24.

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Der Weg ins Krankenhaus gestaltete sich schwieriger als gedacht, ich war total in Gedanken und enttäuscht von Marco. Nicht nur, dass unsere Mutter nicht mal an das Telefon ging obwohl es ihrem Sohn schlecht ging sondern auch, dass Marco mich davon abhalten wollte auch ins Krankenhaus zu fahren regte mich unglaublich auf. Obwohl die Wut nur so in mir brodelte, schluckte ich alles herunter, denn sie würde mir nicht dabei helfen für Lennard da zu sein und er war mir dann doch am wichtigsten. 

Als der Verdacht des Kreuzbandrisses sich dann auch noch bestätigte, brach eine Welt für Lennard zusammen. Er würde direkt morgen operiert werden, das heißt sobald die Schwellung auch genug zurück gegangen war und dafür wird extra ein besonderer Sportarzt eingeflogen. Lennard hatte einen total zerstörten Blick seit der sicheren Diagnose und wurde plötzlich ganz ruhig und zurückgezogen. Für ihn wäre es wirklich besser gewesen, wenn Marco auch da gewesen wäre. Er hatte schließlich genug Erfahrung und war doch immerhin das beste Beispiel, dass es immer weiter gehen würde, auch nach Verletzungen. Nachdem die Stille den Raum so sehr einnahm, dass es unangenehm wurde, verließ ich wortlos den Raum. Inzwischen war es total dunkel und spät. Hundemüde suchte ich nach einem Kaffeeautomaten und lehnte mich an ihn, während das Heißgetränk langsam in den Becher floss. "Wo ist er?" fragte mich plötzlich die Stimme meiner Mutter gestresst und hysterisch. Ich dachte ich hatte es mir durch die nur Müdigkeit eingebildet und schaute mich zur Sicherheit noch einmal um. Doch es war wahr. Meine Mutter stand vor mir und schaute mir eindringlich in die Augen, bevor sie sich meinen Kaffeebecher aus dem Automaten schnappte und vorsichtig daran nippte. Ich zog meine Augenbrauen hoch und verschränkte meine Arme vor der Brust: "Wo warst du bitte den ganzen Tag?" fragte ich sie leise, aber wütend. "Arbeiten." antwortete sie einfach nur. Wie immer. Ehrlich gesagt fiel mir in diesem Moment erst auf, dass ich gar nicht genau wusste, wo sie hier in Dortmund überhaupt arbeitete. Ich rümpfte meine Nase: "Du hast es eigentlich gar nicht verdient ihn zu sehen." "Wie bitte? Ich war arbeiten um euren Lebensunterhalt sichern zu können!" bugsierte meine Mutter sich. Auf Grund unserer morgendlichen Unterhaltung an diesem Tag ignorierte ich sie: "Den Flur Runter. Zimmer 57." sagte ich also bloß kurz angebunden und investierte weitere zwei Euro in den Automaten. Als dieser dann jedoch rot aufblinkte, ich keinen Kaffee bekam und dann auch noch mein Geld in ihm verschwand trat ich wütend dagegen. Konnte dieser Tag eigentlich noch schlimmer werden? Mich hätte wahrscheinlich sogar ein zwitschernder Vogel in diesem Moment genervt. Nachdem ich mich also kurz abreagierte, lief ich genau wie meine Mutter wieder zu Lennards Zimmer und lauschte an der Tür. Als ich ihn weinen hörte rutschte mir mein Herz in die Hose. Warum traute er sich denn nicht bei mir zu weinen? Irgendwie war verletzte es mich. Schließlich war ich diejenige die den ganzen Tag über an seiner Seite stand. Zum Glück hatte ich zuvor meine Handtasche schon mitgenommen. Es war mitten in der Nacht und Zeit zu gehen. Zum Glück war heute Samstag und ich hatte morgen frei. Angekommen im Auto warf ich meine Tasche auf den Beifahrersitz und verharrte eine Weile mit dem Kopf auf meinem Lenkrad um den Tag verarbeiten zu können. Erst dann startete ich den Motor und fuhr los. In meinem Kopf schwirrte aber so sehr ich es mir auch wünschte nicht nur Lennard. Ich hatte das Gefühl Marco falsch behandelt zu haben. Vielleicht hatte er einfach genug von Krankenhäusern oder war müde oder wollte wirklich nur gutes für mich, aber wer konnte mir das schon sagen außer er selbst?
Ich wusste nicht was mit mir los war. Eigentlich war ich niemand, der auf Konfrontationen stand. Trotzdem beschloss ich kurzerhand und trotz der späten Uhrzeit, zu ihm zu fahren. Er würde zwar bereuen mir gezeigt zu haben wo er wohnte , aber das war mir egal. Schlafen könnte ich zuhause sowieso nicht. Vor allem nicht, wenn niemand da war. Ich hasste es alleine zu sein und eigentlich war ich das auch nie. Nachdem ich endlich einen Parkplatz fand schaute ich mir um, fand nicht direkt das richtige Haus, aber nach ein paar Extrametern und luxuriösen Autos war ich mir ziemlich sicher es gefunden zu haben. Anstatt zu klingeln, rief ich ihn kurzerhand an. Es Tutete etwas länger als gewöhnlich, bis er meinen Anruf endlich annahm und man zunächst nur ein lautes Rascheln hörte. "Stehst du vor meiner Tür?" hörte man ihn dann nach geschlagenen drei Minuten. Ich nickte in Gedanken vertieft, bis ich bemerkte, dass er es ja gar nicht sehen konnte und antwortete also dann mit einem leisen: "Ja, machst du sie mir auf?" Er legte auf und in der ganz oberen Wohnung gingen gleichzeitig die Lichter an. Erleichtert atmete ich wenigstens etwas auf. Mein Herz schlug kräftig gegen meine Brust, als würde es ihm gleich entgegen springen, als sich der Türdrücker meldete und ich bis ganz nach oben stapfte. Noch nie war ich in seiner Wohnung. Irgendwie hatte ich Respekt davor, schließlich war es etwas ganz privates. Marco lehnte schon im Türrahmen als ich seine Wohnung erreichte. Er war nur in Jogginghose gekleidet, stand oberkörperfrei da und es machte mich irgendwie noch nervöser. "Hast du schon geschlafen?" fragte ich und biss mir unruhig dabei auf die Unterlippe. Er nickte lächelnd: "Ist aber nicht schlimm. Komm rein." Als er hinter mir die Tür schloss, fühlte sich sein Blick so an, als würde er mich gleich damit durchlöchern wollen. Langsam zog ich meine Jacke und Schuhe aus und versuchte durch tiefes Ein und Ausatmen meine Nerven unter Kontrolle zu bringen. "Warst du noch im Krankenhaus?" fragte Marco plötzlich leise. Ich drehte mich zu ihm um und nickte ganz langsam: "Kreuzbandriss. Lennard wird morgen operiert. Als meine Mutter dann kam bin ich gefahren, habe mich irgendwie über gefühlt." gab ich zu. Marco nickte verständnisvoll, als er langsam näher kam. "Ich wollte dich eigentlich auch nicht wecken. Ehrlich gesagt wusste ich nicht wohin mit mir. Ich hasse es alleine zu sein und ich wollte mich entschuldigen für heute Nachmittag. Ich war voll die Furie." plapperte ich daraufhin los. Er zog mir wortlos gegen seinen nackten Oberkörper und schloss mich somit in eine liebevolle Umarmung. Seine rechte Hand streichelte derweil über meine Haare: "Ich bin nicht sauer. ich verstehe dich sogar. Eigentlich sollte ich mich eher entschuldigen." Ich schüttelte direkt meinen Kopf, bevor ich mich in seine Halsbeuge kuschelte und die Umarmung richtig zuließ. Eine fette Gänsehaut überzog meinen ganzen Körper und der Geruch eines Sportduschgels stieg in meine Nase. Ich löste mich reflexartig so von ihm, dass ich ihm in die Augen schauen konnte und lächelte. Ein wenig perplex beobachtete er mich, musste dann aber auch lächeln. Ich konnte nicht anders und legte meine Lippen vorsichtig auf seine, sodass sie sich ohne Zeit zu verlieren im Einklang bewegten.

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