Nachdem ich von Chase weggefahren war, hatte ich sofort Chips damit beauftragt etwas über den Herrscher herauszufinden. Ich war mir sicher, dass diese Typen wiederkommen würden und wenn ich nichts tat, würde das gerade so weitergehen. Chase konnte nichts ausrichten, aber meine Ressourcen reichten wesentlich weiter als seine. Außerdem würde sich Jordan sicher nicht so schnell von seinem Thron vertreiben lassen.
Das einzig positive war, dass es mich zumindest kurzzeitig von Evan abgelenkt hatte. Doch das änderte nichts an meiner Entscheidung seinen Mörder zu finden. Und da ich für Chase nichts tun konnte, bis Chips seine Nachforschungen gemacht hatte, würde ich mich als nächstes darum kümmern.
Deshalb stand gerade in der Nähe des Eingangs zur FBI-Zentrale und wartete. Es verursachte bei mir einen gewissen Nervenkitzel, den ich schon damals, als ich wegen Evans Tod verhört worden war, gespürt hatte. Zu wissen, dass man gejagt wurde und sich in der Nähe seiner Jäger aufzuhalten, pumpte Adrenalin in die Adern. Ich gab es nicht gerne zu, aber es gab einem das Gefühl von Macht. Und das von Überlegenheit. Die Bestätigung, dass man schlauer war als seine Jäger. Ich hatte mich nie für einen machthungrigen Menschen gehalten, doch wenn man sie erst mal in Händen hielt, wollte man sie nicht mehr abgeben. Man tat alles dafür sie zu behalten, denn Macht bedeutete Freiheit.
Anfangs dachte ich, dass dieses Gefühl, dass ich in der Nähe meiner Feinde hatte, auch der Grund für meine Zuneigung für Vincent war, doch wenn ich bei ihm war, war das etwas anderes. Es fühlte sich nicht gleich an und ich vergaß oft, dass er hinter mir her war. Es war gefährlich, aber ich konnte nichts dagegen tun. Auch bei ihm fühlte ich mich frei, doch auf andere Art und Weise. Weil er mich so akzeptierte wie ich war und ich das nicht erst erzwingen musste. Zumindest der Teil, den ich ihm zeigte.
Aus dem Gebäude kamen am laufenden Band FBI-Agenten. Sie beachteten mich kaum und selbst wenn ich jemandem auffiel, waren es die Männer. Aber nicht weil ich ihnen verdächtig oder gefährlich erschien.
Ich wartete anderthalb Stunden. Die ganze Zeit über rasten die Gedanken in meinem Kopf, doch als ich Vincent aus der Tür kommen sah, wurde es schlagartig still. Ich ging auf ihn zu. „Vince!"
Er drehte sich um und sah mich überrascht an. „Jordan? Was machst du hier?"
„Ich wollte dich um einen Gefallen bitten."
„Was für einen Gefallen?"
Ich biss mir auf die Lippe. Es war mir unangenehm ihn danach zu fragen. „Ich wollte dich um nähere Details zu Evans Tod bitten."
Er hob eine Augenbraue. „Du weißt schon, dass das Informationen zu einem laufenden Fall sind und ich nicht darüber reden darf."
Ich seufzte. „Ich weiß. Ich wollte nur–"
„Außerdem", unterbrach er mich und ich bemerkte erst jetzt die Härte in seiner Stimme und sein seltsames Verhalten mir gegenüber, „darf ich Verdächtigen erst recht keine Details geben."
Meine Augen weiteten sich. „Verdächtige? Ich dachte, ich wäre nicht mehr verdächtig."
„Warst du auch nicht. Dein Anwalt Fiori hat dein Alibi bestätigt, dass du zum Todeszeitpunkt bei ihm warst, aber wir bekamen Zweifel als die Techniker sein Handy ausgewertet haben."
„Sein Handy?"
„Er hat eine Nachricht erhalten, mit der man einen Virus auf sein Smartphone gespielt hat, der alles vollständig zurückgesetzt hat. Alle Daten wurden gelöscht und sogar überschrieben. Trotzdem ist es den Technikern gelungen ein paar Datenfetzen zu retten. Darunter die letzte Nachricht, die er bekommen hat." Er machte eine Pause und durchbohrte mich mit seinem Blick. „Sie war von dir."
„Ja, weil ich ihn gefragt habe wo er ist! Er hatte mich in den Park beordert, mir aber keinen genauen Treffpunkt genannt. Als ich ihn nicht gefunden habe, habe ich ihm eine Nachricht geschrieben und gefragt wo er sei."
„Und warum ist sie erst angekommen nachdem du wusstest was mit ihm ist?"
Ich warf die Hände in die Luft. „Woher soll ich das wissen? Vielleicht hatten ich oder er schlechtes Internet."
Es war ein schreckliches Gefühl ihn anzulügen. Er war einer der wenigen Menschen bei denen mir es etwas ausmachte sie zu belügen. Aber wenn ich ihm die Wahrheit erzählte, würde er mich verhaften müssen.
Vincent schien nachzudenken. Es machte Sinn was ich sagte, aber er wollte nicht so einfach von seinem Verdacht ablassen. Vermutlich wollte er sich nicht von unserem Verhältnis zueinander – was auch immer das für ein Verhältnis war – beeinflussen lassen und zögerte deshalb. Ich merkte das und nutzte es. Angriff war bekanntlich die beste Verteidigung.
„Du glaubst mir nicht", stellte ich ein wenig beleidigt fest, „Warum sollte ich Evan umbringen? Er war einer meiner engsten Freunde, verdammt!"
„Ich habe nicht gesagt, dass du ihn umgebracht hast..."
„Nein. Aber dass ich durch eine einzige Nachricht sein Handy gelöscht habe? Warum sollte ich? Was sollte mir das bringen?"
Er schnaubte. „Ich weiß es nicht", gab er zu.
Ich verstand endlich. „Es ist mein Name, richtig?"
Seine Augen weiteten sich. „Was? Nein."
„Doch", widersprach ich ihm, „Als Agent muss man jeden als Verdächtigen in Betracht ziehen, richtig? Und der Name würde schon mal passen. Es würde sogar perfekt passen." Ein spöttischer Unterton mischte sich bei den letzten beiden Sätzen in meine Stimme.
„Du musst mich verstehen, Jordan. Obwohl ich dich jetzt seit über drei Monaten kenne, weiß ich so gut wie gar nichts über dich."
„Und das heißt gleich, dass ich eine Kriminelle bin?", brauste ich auf, „Genau aus diesem Grund habe ich dir meinen Namen nicht gleich gesagt. Weil die Leute mich mit ihm vergleichen. Ob sie wollen oder nicht. Und ich habe es satt, dass alles was ich sage und tue in die Waagschale geworfen wird!"
Ich drehte mich ohne ein weiteres Wort um und ließ Vincent stehen. Ich wollte weg von hier und je weiter ich mich entfernte, desto klarer wurde mir, dass ich vor diesem Gespräch weglief. Ich hatte Angst davor, dass er die Wahrheit erfuhr. Angst davor, dass er alles von mir sah. Auch den kriminellen Teil, der größer war als ich zugeben wollte.
Und auf einmal wurde mir noch etwas weiteres bewusst. Ich lief auch vor ihm weg, da ich nicht wollte, dass er mich hasste, wenn er die ganze Wahrheit kannte. Ich hielt ihn auf Abstand, da ich Angst hatte, dass er die echte Jordan nicht akzeptieren würde.
DU LIEST GERADE
Criminal - Krieg der Schatten
ActionOne-Night-Stand mit Folgen: Als sich Ever und Vincent in einer Bar treffen, funkt es sofort zwischen ihnen. Nach einer gemeinsamen Nacht flüchtet sie jedoch überstürzt aus seiner Wohnung und versucht in den nächsten Tagen verzweifelt, sich den charm...