Krieg der Schatten | 1

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Zwei Monate später gab es nicht wirklich etwas neues. Das Koks war und blieb verschwunden und meine Hoffnung, dass Levlys Tod nicht mit Jordan in Verbindung gebracht wurde, hatte sich erfüllt. Cat hatte es gut sein lassen und wir hatten nicht mehr über unser Gespräch geredet. Im Moment hatte sie sich Urlaub genommen und war zusammen mit Cole verreist. Außerdem hatte ich mich trotz Evans Bedenken weiterhin mit Vincent getroffen und spürte jeden Freitag seinen vorwurfsvollen Blick auf mir ruhen, weshalb ich das Thema großzügig umging. Vermutlich dachte er, dass ich es nur aus Trotz tat und ich hatte nicht die Absicht das richtig zu stellen.
 
Auch beruflich könnte es nicht besser laufen. Erst letzte Woche hatte ich mein erstes großes Geschäft in Europa abgeschlossen und es endlich geschafft an das Van Gogh-Bild zu kommen. Gerade hatte ich die Nachricht bekommen, dass es es über die Grenze geschafft hatte und nahm mein Handy.
 
„Kanzlei Summers & Fiori", meldete sich die Empfangsdame und Sekretärin formal und höflich.
 
„Jordan Everton. Ich würde gerne mit Lorenzo Fiori sprechen."
 
„Guten Tag, Miss Everton. Ich leite Sie sofort weiter."
 
Ich bedankte mich und keine zehn Sekunden später hatte ich Fiori am anderen Ende der Leitung. „Lorenzo Fiori."
 
„Guten Tag, Lorenzo. Steht Ihre Einladung zum Kaffee noch?"
 
Freude mischte sich in seine Stimme. „Selbstverständlich, Miss Everton." Er schlug ein Treffen in einem Café in der Innenstadt um elf Uhr vor und ich stimmte zu.
 
Eine Stunde später saßen wir uns an einem kleinen Tisch gegenüber und ich nahm einen Schluck von meinem Eiskaffee. „Darf ich annehmen, dass sich das Gemälde bereits in Ihrem Besitz befindet?", fragte Lorenzo und lehnte sich ein wenig nach vorne.
 
„Das tut es. Es ist heute Vormittag über die Grenze gelangt und dürfte in den nächsten zwei Wochen ankommen. Es ist in einem sehr guten Zustand."
 
Maler auf der Straße nach Tarascon war 1888 von Vincent van Gogh gemalt worden. Es war ein weiteres verschwundenes Bild aus der Nazizeit, das angeblich 1945 bei einem Brand zerstört worden war. Bis heute war man sich dessen immer noch nicht sicher. Es hieß, dass nicht mal Aschereste davon gefunden worden waren und ich wusste inzwischen warum.
 
Fiori schüttelte erleichtert den Kopf. „Sie haben ja keine Ahnung, was das für mich bedeutet. Wie sind Sie da nur ran gekommen?"
 
Ich winkte ab. „Das wollen Sie gar nicht wissen."
 
Er lehnte sich zurück. „Jeder Sammler sucht es und ich darf es schon bald mein Eigen nennen", lächelte er ungläubig.
 
Ich konnte seine Begeisterung verstehen, auch wenn ich beim besten Willen keine Kunstfanatikerin war. Für mich waren die Bilder, die ich verkaufte, lediglich Ware, trotzdem war der van Gogh etwas besonderes. Er war sozusagen der heilige Gral unter den Sammlern und hatte deshalb auch seinen Preis. Das Bild galt als eines der wertvollsten, die damals nach Kriegsende aus Deutschland verschwunden waren. Selbst für mich war es reines Glück gewesen, dass ich an zwei so wertvolle angeblich zerstörte Gemälde gelangt war. Es hatte ewig gedauert, bis ich es endlich gefunden hatte und an es ranzukommen war noch mal eine andere Geschichte gewesen. Auf jeden Fall war es alles andere als einfach gewesen, vor allem weil das Gemälde von Magdeburg aus durch die halbe Welt gereist war.
 
Fiori setzte sich wieder aufrecht hin und faltete die Hände. Er wusste, dass wir jetzt zum Geschäftlichen kamen. „Und der Preis?"
 
Ich zuckte mit den Schultern. „Der ist wie zu erwarten hoch."
 
Er nickte. „Wie viel?"
 
Ich zog einen kleinen Zettel aus meiner Tasche und schob ihn ihm über die Tischplatte zu.
 
Er faltete ihn auf, las die Zahl und hob unmerklich die Augenbraue.
 
„Es war nicht einfach an das Bild zu kommen und dementsprechend mit viel Aufwand verbunden. Das ist das beste Angebot, das ich Ihnen machen kann." Das Gemälde alleine wurde inzwischen auf 20 bis 30 Millionen geschätzt. Anhand dessen war der Preis sogar akzeptabel.
 
„Was ist mit einem kleinen Freundschafts-Rabatt?", fragte er und lächelte nonchalant.
 
„Tut mir wirklich leid, Lorenzo, aber weiter runter kann ich nicht. Ich habe auch meine Rechnungen zu bezahlen."
 
Er nickte. „Verstehe." Nachdenklich nahm er seine Tasse und nippte daran. „Und es ist sicher das Original?"
 
„Ganz sicher", versicherte ich ihm, „Falls Sie noch Bedenkzeit brauchen..."
 
„Nein", sagte er plötzlich und stellte seinen Kaffee wieder ab, „Eigentlich gibt es da nichts zu überlegen." Wieder schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht.
 
„Dann sind wir im Geschäft?", wollte ich wissen.
 
„Wir sind im Geschäft", bestätigte er und hielt mir die Hand hin, die ich schüttelte. Tatsächlich war es für mich am vorteilhaftesten, wenn Fiori das Bild kaufte. Bei anderen Käufern würde sich der Preis zwar noch mal ein wenig erhöhen, aber ich nahm die paar Millionen weniger gerne im Kauf, wenn ich dadurch ein großes Risiko umging.
 
Fiori trank den letzten Schluck seines Kaffees und rief die Bedienung zu sich. „Ich muss leider schon wieder gehen. Die Arbeit ruft."
 
„Natürlich", meinte ich.
 
Er bezahlte für uns beide, erhob sich und wir verabschiedeten uns voneinander.
 
Als er weg war, blieb ich noch ein wenig sitzen und genoss die Sonne. Der Sommer hatte sich inzwischen durchgesetzt und heute war keine einzige Wolke am Himmel zu sehen.
 
Ich zog mein Handy aus der Tasche und sah, dass eine Nachricht eingegangen war. Offensichtlich hatte ich sie nicht gehört, da sie bereits eine halbe Stunde alt war. Sie war von Evan. Natürlich. Der Mann hatte wirklich Talent darin mich immer dann zu stören, wenn ich es am wenigsten brauchen konnte. Zwar hatte ich heute keine Termine mehr, aber ich wollte Cats Beispiel folgen und mir einfach den Rest des Tages frei nehmen. Das konnte ich jetzt wohl vergessen.
 
Ich öffnete die Nachricht und das erste, was mir auffiel war, dass sie nicht verschlüsselt war.  »Treffen uns so schnell wie möglich im Park of Arts. Warte auf dich.«
 
Ich seufzte. Wenn er den Text nicht mal kodierte, konnte es anscheinend nicht so wichtig sein. Trotzdem trank ich sofort den Rest meines Getränks und machte mich auf den Weg.
 
Der besagte Park war glücklicherweise ganz in der Nähe und ich brauchte zu Fuß nur etwa fünf Minuten. Der Park of Arts war mit Mauern umzäunt und die Zugänge waren, wenn er geschlossen war, mit schweren, schwarzen Eisentoren versperrt. Die Grünflächen im Inneren waren gepflegt und durch Kieswege voneinander abgegrenzt. Sie führten auch zu den 24 verschiedenen Kunstwerken, die Künstler der Stadt gespendet hatten und die hier ausgestellt wurden. Es waren Skulpturen, die den Launen der Natur trotzten und so für jeden zugänglich waren. Ich mochte den Park. Er hatte etwas von dem Central Park in New York, da er ebenfalls ein grüner Platz mitten in der Stadt war. Die hohen Mauern schirmten den Großteil des Lärms ab und die Kunstwerke sorgten für Abwechslung und manchmal sogar für Sitzgelegenheiten oder hielten als improvisierter Spielplatz für Kinder her. Er war nicht übermäßig groß, aber auch nicht winzig klein und mir fiel erst am Eingang auf, dass Evan keinen konkreten Treffpunkt genannt hatte. Was war heute nur mit ihm los?
 
Als ich den Park betrat, leuchtete mir das Grün und die Blumen in voller Pracht entgegen. Trotzdem war er erstaunlich leer. Ich beschloss einfach den Wegen zu folgen, in der Hoffnung irgendwann auf Evan zu treffen. Der Kies kratzte unter meinen Schuhsohlen und ich genoss die warme Luft. Eine der Skulpturen glänzte im Sonnenlicht und blendete mich für einen Moment, was der Grund war, dass ich die Menschenmenge erst so spät sah.
 
Ich hatte mich vorhin geirrt. Der Park war keineswegs leer. Dafür, dass er erst seit einer halben Stunde geöffnet worden war, war er sogar erstaunlich voll. Die Menschen hatten sich nur alle auf einem Punkt versammelt. Neben der Menge standen außerdem einige Autos, was in einem Park doch recht ungewöhnlich war.
 
Gespannt kam ich näher und hielt in der Menschentraube Aussicht nach Evan, doch er war nirgends zu sehen. Stattdessen sah ich in bleiche Gesichter, die alle auf einen Punkt vor sich starrten, den sie verdecke. Menschen hatten schon immer eine Faszination für das Grauenvolle gehabt und doch fand ich es jedes Mal erstaunlich wie sehr sie es anzog. Ich hatte schon jetzt genug Schreckliches gesehen, dass es für zwei ganze Leben reichte, aber ich wusste, dass ich davon nicht mehr loskommen würde. Bei mir war es nicht die Neugierde nach dem Makaberen, wegen der ich mich durch die Menschen drängelte, sondern vielmehr der Gedanke, dass der Grund für die Menschenmenge auch der Grund war, weshalb mich Evan hier her beordert hatte.
 
Doch als ich es endlich sehen konnte, wünschte ich, ich hätte es niemals zu Gesicht bekommen. Der Schock traf mich völlig unvorbereitet und zwang mich wie angewurzelt stehen zu bleiben. Ich war unfähig mich zu bewegen und vergaß für einen Moment sogar zu atmen. Die Welt um mich herum verstummte und meine Augen klebten an dem grausamen Bild, das sich mir bot.
 
Vor mir war eines der bekanntesten Kunstwerke des Parks. Es bestand lediglich aus einer Metallplatte, die in den Boden eingelassen worden war und auf die einige Metallstäbe geschweißt worden waren. Sie liefen nach oben hin spitz zu und waren anscheinend völlig chaotisch angeordnet worden. Erst wenn man die Schatten der Skulptur betrachtete, offenbarte sich einem der Sinn und die Genialität des Künstlers. Sie bildeten menschenähnliche Silhouetten, die an einer bestimmten Tageszeit so aussahen als würden sie sich bekämpfen, was dem Kunstwerk auch seinen Namen gab: Krieg der Schatten.
 
Doch jemand hatte die Skulptur auf furchtbare Art und Weise vervollständigt. Auf einigen der Metallspitzen hing der leblose Körper eines Mannes. Der Stahl hatte sich gleich drei Mal durch seinen Brustkorb gebohrt und ihn aufgespießt. Sein Kopf, seine Beine und seine Arme hingen schlaff nach unten und sein Blick ging ins Leere. Blut rann an dem Metall herunter und bildete unter ihm eine Lache, in der sich die Sonne spiegelte.
 
Ich hatte den Mann gleich erkannt.
 
Es war Evan Shaw.

Criminal - Krieg der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt