Der Tod | 2

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Mit etwas Mühe schafften sie es, mich auf den Stuhl zu drücken und meine Hand- und Fußgelenke mit Kabelbindern an den Lehnen und Beinen zu fixieren. Als sie fertig waren, traten sie einige Schritte zurück und betrachteten ihr Werk.
 
Wütend funkelte ich sie an und es erfüllte mich wenigstens mit ein wenig Genugtuung zu sehen, dass sie mindestens genauso außer Atem waren wie ich und einer von ihnen vermutlich eine gebrochene Nase hatte. Blut strömte über sein Kinn und der, den ich angeschossen hatte, saß etwas weiter hinten und drückte sich mit schmerzerfülltem Gesicht die Hand auf die Schusswunde.
 
Es waren vier Männer gewesen und ich hatte von Anfang an keine Chance gehabt. Zumindest das konnte mir keiner vorwerfen, wenn ich den Löffel abgab. Auf der anderen Seite hatte man mich erfolgreich geködert und ich war bewaffnet gewesen. Also doch ein wenig peinlich, wenn ich so darüber nachdachte.
 
Probehalber ruckelte ich an meinen Fesseln, doch sie waren so fest, dass sie mir ohnehin schon ins Fleisch schnitten. Schließlich zwang ich mich, mich wieder zu beruhigen. Auszuflippen brachte mich nicht weiter und ich wollte die kühle Arroganz wahren, die man von Jordan und Kate DeLeón erwartete.
 
Unauffällig atmete ich durch und bemühte mich, ruhig und gelassen zu wirken. „Und was jetzt?", fragte ich.
 
Die Männer reagierten nicht. Sie waren hier nur die Fußsoldaten, hatten nichts zu sagen.
 
Das erledigte die Frauenstimme. „Jetzt übernehme ich."
 
Ich drehte den Kopf und da war sie. Die, zu der die Stimme gehörte. Sie kam hinter der Bar hervor, die neben der Tanzfläche in der Ecke lag. Seelenruhig schritt sie über die Scherben auf dem Boden hinweg und kostete den Moment ihres Triumphes aus.
 
Sie war anders als ich sie mir vorgestellt hatte. Zwar hatte ich mir kein genaues Bild ausgemalt, trotzdem widersprach sie meinen Vorstellungen von einer selbstsicheren, weltgewandten Frau. Doch im Gegensatz zu ihrer festen Stimme waren ihre Erscheinung eher trist. Sie war mindestens ein Kopf kleiner als die Männer und damit einen halben Kopf kleiner als ich. Ihre braunen Haare hatten einen langweiligen Haarschnitt, selbst ihre Kleidung war so unauffällig wie sie es nur sein konnte. Sie bestand aus einer Jeans, einem verwaschenen, dunkelblauen T-Shirt, Sneakers und einer grauen Jacke. Ihr Gesicht war alles andere als markant. Ein Gesicht, das sofort in der Menge unterging und trotzdem ein Gesicht, das ich niemals vergessen würde.
 
Vor mir blieb sie schließlich stehen. Ihre Körperhaltung war von Wut durchzogen, doch ich ließ mich von ihrem aufgesetzten Selbstbewusstsein nicht beeindrucken. „Ich habe lange auf diesen Moment gewartet", meinte sie, „Wissen Sie wer ich bin?"
 
„Ich fürchte nicht. Da sind Sie mir voraus."
 
Die Frau nahm sich einen kaputten Stuhl und setzte sich mir gegenüber. Sie war jung. Ich schätzte sie gerade mal auf etwas über Zwanzig. „Oh, ich bin Ihnen in so vielem voraus, Jordan. Sie haben mich unterschätzt, was?"
 
Sie lächelte und ich biss die Zähne zusammen. „Wird nie wieder passieren."
 
„Tja, diese kluge Erkenntnis bringt Ihnen nur nichts. Es wird kein nächstes Mal geben. Für Sie wird es nicht mal einen nächsten Tag geben."
 
Ich zeigte nicht die von ihr gewünschte Reaktion, also rückte sie ein Stück näher. Meine Fassade war dick, selbst wenn ich nur mühselig das Verlangen unterdrücken konnte, verzweifelt an den Fesseln zu zerren.
 
„Sie werden sterben, Jordan. Hier. Daran können Sie nichts ändern. Aber vielleicht wie lange und wie angenehm Ihr Tod sein wir. Wir hätten hier zum Einen die humane Möglichkeit." Ohne nach hinten zu schauen, streckte sie die Hand aus und einer der Männer legte ihr meine Beretta in die Hand. „Entweder ich werde Sie mit Ihrer eigenen Pistole erschießen oder ich nehme die anderen, weniger humanen Möglichkeiten. Und ja, es gibt viele davon. Ich weiß, ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich kann wirklich unangenehm werden."
 
So gut es ging, lehnte ich mich auf dem Stuhl zurück. „Hey, das ist eigentlich mein Text", sagte ich leichthin und überspielte erfolgreich meine Anspannung, „Glauben Sie wirklich, dass mich das einschüchtert? Wissen Sie eigentlich, wie viele Todesdrohungen ich schon bekommen habe? Und wie viele schon versucht haben, mich umzubringen?"
 
Okay, das waren nicht annähernd so viele, wie man vielleicht dachte, da niemand wusste, wer genau Jordan war. Einen Geist konnte man nicht sehen und ihn dadurch auch schlecht töten.
 
Sie wusste das allerdings nicht und ich sah wie sie die Wut unterdrückte, weil ihre Drohung scheinbar nicht fruchtete. „Dann werde ich wohl die Erste sein, die Erfolg hat. Es gibt immer ein erstes Mal. In diesem Fall ist es gleichzeitig das letzte Mal." Sie rückte den Stuhl noch ein wenig näher an meinen heran. „Ich versuche es trotzdem immer erst mit der freundlichen Variante", fuhr sie fort, „Also entweder Sie sagen mir alles, was ich wissen will, oder ich werde Sie so lange foltern, bis Sie grausam verrecken. Und glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, dass das sehr, sehr lange sein wird. Ich bin Krankenschwester, ich weiß, wie man Menschen am Leben hält."
 
Ich glaubte ihr und musste zugeben, dass das tatsächlich äußerst unangenehme Aussichten waren. Doch ich riss mich zusammen und zuckte nur mit den Schultern. „Kommt ganz auf die Fragen an."
 
Die Frau schnaubte. „Ich glaube, Sie haben immer noch nicht begriffen worum es hier geht. Ich weiß alles über Sie, Jordan."
 
Ich lächelte arrogant. „Wenn das tatsächlich so wäre, müssten Sie mich nichts mehr fragen, oder?"
 
Ihre Nasenlöcher bebten. Sie stand auf und ging einige Schritte, um sich zu beruhigen und Zeit zu haben, das Verlangen, mich gleich zu erschießen, niederzukämpfen. Kurz sah sie zur Decke und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, hatte sie ihre Ruhe zurückerlangt, was mich beunruhigte. Man konnte sich nur so schnell beruhigen, wenn man noch einen Trumpf in der Hand hatte.
 
Als sie auf ihren Platz zurückkehrte, funkelte in ihren Augen nur noch der blanke Hass. „Na schön. Vielleicht hilft es wenn ich mich erst mal vorstelle." Sie machte eine Kunstpause. „Mein Name ist Lucy Heavens und ich habe Ihre Freunde umgebracht", spielte sie ihr Ass aus.
 
Leider funktionierte es. Ich ballte meine Fäuste und sie hatte meine volle Aufmerksamkeit.
 
Das merkte auch Lucy. „Schön, jetzt da Sie mir endlich zuhören, können wir ja anfangen. Es ist einfach. Ich frage, Sie antworten. Vielleicht bekommen Sie ja dann auch das, weshalb Sie hergekommen sind. Oder zumindest einen Teil davon."
 
„Und das wäre?", fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
 
„Antworten", entgegnete sie, „Sie wollen wissen, warum ich sie umgebracht habe. Und Sie sind hergekommen, um sich an mir zu rächen. Aber das muss ich Ihnen leider verwehren." Sie zuckte mit den Schultern.
 
Sie war gut. Sie hatte alles bedacht, alles vorausgeplant.
 
„Fangen wir an. Die erste Frage. Sagt Ihnen mein Nachname etwas?"
 
„Nein", antwortete ich wahrheitsgetreu, „Noch nie gehört."
 
Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. „Dann werde ich Ihrem Gedächtnis mal auf die Sprünge helfen." Sie schnipste mit den Fingern und ein Mann brachte einen grauen Kasten und stellte ihn neben ihrem Stuhl ab.
 
Ich konnte in dem dämmrigen Licht nicht erkennen, was es war. Erst als er es neben meinem Stuhl abgestellt hatte, ahnte ich, was kommen würde. Gequält schloss ich die Augen. Der Kasten war ein tragbarer Generator und war etwas größer als eine Umzugskiste. Daran war eine Konstruktion Marke Eigenbau angeschlossen. Ein Metallstab, dessen Ende mit Gummi oder Plastik umwickelt worden war, fungierte als Griff. Durch die Stange würde später vermutlich der Strom fließen und ich war mir sicher, dass der Generator umgebaut und an diesen speziellen Nutzen angepasst worden war.
 
„Sie haben mich angelogen", sagte Heavens und es hörte sich fast so an, als würde sie sich darüber freuen.
 
Ich erwiderte nichts darauf. Sie hatte nur darauf gewartet, dass ich etwas Falsches sage; sie wollte mir wehtun. Und ich würde nicht betteln und ihr immer wieder versichern, dass ich mich wirklich nicht erinnerte. Zumindest wusste ich jetzt, dass wir eine gemeinsame Vorgeschichte haben mussten.
 
Ein leises Surren erfüllte den Raum als sie den Kasten anschaltete. Langsam, beinahe genüsslich, kam sie auf mich zu und schob den Ärmel meiner Jacke nach oben, sodass meine nackte Haut zum Vorschein kam. Dann berührte sie mich mit dem Metall und in meinen Fingern begann es zu kribbeln. Es gab Menschen, die leichte Stromstöße als angenehm empfanden, aber für mich war schon das unbehaglich.
 
„Das ist nur ein winzig kleiner Vorgeschmack", meinte Lucy und nahm ihn wieder weg, „Ich gebe Ihnen also noch eine Chance. Kennen Sie Ronald und Molly Heavens?"
 
Ich schluckte, da ich wusste, was gleich kommen würde. „Nein", sagte ich trotzdem.
 
Eine weitere Welle von Wut wallte in ihr auf und sie griff nach dem Kasten und verstellte etwas. Im nächsten Moment, in dem sie mich wieder mit dem Stab berührte, verkrampften sich meine Muskeln schmerzhaft. Es fühlte sich an, als hätte ich einen Krampf. Mein Arm bog sich unfreiwillig und die Fesseln schnitten in meine Handgelenke. Dann entspannten sie sich schlagartig wieder und ich atmete erleichtert aus.
 
„Sie waren meine Eltern", erzählte Lucy mit zitternder Stimme, „Und Sie haben Sie ermordet! Erinnern Sie sich?"
 
Ich schloss die Augen. Natürlich. Molly und Ronald Heavens. Ihre Gesichter erschienen vor meinem geistigen Auge und jetzt erkannte ich durchaus eine Ähnlichkeit. Ich ärgerte mich, dass sie mir nicht gleich eingefallen waren. Sie waren damals zwei winzige Zahnräder in der Maschinerie meiner Organisation gewesen. Das Ehepaar war an der Überführung von gestohlenen Kunstgegenständen beteiligt gewesen. Fahrer, die die Kisten eigentlich unauffällig an einen sicheren Ort bringen sollten, doch stattdessen hatten sie versucht, mich zu bestehlen. Ich hatte sie persönlich ausfindig gemacht und sie kurzerhand erschossen. Das war gewesen, kurz nachdem meine Mutter umgebracht worden war. Gott, war ich in dieser Zeit wütend gewesen. Auf alles und jeden.
 
Jetzt war es also so weit. Meine Vergangenheit holte mich ein.
 
Schuldbewusst seufzte ich. „Was wollen Sie von mir hören, Lucy? Ja, ich habe Ihre Eltern umgebracht und es–"
 
Doch sie ließ mich nicht ausreden. „Ich will keine Entschuldigung von Ihnen!", brüllte sie auf einmal und rammte mir das Metallende an die Wange.
 
Meine Zähne schlugen aufeinander und mein Kiefer spannte sich so sehr an, dass es wehtat. Unfähig zu atmen, hielt ich einfach nur stumm die Schmerzen aus. Als sie nach einer gefühlten Ewigkeit von mir abließ, holte ich rasselnd Luft und sackte erschöpft in dem Stuhl in mich zusammen. „Es ist unentschuldbar, ich weiß", brachte ich zwischen zwei Atemzügen hervor. Es wäre einfacher, es zu leugnen. Einfacher, sagen zu können, dass ich das nicht gewollt hatte. Dass es ein Unfall gewesen war. Aber das wäre gelogen gewesen und ich wollte nicht lügen.
 
Lucy wandte sich von mir ab. Als sie sich wieder umdrehte, schimmerten Tränen in ihren Augen. „Warum?", wollte sie wissen.
 
Ich senkte den Blick. „Weil ich damals jung und dumm und wütend war. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich mir dem Ausmaß meiner Tat nicht bewusst gewesen bin, aber das war ich–"
 
„Sie haben doch keine Ahnung!"
 
Wieder sah ich sie an. „Ach nein? Meine Mutter wurde ebenfalls umgebracht. Im selben Jahr. Der Mörder wurde nie gefunden und ich habe nie erfahren, warum sie umgebracht wurde. Die Unwissenheit quält mich jeden Tag und ich kann gut nachvollziehen, dass Sie mir wehtun wollen. Ich würde es mit dem Mörder meiner Mutter vermutlich genauso machen."
 
„Aber wenn Sie es wissen, warum haben Sie es dann getan?", weinte sie.
 
Ein Klos bildete sich in meinem Hals. „Ich weiß es nicht", flüsterte ich. Ich hatte damals eine unglaubliche Wut auf alles und jeden gehabt und sie an jedem ausgelassen, der sich mir in den Weg gestellt hatte. Ich hatte das Gefühl gehabt, von der ganzen Menschheit enttäuscht zu werden, also hatte ich die Menschen enttäuscht, indem ich mich so unmenschlich wie möglich verhalten hatte.
 
„Lucy, es tut mir leid. Wirklich. Ich–"
 
„Halten Sie den Mund!"
 
Sie verpasste mir einen weiteren Stromschlag. Die Krämpfe wurden langsam aber sicher unerträglich und es kostete mich immer mehr Kraft, sie auszuhalten.
 
„Hören Sie auf damit, so reumütig zu sein. Wir alle kennen Ihr wahres Gesicht, Jordan. Sie sind eine Kriminelle. Es interessiert Sie nicht, wer bei Ihren Geschäften zu Schaden kommt. Hauptsache es springt genug Gewinn für Sie heraus. Ich will Ihre falschen Entschuldigungen nicht hören. Ich will, dass Sie dafür büßen!"
 
Noch einmal erhöhte sie die Spannung und wieder floss der Strom durch meine Adern. Meine Muskeln wurden steinhart und als sie endlich wieder von mir abließ, hatte die Elektrizität mir meine letzte Kraft geraubt. Nur noch die Kabelbinder hielten mich auf dem Stuhl und mein Kopf lag schlaff auf der Rückenlehne auf.
 
Lucy Heavens beobachtete mich zufrieden. Die Trauer war verschwunden und übrig geblieben war nur Verachtung.
 
„Wissen Sie, Jordan. Es war nicht einfach, an Sie heranzukommen. Ich habe jahrelang nach Ihnen gesucht, aber Sie sind wirklich gut, das muss ich Ihnen lassen. Bis mir jemand Ihren wahren Namen angeboten hat. Im Gegenzug dazu sollte ich Sie umbringen." Sie lächelte. „Ich habe sofort angenommen und konnte es nicht glauben, als ich Sie das erste Mal gesehen habe. Sie sind jung, attraktiv und steinreich. Die ganze Welt wäre Ihnen offen gestanden und Sie rennen stattdessen herum und bringen Leute um. Sie sind widerlich und Ihr hübsches Gesicht kann das nicht für immer verstecken. Aber die Welt wird erfahren, wer Sie wirklich waren, keine Sorge. Genau wie Ihre Freunde und Ihre Familie."
 
Vielsagend zog ich Luft durch meine Nase ein, war aber zu schwach um etwas zu sagen.
 
Lucy reichte meine Reaktion. „Was denn? Wollen Sie mir jetzt etwa erzählen, dass Ihre Familie nichts damit zu tun hat und ich sie in Ruhe lassen soll? Tja, dumm nur, dass mir das egal ist." Sie ging einige Schritte um ihre Worte wirken zu lassen. „Ich habe Sie beobachtet, Jordan. Ich kenne Ihr Umfeld und ich weiß, wie viel Ihnen Ihre Familie bedeutet. Ihr Bruder Chase Everton ist ein netter Mann. Ich war ein, zwei Mal bei ihm in der Bar. Habe natürlich vermieden dort zu sein, wenn die Schläger des Herrschers aufgetaucht sind. Eigentlich hat er das nicht verdient. Schließlich kann er nichts dafür, dass seine kleine Schwester ein Miststück ist."
 
Sie setzte sich wieder auf ihren Stuhl und ich spürte, wie dieses Mal in mir die Wut zu brodeln begann.
 
Heavens legte den Kopf schief. „Wollen Sie wissen, wie ich es getan habe? Das alles?" Sie lehnte sich nach vorne und stützte sich mit ihren Unterarmen auf ihren Knien ab. „Natürlich wollen Sie es wissen. Deshalb sind Sie schließlich hergekommen."
 
Der Metallstab schwebte kurz über meinem Oberschenkel und ich schaffte es nicht meinen Blick davon loszureißen.
 
„Nachdem ich wusste, wer die wichtigsten Menschen in Ihrem Leben sind, habe ich mir den Rest ausgedacht. Das mit den Tarot-Karten war nett, was? Und das mit dem Stadtplan und dem X? Das haben Sie bestimmt auch schon rausbekommen. Vor allem die Karten waren eine so gute Idee, dass sogar mein Sponsor sich nach einer benannt hat. Sie haben es schon erraten, oder? Der Herrscher war begeistert davon, dass ich Sie vorher ein wenig quälen wollte. Es war nicht schwer, herauszufinden, dass Sie Angst davor haben, aufzufliegen. Das ist Ihr größter Albtraum, richtig? Dass Ihre Familie und die Menschen durch Ihre Taten zu Schaden kommen. Deshalb verstecken Sie sich hinter einem Decknamen. Und soll ich Ihnen etwas versprechen? Ich werde diesen Albtraum wahr machen. Wenn Sie tot sind, werde ich auch noch den Rest Ihrer Freunde und Ihre Familie umbringen. Das Beste hebt man sich bekanntlich bis zum Schluss auf und Sie werden rein gar nichts dagegen tun können."
 
Jetzt riss ich mich doch von dem Metallstab los und sah sie an. Mein Blick wurde stechend und ich wünschte mir, dass wir die Rollen tauschen könnten. Nur würde ich sie eigenhändig erwürgen.
  
„Ich habe mit Ihrer rechten Hand angefangen", fuhr sie ungerührt fort, „Jordans Pitbull, wie er auf der Straße genannt wurde. Ich muss zugeben, dass ich ihn nicht selbst umgebracht habe. Ich hatte ein wenig Hilfe von den reizenden Männern hinter mir. Shaw machte seinem Spitznamen alle Ehre, glauben Sie mir. Wir hatten wirklich Probleme, ihm das Beruhigungsmittel zu verabreichen. Sie hätten ihn sehen sollen als er sabbernd auf der Ladefläche des Pickups lag, von dessen Dach wir ihn später auf die Metallspitzen gespießt haben."
 
Sie kicherte und mein Magen zog sich zusammen.
 
„Ich denke, Sie haben die Nachricht von „Krieg der Schatten" verstanden. Die Botschaft war allerdings von dem Herrscher an Sie. Ich selbst habe nur die Nachricht von seinem Handy an Sie geschrieben. Meinen ersten Mord habe ich in der Wohnung Ihrer Freundin Catalina begangen. Ich hoffe, Sie nimmt es nicht all zu schwer, dass sich ihr Freund an diesem Tag mit ihr verloben wollte."
 
Sie zuckte mit den Schultern, aber ich sah einen winzigen Funken von Mitgefühl. Genau wie meine Brüder hatte Cole nichts dazu gekonnt, dass er in gewisser Weise mit mir in Verbindung stand. Er hatte sich nur in die falsche Frau verliebt. Und das wusste sie. Er war ein genauso unschuldiges Opfer gewesen wie sie eines gewesen war.
 
„Und dann wollte ich mir eigentlich noch Jordans linke Hand, Kate DeLeón, vornehmen. Sie haben ja keine Ahnung wie überrascht ich war, zu erfahren, dass Sie ein und dieselbe Person sind. Man nennt sie, passend zu Shaw, den Schäferhund. Wegen Ihrer Loyalität." Wieder kicherte sie. „Das gibt dem Spruch »sich selbst treu bleiben« eine ganz neue Bedeutung."
 
Ich fand das alles andere als lustig und konnte kaum fassen, wie unverschämt es war, in so einer Situation zu lachen und sich über sein eigenes Wortspiel zu amüsieren. Meine Fingernägel krallten sich in das alte Holz des Stuhls und Splitter bohrten sich in meine Haut. Doch der Schmerz half mir, nicht loszubrüllen und auf sie losgehen zu wollen.
 
Es war so lächerlich. Wegen eines Fehlers, den ich vor Jahren begangen hatte, mussten so viele Menschen sterben. Nur weil ich damals Ronald und Molly Heavens umgebracht hatte. Ihre Tochter Lucy hatte die ganzen Jahre über nach mir gesucht und als der Herrscher ihr angeboten hatte, ihr meinen Namen im Tausch gegen meinem Tod zu geben, hatte sich das wunderbar mit ihren Racheplänen gedeckt. Sie hatte angefangen mich zu überwachen und mein Umfeld ausspioniert um meinen schlimmsten Albtraum wahr werden zu lassen und mich letztendlich hier her zu locken.
 
„So, jetzt haben Sie, weshalb Sie hergekommen sind", meinte Lucy, „Aber ich versichere Ihnen, dass der Tod Ihrer Familie lange nicht so schmerzhaft sein wird wie der Ihre."
 
Meine Augen zuckten erst zu der Metallstange, dann zu meiner Waffe, die unter ihrem Stuhl lag.
 
Heavens lachte. „Was? Haben Sie mir ernsthaft geglaubt, dass ich Sie schnell und schmerzfrei umbringen würde, wenn Sie meine Fragen beantworten? Ich habe Sie für klüger gehalten."
 
Der nächste Stromschlag war heftiger als alle anderen und wieder sackte ich in mich zusammen, als sie von mir abließ. Mein Kopf war auf meine Brust gesunken. Ich hatte keine Kraft mehr, ihn aufrecht zu halten. Ich versuchte etwas zu sagen, aber die Haltung machte es mir unmöglich, weshalb ich nur unverständlich vor mich hin nuschelte.
 
„Was?", fragte Lucy und im nächsten Moment wurde mein Kopf an dem Pferdeschwanz nach oben gerissen, „Wollten Sie etwas sagen?"
 
„Sie haben sich geirrt", murmelte ich. Selbst meine Zunge war schwer.
 
„Wie bitte?" Ungläubig runzelte sie die Stirn, doch sie war eher amüsiert als verunsichert.
 
Ich nahm meine letzte Kraft zusammen, hob den Kopf und sah sie an. „Es gibt zwei Dinge, in denen Sie sich geirrt haben, Lucy."

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