Was darauf folgte, war Stille.
Für einen Moment war ich wie erstarrt. Im Nachhinein stellte ich fest, dass ich nicht damit gerechnet hatte und insgeheim davon ausgegangen war, dass Catalina Lucy Heavens verschonte. Offensichtlich hatte ich mich geirrt.
Vorsichtig trat ich an sie heran und griff nach der Beretta. „Ist in Ordnung. Du kannst sie jetzt loslassen."
Sie zuckte, als ich sie berührte und ich war mir nicht sicher was sie getan hätte, wenn ich ihre Hand nicht festgehalten hätte. Ein Zittern erschütterte ihren Körper, kaum hatte ich ihr die Waffe aus den Fingern gewunden, trotzdem wandte sie ihren starren Blick nicht von Lucy Heavens Leiche ab.
Die junge Frau wirkte seltsam geisterhaft, wie sie dort lag und uns mit ihren leeren, blauen Augen anstarrte. Schon jetzt war ihre Haut wegen des Blutverlusts blass, beinahe weiß. Als läge ein Geist vor uns. Nur den dunklen Spritzer bildete einen heftigen Kontrast zu ihrer Porzellanhaut. Die Kugel war knapp über ihrer Augenbraue in die Stirn eingedrungen und das Blut verliefen zu einem abstrakten Muster.
Ich legte meine Hände sanft auf Cats Schultern und zog sie von der Toten weg. Sie war in eine Starre verfallen und ich musste sie wegdrehen, damit sie endlich ihren Blick von Lucy abwenden konnte. Stattdessen starrte sie jetzt in die Dunkelheit. Ich gab ihr die Zeit, die sie brauchte und nahm mir in der Zwischenzeit zwei Stühle, die herumstanden. Während sie sich auf den einen fallen ließ, setzte ich mich auf den anderen und gab mir Mühe dabei nicht zu sehr das Gesicht zu verzerren. Es tat gut, wieder zu sitzen.
„Ich fühle mich schrecklich", flüsterte die Mexikanerin schließlich.
Ich sah sie lediglich mitleidsvoll an. Sie sah furchtbar aus und war mindestens genauso blass wie die Leiche. Trotzdem schwieg ich. Was sollte ich dazu schon sagen? Ich wusste nicht, was ich sagen könnte, dass sie sich besser fühlte, also ließ ich es ganz sein. So machte ich es zumindest nicht schlimmer.
„Wird das irgendwann besser?", wollte sie dann wissen.
„Irgendwann", nickte ich. Den ersten Menschen, den man ermordete, vergaß man nie. Danach war man nicht mehr derselbe.
„Lass uns gehen", schlug ich anschließend vor, was Cat nun doch dazu brachte mich anzusehen.
„Was ist mit...?" Ihr Stimme brach ab.
„Ich rufe ein paar Leute an und die lassen sie verschwinden. Niemand wird jemals erfahren was hier passiert ist."
Catalina schluckte und fragte nicht weiter nach, weil sie wusste, dass sie nicht mehr wissen wollte und auch nicht mehr zu wissen brauchte.
Unter Anstrengung stand ich auf. „Gehen wir", meinte ich sanft.
Sie nickte abwesend und erhob sich ebenfalls, doch kaum streifte ihr Blick den Leichnam presste sie eine Hand auf den Mund und übergab sich hinter dem nächsten Tisch. Nachdem ihr Magen leer war, wischte sie sich mit ihrem Ärmel über den Mund.
„Besser?", fragte ich mitleidig.
Sie nickte, obwohl sie aussah wie der Tod persönlich. „Ich will nur noch hier weg", wisperte sie.
Tatsächlich konnte ich sogar nachvollziehen wie sie sich fühlte. Ironischerweise hatte ich meinen ersten Mord nur einen Raum weiter begangen. Sobald einem klargeworden war, was man getan hatte, wollte man nur noch wegrennen, doch irgendwann musste man einsehen, dass man so weit rennen konnte wie man wollte und es einen trotzdem für immer und ewig verfolgen würde. Es würde erst besser werden, wenn man sich damit auseinandersetzte, doch bis dahin ließ ich Cat die Illusion.
Wir gingen zurück in die Lobby des alten Hotels und ich merkte langsam wie sehr mir der Strom zugesetzt hatte. Meine Muskeln brannten als hätte ich sie bis zum Äußersten gereizt und die Erschöpfung biss sich mit immer größerer Kraft in meine Knochen. Unauffällig stützte ich mich an dem Geländer ab, während Cat geradewegs auf die Tür zusteuerte.
„Ich muss noch etwas überprüfen", meinte ich dennoch und sie blieb stehen.
„Was? Was willst du denn hier noch?"
„Das Hotel hier gehört mir. Hier lagern nahezu alle Gegenstände für die Auktion und ich muss nachschauen ob alles noch da ist."
Ungläubig hob sie eine Augenbraue. „Hier? Hier hortest du all deine Schätze?"
„Nicht alle, aber viele."
„Irgendwie hatte ich etwas glamouröseres erwartet als das", dachte sie laut und ich zuckte mit den Schultern. Sogar das kostete mich viel zu viel Energie.
„Wer kommt schon auf die Idee hier danach zu suchen?"
„Zugegeben", entgegnete sie. Dieses offensichtliche Versteck war so klischeehaft, dass niemand denken würde, dass hier tatsächlich jemand Schwarzmarkt-Ware versteckte.
„Und wo genau?", hakte sie nach.
Ich musste mich konzentrieren, dass meine Knie nicht unter mir weg knickten, weshalb ich lediglich nach oben deutete. Ich hatte die Kisten von verschiedenen Leuten hier her bringen lassen. Keine Mitarbeiter, sondern normale Arbeiter, die sich schnelles Geld verdienen wollten und denen gegenüber ich behauptet hatte es seien Gegenstände für die Renovierung des Hotels. Manchmal waren es auch arbeitslose Einwanderer oder Obdachlose Gewesen. Diejenigen, die Nachrichten schauten oder überhaupt einen Fernseher oder eine Zeitung hatten, wunderten sich sicherlich, dass noch nicht von der Renovierung des Red Carpets berichtet worden war, aber ich war davon überzeugt, dass keiner weiter darüber nachdenken, geschweige denn nachforschen würde. Dafür hatte ich zu gut bezahlt und bei so leicht verdientem Geld stellte man ohnehin keine Fragen. Auf diesem Weg hatte ich sichergestellt, dass niemand außer mir und Evan von den hier gelagerten Gegenständen wusste. Es war mir schleierhaft wie Heavens oder der Herrscher davon erfahren hatten.
„Na schön", meinte Cat, die am liebsten sofort verschwinden würde und deshalb vorausging.
Auch ich wollte das so schnell wie möglich hinter mich bringen, weshalb ich begann mich die Treppe in den ersten Stock hinauf zu schleppen. Doch mein Körper streikte und bereits nach einem halben Treppenabsatz war ich am Ende. Bei jedem Schritt sandte jemand Feuerstöße durch meine Fasern als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen und nach einer weiteren Stufe konnte ich mich nicht länger auf den Beinen halten. Sie gaben unter mir nach und ich stützte mich auf dem von der Zeit zerfressenen Treppenläufer ab.
Als Cat bemerkte, dass ich nicht mehr hinter ihr war, drehte sie sich um und erschrak. Sie hetzte die wenigen Stufen wieder nach unten und ging neben mir in die Knie. „Alles in Ordnung?"
Ich nickte. „Es geht schon. Ich brauche nur einen Augenblick."
Sie wusste, dass das gelogen war, aber sie wusste auch, dass ich niemals zugeben würde wie dreckig es mir in Wirklichkeit ging. Also nahm sie wortlos meinen Arm, legte ihn sich um ihre Schulter und umfasste mit ihrem anderen Arm meine Taille. So standen wir gemeinsam auf und sie stützte mich.
„Danke", sagte ich und sie lächelte schwach.
In der ersten Etage sah es ein wenig besser aus als im Erdgeschoss, obwohl auch hier der Putz von den Wänden bröckelte. Der Teppich bestand nur noch aus Fetzen und selbst die waren nur noch schwer als Stoff identifizierbar. Schimmel hatte sich überall breitgemacht und die metallenen Schilder, auf denen früher die Zimmernummern eingraviert waren, fehlten ganz. Aber das störte mich nicht. Ich brauchte sie nicht, um die richtigen Räume zu finden.
Im ersten Moment war an keinem der ehemaligen Hotelzimmer etwas besonderes, aber das war auch Sinn der Sache. Wenn man nicht nach danach suchte, würde man die Holzkisten auch nicht finden; dafür hatte ich gesorgt. Wenn man allerdings davon wusste, war es nicht weiter schwer sie zu entdecken. Einige lagen beispielsweise unter dem Bett. Man musste nur die lose Seitenwand des Bettgestells lösen und sie sprangen einem förmlich ins Gesicht. Andere waren in den hintersten Ecken des Wandschranks und wieder andere lagen in einem Loch in der Wand, das man freilegte, wenn man eine Kommode ein wenig verrückte.
Ich überprüfte die einige Verstecke und stellte erleichtert fest, dass alles noch dort zu sein schien, wo ich es hinterlassen hatte. Dann ließ ich Cat eine Kiste hervorholen und sie öffnen, während ich mich unauffällig an einer Kommode abstützte.
Sie nahm die Ablenkung gerne entgegen und wühlte zwischen den Polsterungen herum. Anscheinend hatte ich nun doch ihre Neugier geweckt. Schließlich zog sie ein hölzernes Kästchen heraus und ließ es aufklappen. Der Inhalt war ein goldenes Armband, auf dem Hieroglyphen abgebildet waren. Fragend sah sie mich an.
„Altägyptisches Armband", erläuterte ich, „Wurde nördlich von Theben gefunden. Die Grabräuberfamilie Abd el-Rassul hat es damals aus der Königscachette von Deir el-Bahari gestohlen und verkauft. Seitdem tauchen immer mal wieder einige Stücke auf dem Schwarzmarkt auf."
Cat fragte gar nicht erst wie ich da ran gekommen war. Dass ich es nicht gekauft hatte, war ihr klar. Sie klappte die Schachtel wieder zu und legte sie behutsam zurück.
Ich ging zu ihr herüber und ließ mich etwas schwerfällig auf den Boden fallen.
„Und du weißt ganz genau was in welcher Kiste ist?", wollte sie wissen.
Ich nickte. „In dieser müsste zum Beispiel noch ein Messer aus Obsidian aus der Maja-Zeit sein. Und..." Mir fiel noch etwas ein. Ich griff in die Kiste und zog ein Buch heraus.
„Was ist das?"
Ich lächelte als ich es ihr überreichte. „Eines meiner Lieblingsstücke. Das sind Die Märchen von Beedle dem Barden. Kommt dir das bekannt vor?"
Sie drehte das Buch hin und her. „Sollte es das?"
„Für Harry Potter-Fans schon. In den Büchern ist das ein Kinderbuch und wird in einem der Teile mehrere Male erwähnt. Später hat J. K. Rowling es tatsächlich geschrieben und das hier ist ein Exemplar davon."
Cat sah immer noch ziemlich ratlos aus. „Na und?"
Ich grinste leicht. „Das hier ist 3,6 Millionen Euro wert."
Ihre Augen wurden groß, bevor sie sich beeilte mir das in braune Leder gebundene Buch zurückzugeben. Abermals musste ich lächeln. Ich erinnerte mich, als ich das erste Mal etwas so wertvolles in der Hand gehabt hatte. Damals hatte ich es auch so schnell wie möglich los haben wollen, da ich Angst gehabt hatte, es durch meine bloße Berührung kaputt zu machen.
„Rowling hat es von Hand geschrieben und selbst illustriert. Davon gibt es nur sieben Exemplare, deren Einband alle mit Halbedelsteinen verziert sind. Auf diesem hier ist Mondstein. Es wurde als einziges versteigert. Die restlichen sechs Bücher hat sie an Freunde und Lektoren verschenkt, die maßgebend an der Entstehung von Harry Potter beteiligt gewesen sind", schloss ich und legte das Buch vorsichtig zurück in die Kiste, während Cat nur ungläubig den Kopf schüttelte.
Als Normalverdiener war es schwer sich vorzustellen wie jemand für so etwas so viel Geld ausgeben konnte. Auch ich hatte es am Anfang nicht glauben können, was jemand bereit war für ein seltenes Stück zu zahlen, jetzt gehörten solch monumentale Preise zu meiner Tagesordnung. Jedes einzelne der Dinge, die hier lagerten, war mindestens über hunderttausend Dollar wert. Zwar hatte ich mir nicht ausgerechnet, wie viel all diese Dinge insgesamt wert waren, aber sicher war, dass Lucy Heavens einen verheerenden finanziellen Schaden angerichtet hätte, wenn sie sie gefunden und gestohlen hätte.
Cat und ich kontrollierten auch noch die anderen Zimmer, doch nichts schien zu fehlen. Wahrscheinlich hatte Lucy Heavens zwar gewusst, dass das Gebäude mir gehörte, aber nicht welche Schätze hier lagerten.
Nachdem sie mich wieder die Treppe herunter geschleift hatte, traten wir nach draußen an die frische Luft. Es war kalt geworden und ich war mehr als müde. Trotzdem löste ich mich von Cats Arm ging einige Schritte weiter weg, um mit den Cleanern zu telefonieren. Wie sie selbst erkannt hatte, war es besser wenn sie die unschönen Einzelheiten, die ich zwangsläufig mit meinen Leuten besprechen musste, nicht hörte.
Als ich zurückkam, hatte sich die Mexikanerin auf die Stufen vor der Eingangstür gesetzt. Ich ließ mich neben ihr nieder und lehnte mich an eine der Säulen, die die Tür flankierten.
„Das verfolgt einen, oder?" Cat hatte den Verlobungsring ausgezogen und betrachtete ihn. Der Edelstein glänzte im matten Mondlicht.
Ich seufzte. Sie war klug. „Ich fürchte schon. Du wirst damit leben müssen." Es brachte nichts sie anzulügen. Es schützte sie weder, noch hatte sie das verdient. Vielleicht war es sogar besser, wenn sie wusste, was auf sie zukam.
Eine Weile starrten wir auf den stillgelegten Springbrunnen. Der Wind fuhr durch die Speichen des alten Fahrrads und ab und zu schaffte er es sogar sie in Bewegung zu setzten. Dann gab die verbogene Felge ein unheimliches Kreischen von sich, das sich in der Dunkelheit verlor.
„Stimmt es eigentlich?", wollte Catalina irgendwann wissen, „Hast du wirklich ihre Eltern umgebracht?"
Ich atmete durch die Nase aus und schloss die Augen. „Ja, habe ich. Ich habe die Wahrheit gesagt. Auch, dass es mir leid tut. Es war ein Fehler und wenn ich heute etwas anders manchen könnte, würde ich es tun. Nicht nur, weil Cole und Evan so vielleicht noch am Leben wären."
Sie senkte ihren Blick auf den Stein und strich mit dem Finger über das kalte Silber. „Es muss hart sein, mit so viel Reue leben zu müssen", murmelte sie ohne mich anzusehen.
Ich zuckte mit den Schultern. „Es ist, was es ist. Irgendwann wird es erträglicher."
Falsche Entscheidungen konnte man nicht rückgängig machen, deshalb sollte man gut nachdenken, bevor man Dinge tat, die man später bereuen könnte. Ich hoffte, Cat hatte das getan. Nicht jeder konnte damit umgehen, jemand anderem das Leben genommen zu haben und das war gut so. Nur sollte sie nicht daran kaputt gehen.
Die Tarot-Karte kam mir wieder in den Sinn, die sich Heavens für sich selbst ausgesucht hatte. Ich hatte über diese Karte gelesen gehabt. Der Tod war eine der am meisten missverstandenen Karten des gesamten Decks, denn sie stand nicht für den Tod an sich, sondern für das Ende. Genauer gesagt ein Ende, egal von was und ob gut oder schlecht. Lucy Heavens hatte mich zwar nicht getötet, aber sie hatte dem ganzen ein Ende bereitet.
Und jedes Ende war auch ein neuer Anfang.
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Criminal - Krieg der Schatten
AcciónOne-Night-Stand mit Folgen: Als sich Ever und Vincent in einer Bar treffen, funkt es sofort zwischen ihnen. Nach einer gemeinsamen Nacht flüchtet sie jedoch überstürzt aus seiner Wohnung und versucht in den nächsten Tagen verzweifelt, sich den charm...