nur das erste Mal, dass sich eine Frau in so einer Situation nicht heulend hinter mir versteckt."
 
„Du solltest inzwischen wissen, dass ich nicht die Art Frau bin."
 
„Hab ich gemerkt."
 
Das beklemmende Gefühl der Angst schien schlagartig vergessen zu sein und wir überspielten es beide mit Humor.
 
Sein Grinsen wurde breiter.
 
„Herrgott, Vince. Was ist?"
 
„Mir ist gerade durch den Kopf geschossen, dass ich mich daran gewöhnen könnte."
 
Ich hob eine Augenbraue. „Pass bloß auf, dass dir gleich nicht noch etwas anderes durch den Kopf schießt."
 
Er gluckste.
 
„Und falls das nicht ausreicht, habe ich hier drinnen immer noch genug Platz um dich zu erwürgen." Um meiner Drohung Nachdruck zu verleihen, stieß ich mit meinem Knie – natürlich ganz aus Versehen – gegen seine Leiste.
 
Er heulte leise auf, lachte aber. „Okay, okay. Ist ja gut. Ich habe verstanden."
 
Ich schüttelte lächelnd den Kopf, dann wurde ich ernst. „Geht es dir gut?"
 
„Bestens." Sein Grinsen wurde zu einem Lächeln, das mir den Atem raubte.
 
„Wir sollten hier raus."
 
„Ja", stimmte er mir zu, ohne aufzuhören mich anzusehen. Ich spürte wie er sich bewegte. Er legte seine Hand, di zuvor auf meiner Wange gelegen hatte, an den Deckel des Sarges. „Shit", fluchte er dann.
 
„Was?"
 
„Wir könnten ein kleines Problem haben."
 
„Und das wäre?"
 
„Ähm... Ich fürchte, dass ich den Deckel nicht mehr aufbekomme..."
 
„Das heißt, wir kommen hier nicht raus?!"
 
„So kann man das natürlich auch formulieren."
 
„Ist das dein verdammter Ernst?"
 
„Jap. Leider schon. Ich denke, dass sich die Verschlüsse, mit denen man den Sarg zuschraubt, irgendwie klemmen." Er schien das relativ locker zu nehmen.
 
Ich stöhnte genervt auf und ließ meinen Kopf auf seine Brust sinken. „Na toll. Ich bin mit dem größten Pechvogel aller Zeiten in einer halben Kubikmeter großen Kiste eingesperrt."
 
„Mh, könnte schlimmer sein."
 
Ich hob den Kopf und sah ihn böse an.
 
„Zum Beispiel wenn ich nicht an mein Handy kommen würde", fuhr er fort, hielt dann aber inne.
 
Ich schloss gequält die Augen. „Du kommst nicht an dein Handy, richtig?"
 
„Nicht so ganz..."
 
„Wenn wir jemals hier rauskommen sollten, suche ich das nächste Versteck aus", murmelte ich.
 
Dieses Mal hob er eine Augenbraue. „Das nächste Versteck?"
 
„Wo ist dein Handy?", überging ich seine Frage.
 
„In meiner Hosentasche."
 
„In welcher? Du hast ungefähr tausend Hosentaschen."
 
„In meiner hinteren. Links."
 
Ich legte die Glock, die ich immer noch in der Hand hatte, auf seiner Brust ab und schob meine Hand unter seinen Körper.
 
„Das andere links", meinte er, „Von dir aus rechts."
 
Ich schnaubte und tastete nach seiner anderen Hosentasche. „Ich glaube, ich hab es", sagte ich, als ich auf etwas hartes stieß.
 
„Das ist nicht mein Handy", grinste er anzüglich.
 
Erschrocken zog ich die Hand zurück.
 
Er lachte. „Nein, Spaß. Zieh es raus."
 
„Darf ich dich daran erinnern wo mein Knie ist?"
 
Ich zog das Handy aus seiner Tasche und nahm wieder meine vorherige Haltung ein. Sein Telefon lag jetzt direkt neben seinem Kopf. „Ruf am besten Dean an. Der ist mir noch einen Gefallen schuldig." Zumindest waren wir uns in der Sache einig, dass wir nicht darauf warten wollten, bis die Polizei hier eintraf und uns fand. Ich drückte auf den Home-Button und das Display-Licht erleuchtete das Innere des Sargs und den roten Samt, der uns umgab.
 
„Der Code ist 9723."
 
Ich entsperrte sein Handy und ging seine Kontakte durch bis ich bei »N« angelangt war. Doch gerade als ich auf Nolan drücken wollte, bewegte sich Vincent und ich verrutschte.
 
Leider bemerkte ich das erst als sich eine weibliche Stimme meldete. „Nash am Apparat."
 
Vincent riss die Augen auf. „Das ist meine Mum!", zischte er.
 
„Hallo? Vincent, bist du das?"
 
„Habe mich verwählt. Tut mir leid", sagte ich schnell und legte auf.
 
„Bist du wahnsinnig? Du kannst doch nicht einfach auflegen."
 
„Was hätte ich denn tun sollen?", verteidigte ich mich, „Sei lieber froh, dass sie dich gerade nicht sehen kann. Und jetzt halt still."
 
Dieses Mal wählte ich die richtige Nummer und tatsächlich meldete sich Dean Nolan.
 
„Nolan, hier Jordan."
 
„Jordan? Warum rufen Sie mich von Vincents Handy an?"
 
„Nicht aus dem Grund, den Sie gerade denken", deutete ich seinen Ton richtig.
 
„Nein, es ist schlimmer", murmelte Vincent unter mir. Zum Glück hatte Nolan das nicht gehört.
 
„Wir stecken ein wenig in der Klemme."
 
„Wortwörtlich", kommentierte Vincent.
 
„Hältst du jetzt bitte mal die Klappe?", fuhr ich ihn an und spürte wie er abwehrend die Hände hob.
 
„Wo sind Sie?", wollte sein Partner wissen, „Und vor allem was machen Sie dort?"
 
„Vincent hat mich zu dem Verhör mit Hastings mitgenommen und es gab einen kleinen Zwischenfall. Wir sind in einem der Särge eingeschlossen und kommen nicht mehr raus, weil sich wahrscheinlich irgendeine Schraube verklemmt hat."
 
Kurz war es still, dann hörte ich wie das Lachen aus Nolan herausbrach. „Sie haben sich in einem Sarg eingeschlossen?", prustete er.
 
„Ja. Komm einfach her und hol uns raus", meinte Vincent gereizt, „Und kein Wort zu den anderen. Sonst erfahren sie, was du damals so lange im Corrad-Hafen gemacht hast."
 
„Ist ja gut. Ich komme ja. Könnte nur noch ein bisschen dauern." Er legte auf.
 
„Wie lange ist bei ihm ein bisschen?", fragte ich.
 
„Oh, bei Dean ist »ein bisschen« ein sehr dehnbarer Begriff."
 
Ich seufzte. „Klasse."
 
So kam es, dass wir mit mehr Körperkontakt als uns lieb war eingesperrt in einem Sarg lagen und warteten. Irgendwann wurde mein Kopf schwer und ich legte ihn auf Vincents Brust ab.
 
„Tut mir leid", meinte er nach einer Zeit.
 
„Was meinst du?"
 
„Dass ich dich mit reingezogen habe."
 
„Hey, wir leben immerhin noch, außerdem war es meine Entscheidung mitzukommen. Und auch wenn es ein wenig ungemütlich ist, gibt es, wie du vorhin sagtest, schlimmeres. Zum Beispiel wenn ich mit Nolan hier eingesperrt wäre."
 
Er lachte, wurde aber gleich wieder ernst. „Dafür dass wir beschossen werden und fast draufgehen, hast du dich aber sicher nicht entschieden. Glaub mir, ich wollte das nie."
 
Das machte mir weniger aus als er vermutlich dachte und ich wusste nicht wie ich ihm das sagen sollte. „Schon okay. Mach dir deshalb keine Vorwürfe."
 
Er schwieg, was mir bewies, dass er genau das tat und nichts, was ich tat oder sagte, hätte etwas daran geändert.
 
„Zumindest werde ich nicht alleine lebendig begraben", sagte ich schließlich und durchbrach die unangenehme Stille.
 
„Stimmt", entgegnete er sarkastisch, „Das ist wahnsinnig beruhigend."
 
Ich schmunzelte.

„Aber weißt du was? Ich würde mit niemandem lieber in einem Sarg eingeschlossen werden."
 
Eine weitere Pause entstand. Doch dieses Mal war sie nicht wirklich unangenehm. Ich wurde mir erst bewusst, dass unsere Gesichter sich immer näher kamen, als sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Ich hielt inne, wich aber nicht zurück.
 
„Warum bist du an diesem Morgen gegangen, Jordan?", fragte er. Seine Stimme war leiser als zuvor, intensiver.
 
Ich hätte ihm in diesem Moment so gerne die Wahrheit erzählt. Ich wollte ihn nicht länger anlügen, aber als ich den Mund öffnete hatte ich keine Ahnung was ich sagen sollte. „Ich konnte nicht", wiederholte ich mich deshalb.
 
Das fahle Licht des Handys beleuchtete sein Gesicht und ließen seine Konturen noch schärfer wirken, was einen seltsamen Kontrast zu seinem weichen Blick bildete. „Werde ich es je verstehen?"
 
„Vermutlich nicht", flüsterte ich heiser und wir kamen uns noch ein Stückchen näher. Ich erwischte mich dabei wie ich beinahe sehnsüchtig auf seine Lippen starrte.
 
Ich biss die Zähne aufeinander, da ich mit aller Kraft versuchte der starken Anziehungskraft zu widerstehen. Auf einmal kam mir der Sarg noch kleiner und noch wärmer vor, als er tatsächlich war. Es schien keine Luft mehr vorhanden zu sein und ich hatte das Gefühl zu ersticken, gleichzeitig spürte ich seinen sehnigen Körper unter und seinen Blick auf mir, die etwas in mir auslösten, dass es mir egal werden ließ wo wir uns gerade befanden.
 
Die beiden widersprüchlichen Emotionen kämpften in mir, aber bevor letzteres die Oberhand gewinnen konnte, wurden wir jäh unterbrochen, indem der Deckel des Sarges aufgerissen wurde.
 
„Na endlich! Sucht euch das nächste Mal gefälligst ein anderes Versteck", maulte Dean Nolan, „Ich habe zehn Särge öffnen müssen und in drei davon waren Leichen."
 
Ruckartig zog ich meinen Kopf zurück und das Blut schoss mir in die Wangen, aber weder das eine noch das andere schien Nolan zu bemerken, als er mir die Hand reichte und aus dem Sarg half. „Wir werden uns Mühe geben", entgegnete ich, als ich mich wieder gefangen hatte.
 
Auch Vincent hievte sich aus dem Sarg und streckte erst mal seine Gliedmaßen. „Glaubst du ich hätte mir das ausgesucht wenn es anders gegangen wäre? Mir ist das komplette rechte Bein eingeschlafen."
 
Nolan schüttelte den Kopf und wandte sich mir zu. „Ach übrigens. Das habe ich noch gefunden. Ich denke, das dürfte Ihnen gehören." Er hielt mein Paar Schuhe und meinen Hut hoch. Ich hatte schon ganz vergessen, dass ich barfuß war.
 
„Ja, die gehören zu keiner Leiche. Danke." Ich nahm sie ihm aus der Hand und zog sie wieder an, während sich Nolan wieder zu seinem Partner drehte.
 
„Du musst mir jetzt noch mal kurz erklären was zum Teufel ihr da drin gemacht habt. Ich kam am Telefon nämlich nicht ganz mit."
 
„Vielleicht weil du zu sehr damit beschäftigt warst dir den Arsch ab zu lachen", schlug Vincent trocken vor.
 
„Gut möglich. Also?"
 
Vincent erzählte ihm in Kurzform die ganze Geschichte und Nolan schüttelte immer wieder den Kopf. Ich gab Vince währenddessen seine Glock zurück.
 
„Wow. King wird diese Geschichte hassen", stellte sein Partner fest.
 
Vincent seufzte. „Ich weiß. Deshalb würde ich sie ihm auch ungern erzählen."
 
Er sah Nolan abwartend an und der hob eine Augenbraue. „Schön, dann verschweigen wir eben, dass eine Zivilistin an einer Schießerei beteiligt war. Ich bin immer für einen Verstoß gegen die Vorschriften zu haben." Es lag zwar eine gewisse Ironie in seiner Stimme, aber er meinte das tatsächlich ernst.
 
„Danke", meinte Vincent erleichtert.
 
Schließlich wandten sich die Männer mir zu. „Es ist das beste für dich", sagte Vincent, „Glaub mir."
  
Ich war froh, dass er so dachte, zuckte aber mit den Schultern, als hätte ich keine Ahnung. „Wenn du das sagst."
 
„Den Rest klären wir mit Hastings. Ich würde dann mit Dean mitfahren und du kannst erst mal nach Hause den Schock verdauen. Kannst du fahren?"
 
Ich nickte und sah Nolan an. „Und Danke fürs Rausholen, Agent Nolan."
 
Er winkte ab und streckte mir seine Hand hin. „Nennen Sie mich Dean. Freunde, mit denen sich Vincent in einen Sarg einschließt, sind auch meine Freunde."
 
Ich lachte und schüttelte sie. „Jordan. Aber das weißt du ja schon." Ich zwinkerte ihm zu. Dann verabschiedete ich mich und trat den Rückzug an.

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„Weißt du was? Ich mag sie", meinte Nolan, als Jordan weg war.
 
Vincent antwortete darauf nicht. Er musste das alles erst mal verdauen. Er hatte keine Ahnung was er von Jordans Verhalten halten sollte, aber sicher war, dass wenn sie nicht so ruhig geblieben wäre, er jetzt mausetot wäre.
 
„Habe ich euch eigentlich bei etwas gestört?", fuhr sein Partner fort.
 
Vincent verdrehte die Augen. „Dean, halt einfach deine Schnauze."
 
Er grinste.
 
Dann gingen die FBI-Agenten das Chaos beseitigen.

Criminal - Krieg der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt