Ich schnappte mir die Auflaufform und brachte sie in die Küche, wo ich mit dem Abwasch begann. Um diesem Gespräch zu entkommen, machte ich sogar freiwillig sauber. Keiner aus meiner Familie wusste von meinem Geheimnis und es war schwer, sie anzulügen. Sie waren die einzigen Menschen, denen ich wirklich vertraute und ihnen das zu verschweigen, fühlte sich an als würde ich sie hintergehen. Trotzdem konnte ich nicht anders. Sie würden mich nicht verstehen und es war sicherer für uns alle, wenn sie nicht wussten wie ich mein Geld verdiente. Ich hatte ohnehin keine Ahnung, wie ich es ihnen beibringen sollte.
Übrigens. Ich bin die Kriminelle, von der die Zeitung behauptet, dass sie die Stadt terrorisiert, auf deren Kappe schon dutzende Morde gehen und die Ware im Millionenwert auf dem Schwarzmarkt verhökert. Ja, ganz sicher würde ich ihnen das sagen.
Will kam herein, als ich gerade dabei war die eingebrannten Reste aus der Auflaufform zu kratzen. „Lass mich dir helfen."
Dankbar lächelte ich, überließ ihm den Schwamm und räumte stattdessen die Teller in die Spülmaschine. Wie so oft überkam mich mein schlechtes Gewissen. William war derjenige, den ich am wenigsten anlügen wollte, aber gerade deswegen musste ich es tun. Um ihn zu schützen. Eine Weile machten wir einfach schweigend den Abwasch und hörten mit halbem Ohr dem Gespräch zwischen Chase und Dad zu, die sich weiter über Jordan unterhielten. Zusätzlich zu dem Unbehagen fand ich es irgendwie lustig, dass sie keine Ahnung hatten, dass diejenige, über den sie sprachen, mit ihnen am Tisch gesessen hatte.
Schließlich durchbrach Will doch die Stille. „Ist alles in Ordnung mit dir?"
Ich sah ihn an. „Klar. Was sollte sein?"
Er legte den Kopf schief und hob eine Augenbraue wie er es immer tat, wenn er versuchte, mich besonders vorwurfsvoll anzusehen. „Komm schon, Jord, ich kenne dich. Du hättest nicht freiwillig den Abwasch übernommen, wenn du mit deinen deinen Gedanken nicht meilenweit entfernt wärst."
Ich seufzte. Oh ja, er kannte mich. Ein wenig zu gut für meinen Geschmack. „Mom", sagte ich dann einfach.
Er nickte. Mehr musste man dazu nicht sagen. Meine Brüder hatte ihr Tod damals genauso hart getroffen wie mich, allerdings hatte ich das Gefühl, dass sie inzwischen damit klar kamen. Sicher tat es immer noch weh, aber sie hatten damit abgeschlossen.
Ganz im Gegensatz zu mir. Früher hatten wir öfter gestritten, weil William der festen Überzeugung war, dass meine Zurückgezogenheit und Verschlossenheit mir nicht gut tun würde. Schon als Kind und Teenager war er ständig unter Menschen gewesen, hatte früh seine erste Freundin gehabt und sich für mich das gleiche gewünscht. Ihm war es schon immer leicht gefallen andere dazu zu bringen, ihn zu mögen.
Ich hingegen war dafür schlicht zu eigenwillig gewesen. Ich war nunmal ein Einzelgänger und das war etwas, das er nie verstanden hatte. Deshalb war ich auch froh, dass er heute nicht von mir nicht erwartete, dass ich ihm mein Herz ausschüttete. Stattdessen räumten wir schweigend die Küche auf.
Als wir fertig waren, gingen wir ins Wohnzimmer und ließen uns auf die Sofas fallen. „Wie war deine Woche so?", fragte ich, einfach um ein wenig Smalltalk zu betreiben.
„Nichts besonderes. Zwei Autounfälle und ein paar tote Junkies aus dem Suicide District und dem Bridge-Viertel. Traurig, dass das inzwischen zum Alltag gehört."
Ich nickte zustimmend. Die zwei Gegenden waren die drogenverseuchtesten der ganzen Stadt.
„Bei dir?"
„Ein Bellini und ein antiker Briefbeschwerer, den Grandpa angeblich irgendwann mal geklaut haben soll."
William lachte. „Einen Briefbeschwerer? Grandpa hat sicher keine Briefbeschwerer geklaut."
Ich grinste wissend. Unser Großvater hatte sich tatsächlich nicht mit kleinen Dingen aufgehalten. Allerdings war von klein oder wertlos nie die Rede gewesen. „Der Briefbeschwerer besteht aus einem faustgroßen Bernstein, in dem irgendein ausgestorbenes Insekt eingeschlossen ist. Wert: 250 000 Dollar."
Ihm klappte die Kinnlade runter. „Okay, dann hat er es ganz sicher irgendwann mal geklaut."
Der Blick meines Bruders fiel auf eines der Fotos, die auf dem Tisch neben der Couch standen. Darauf standen nicht nur Bilder von uns als wir noch kleiner waren, sondern auch ein gemeinsames Foto unserer Eltern und ein einzelnes Foto von Mom.
„Weißt du eigentlich, dass du ihm echt ähnlich siehst? Grandpa, meine ich."
Die Aufnahme unseres Großvaters zeigte ihn noch in jüngeren Jahren. Er war es, von dem ich meine pechschwarzen Haare hatte. Mom war blond gewesen und Dad braunhaarig. Chase hatte die Haare unseres Vaters und Will war dunkelblond, eine Mischung aus Braun und Blond. Ich fiel daher auf wie ein bunter Hund. Offensichtlich hatten seine Gene eine Generation übersprungen und sich bei mir wieder durchgesetzt.
Ich mochte das Foto von Grandpa, da es genau zeigte, was für ein Mensch er gewesen war. Der dunkle Anzug, auf dem man keinen einzigen Fussel finden konnte und der vermutlich eine Maßanfertigung war, ließ seine graublauen Augen noch mehr hervorstechen und er lächelte verschmitzt ins Bild. Sogar auf dem Foto zog einen seine vereinnahmende Art in seinen Bann und das Blitzen in seinen Augen verriet, wie viel Intelligenz sich hinter der charismatischen Fassade verborgen hatte. Bis zu seinem Tod hatte sich an dieser Gerissenheit und Listigkeit nichts geändert gehabt und obwohl er relativ früh gestorben war, war ich mir sicher, dass er es nicht anders gewollt hatte. Nicht nur, weil er seine Frau und seine Tochter überlebt hatte, sondern weil er kein Mann gewesen war, der sich vom Alter hätte zerfressen lassen. Stattdessen war er in Würde gestorben.
Vor allem aber hatte Grandpa schon immer ein Händchen für die wertvollen Dinge gehabt. Wortwörtlich. Allister van Hayden war ein berüchtigter Dieb und Trickbetrüger gewesen; eine Legende in der Unterwelt. Doch meine Mom hatte sich damals entschieden ein ehrliches Leben zu führen und uns nie erzählt, was er wirklich tat. Erst mit siebzehn hatte ich erfahren, was er wirklich sein Leben lang gemacht hatte.
Will hatte keine Ahnung wie ähnlich ich und Grandpa uns tatsächlich waren. Er war nicht nur derjenige, der mich damals in diese Welt eingeführt hatte, sondern auch der einzige, der von meinem Geheimnis gewusst hatte. Und er hatte es mit ins Grab genommen, als er vor zwei Jahren gestorben war. Die Kriminalität lag mir sozusagen im Blut und mit zwanzig war ich in seine Fußstapfen getreten. Wie wurde man also zu einer Verbrecherin? Die Wahrheit war, dass ich selbst keine Ahnung hatte. Es hatte sich alles einfach so ergeben.
Nachdem ich unter seiner Aufsicht mit einfachem Taschendiebstahl und kleineren Trickbetrügereien angefangen hatte, war ich schnell zum Schmuggel und Hehlerei gekommen. Nichts großes und nichts besonderes. Ich war einfach auf schnelles Geld aus gewesen, doch nach dem Tod meiner Mutter hatte sich das geändert. Dank der blinden Wut hatte ich die meisten meiner Skrupel verloren und meine Energie in die Ausweitung meines kleines Unternehmens gesteckt. Es war meine Art gewesen, mich an der Stadt und der Justiz, die uns im Stich gelassen hatten, zu rächen. Mein Großvater war der einzige Mensch, von dem ich das Gefühl hatte, dass er das verstehen konnte. Er hatte mich unterstützt und mit Erstaunen dabei zugesehen, wie ich mir relativ schnell mein eigenes Imperium aufgebaut hatte.
Inzwischen empfand ich es als Kompliment mit Grandpa verglichen zu werden. Allister van Hayden mochte zwar ein Verbrecher gewesen sein, aber er war ein Mensch gewesen, der die Dinge hinterfragt und nicht wie die meisten einfach blind hingenommen hatte, weil es bequemer war, nicht selbst darüber nachzudenken.
„Wollen wir nur hoffen, dass du ihm nicht zu ähnlich wirst", fügte William noch hinzu und zwinkerte.
Ich lachte. Zu spät, Will, dachte ich mir, zu spät.
„Unglaublich", hörte ich auf einmal mein Vater murmeln. Er saß immer noch am Tisch und hatte die Zeitung aufgeschlagen. Dad war jemand, der die Nachrichten ziemlich genau verfolgte. Von neuer Technik hielt er nicht, viel lieber las er ganz oldschool die Tageszeitung. In diesem Internet wird man doch nur verarscht, sagte er immer.
DU LIEST GERADE
Criminal - Krieg der Schatten
حركة (أكشن)One-Night-Stand mit Folgen: Als sich Ever und Vincent in einer Bar treffen, funkt es sofort zwischen ihnen. Nach einer gemeinsamen Nacht flüchtet sie jedoch überstürzt aus seiner Wohnung und versucht in den nächsten Tagen verzweifelt, sich den charm...