Krieg der Schatten | 3

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Der Vernehmungsraum war kalt und ungemütlich. Doch es war auch nicht Sinn der Sache sich hier wohl zu fühlen. Viel mehr sollte man sich hier bedroht und ausgeliefert fühlen, damit man auspackte und sang wie ein Vögelchen. Ich fühlte mich weder bedroht, noch ausgeliefert. Höchstens ein wenig unwohl, aber das lag nicht an dem Raum oder an meiner Situation. Ich wusste, dass mir niemand irgendetwas nachweisen konnte. Und vor allem war ich unschuldig. Zumindest bei diesem Mord.
 
Es war das Bild von Evan, das immer vor meinem geistigen Auge auftauchte, wenn ich die Augen schloss. Und das Bild meiner toten Mutter. Ich hatte Fotos gesehen und Evans Tod erinnerte mich seltsamerweise an ihren Mord. In der Zwischenzeit hatte ich mich wieder eingekriegt und den Schock einigermaßen verdaut. Trotzdem waren die Trauer und die Wut geblieben. Aber ich hatte genug Zeit gehabt sie in den Griff zu bekommen, da ich inzwischen seit Stunden hier drin saß.
 
Endlich ging die Tür auf und der Mann von vorhin, der das Ruder in der Hand zu haben schien, kam herein. „Supervisory Special Agent Ross Kingston", stellte er sich vor und schüttelte mir die Hand. „Es tut mir leid, dass wir Sie solange warten lassen musste, Miss Everton."
  
„Kein Problem." Gelogen.
 
Er setzte sich mir gegenüber und legte vor sich seinen Notizblock und Stift ab. „Erstmal herzliches Beileid zu Ihrem Verlust."
 
„Danke."
 
Dann stellte er mir die gleichen Fragen wie Vincent vorher. Ich erzählte ihm das Gleiche, nur in etwas anderen Worten.
 
„Wie stehen Sie zu Agent Nash?", erkundigte er sich dann.
 
„Wir sind Freunde. Ich habe ihn vor einigen Monaten im Smith's getroffen und seitdem gehen wir öfter etwas zusammen trinken."
 
„Sie wussten, dass er für das FBI arbeitet?"
 
„Ja."
 
„Seit wann?", hakte er nach.
 
„Seit er mir davon erzählt hat."
 
„Und wann genau war das?"
 
Was sollte die Frage? Wollte er wissen ob ich mich nur mit ihm angefreundet hatte um an Informationen zu kommen?
 
Ich hob die Augenbrauen als wäre ich leicht überfordert und dachte kurz nach. „Bei unserem zweiten Treffen, glaube ich. Warum?"
 
Agent Kingston überging meine Frage. „Haben Sie ihn mal nach einem Fall gefragt?"
 
Ich lachte nervös. „Ja, natürlich. Ich meine, wann trifft man schon mal einen FBI-Agenten? Natürlich war ich neugierig und habe gefragt. Aber als er mir sagte, dass er nichts darüber erzählen dürfte, habe ich nicht mehr nachgefragt."
 
Der Agent nickte, notierte sich etwas und sah mich wieder an.
 
Eine kleine Pause entstand, in der er mich eingehend musterte. Ich hatte schon eine Vermutung warum er mir gegenüber so skeptisch war. „Entschuldigen Sie die Anmerkung, Miss Everton, aber Sie sehen nicht so aus als würde Sie der Tod Ihres Freundes sehr mitnehmen."
 
Ich senkte den Blick und zuckte mit den Schultern. „Jeder geht anders mit Trauer um. Dass ich das nicht offen zeige, heißt noch lange nicht, dass es mich nicht mitgenommen hat." Etwas Wut mischte sich in meine Stimme. Es ärgerte mich, dass er mich durchgehend beschuldigte. Unter normalen Umständen würde ich mir das nicht anmerken lassen, aber es waren keine normale Umstände. Es war glaubwürdiger, wenn ich mich darüber aufregte. „Wenn Sie mir deswegen etwas vorwerfen wollen, dann..."
 
„Das tue ich nicht, Miss Everton", unterbrach er mich beschwichtigend, „Ich muss das fragen."
 
„Sie sagten, dass Sie lediglich Freunde waren. Nicht mehr", wechselte Kingston das Thema, „Warum hat sie Mr. Shaw dann als Kontaktperson für Notfälle angegeben?"
 
Überrascht sah ich ihn an. Das war meine erste ehrliche Reaktion. „Das wussten Sie nicht?"
 
„Nein", antwortete ich.
 
„Warum könnte er das getan haben, wenn Sie beide nur Freunde waren? Normalerweise gibt man seine Familie oder den Ehepartner bei solchen Dingen an. Oder die Freundin."
 
Er beobachtete mich aufmerksam, während ich schnaubte, als würden seine ständigen Anschuldigungen mich ärgern. „Wie ich bereits sagte, wir waren nur Freunde", zischte ich.
 
„Warum hat er dann ausgerechnet Sie als Kontaktperson und als nächste Angehörige eingetragen?", fragte Kingston jetzt eine Spur schärfer.
 
Ich warf die Hände in die Luft. „Ich habe doch keine Ahnung. Vielleicht weil ich die einzige war, die er noch hatte. Er hatte keine Familie, keine Frau und keine Freundin. Ich war die einzige, der er etwas näher stand."
 
Ross Kingston nickte. „In Ordnung. Eine letzte Frage noch. Wissen Sie ob Evan Shaw Kontakt zum organisierten Verbrechen hatte?"
 
„Gott, nein. Nicht, dass ich wüsste." Erschöpft stützte ich meinen Kopf auf meiner Hand ab und massierte mir die Schläfe.
 
Wieder schrieb er sich etwas auf, dann klappte er seinen Notizblock zu und stand auf. „Das war dann alles. Vielen Dank für Ihre Kooperation."
 
„Agent Kingston."
 
Er sah mich an.
 
Ich schluckte. „Hat Evan sehr leiden müssen?"
 
Er zögerte für eine Sekunde. Das war mir Antwort genug. Er war also noch am leben gewesen, als man ihn aufgespießt hatte. „Ja", sagte er dann.
 
Ich ließ mich zurück in meinen Stuhl sinken. „Danke für Ihre Ehrlichkeit."

Criminal - Krieg der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt