48.

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"Ich kann immer noch nicht glauben, dass ihr mich an meinem Geburtstag dazu überredet habt, mit euch in diesen Dekoladen nach Holland zu fahren." grummelte Lennard hinter Jenny und mir auf dem Rücksitz meines Autos. Wir hatten keine Ahnung, wie wir ihn aus dem Haus bekommen sollten. Unser letzter Schachzug war, dass er uns helfen musste zu schleppen. Die Deko für den Laden stand noch nicht ganz fest und eine männliche Meinung konnte in einem Sportshop niemals falsch sein. So hatten wir dann zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Nach unserem Einkauf, der größer ausfiel als gedacht, saßen wir in einem leckeren Restaurant in der Nähe des Clubs für den Marco und ich uns entschieden hatten. "Das gibt es doch nicht." grummelte Lennard schon wieder während er sich eine Pommes in den Mund schob und pfefferte sauer sein Smartphone auf den Tisch. Jenny und ich schauten ihn fragend an. "Alle, die ich frage ob sie Lust haben etwas zu starten wegen meinem Geburtstag, sagen ab." beschwerte er sich. Ich versuchte mir das Schmunzeln zu verkneifen. Jenny lächelte mir geheimnisvoll zu. "Heute ist doch alles komisch." meckerte er weiter: "Ihr zwei lauft völlig aufgetakelt durch die Weltgeschichte und ich durfte heute morgen nicht mal meinen Hoodie anziehen, sondern es musste das dunkelblaue Hemd sein. So langsam frage ich mich wo die versteckten Kameras sind." mein kleiner Bruder steigerte sich immer weiter in seinen Ärger hinein. Schnell musste ich das Thema wechseln, damit er nicht unser kleines Notlügengerüst zum Einsturz brachte. "Danke, dass du mitgekommen bist. Ansonsten hätte unser Shop wahrscheinlich eher den Geschmack der weiblichen Fraktion getroffen." schmunzelte ich und zwinkerte ihm zu. Lennard winkte ab: "Kein Ding, ich hatte heute eh nichts besseres zu tun." schmunzelte auch er nun, mit einem etwas ironischen Unterton in seiner Stimme, aber wer konnte es ihm verübeln. "Komm ich lade euch beide heute mal zur Feier des Tages ein." grinste ich also gut gelaunt, als der Kellner uns die Rechnung brachte. 
"Wir müssen hier her. Dein Auto steht doch in der Parkgarage da hinten." zeigte Lennard verdattert nach rechts, während Jenny und ich bereits ineinander eingehakt in die entgegen gesetzte Richtung von ihm liefen. Gleichzeitig drehten wir uns zu ihm, grinsten uns an und zogen ihn dann mit uns in Richtung Club. Dort war die Party schon im vollen Gang, wir hatten uns tatsächlich etwas verspätet. Lennard, der sich strickt dagegen Werte mit uns zwei Weibern hinein zu gehen, konnte ich nur mit meinen überragenden Überredungskünsten dazu bringen den Laden zu betreten. Schon bald wurde er an dem Tisch den Marco gemietet hatte gebührend empfangen. Es war vielleicht jetzt nicht die größte Überraschung, aber Lennard freute sich ungemein und umarmte mich stürmisch, bevor er sich mitten ins Getümmel stürzte. Auch Jenny spürte sofort ihren Mann auf. Ich hingegen musste die ganze Zeit nur an morgen denken. An die Ladeneröffnung und hoffte, alles würde klappen. Mein Kleid musste auch noch gebügelt werden fiel mir in diesem Moment wieder ein. Ich kaute auf meiner Lippe herum und versuchte mir vor meinem inneren Auge eine Checkliste zu erstellen, um ja nichts zu vergessen. Gerade, als ich mich wieder auf Lennards Party konzentrieren wollte, wurde mir ein Glas Wein unter die Nase gehalten. Meine Augen fokussierten plötzlich den wunderschönen Blondschopf, den ich bis vor kurzem noch meinen Freund nannte. Ich schaute ihn entschuldigend an: "Tut mir leid, ich trinke heute nicht, ich muss fahren." murmelte ich. Marco drehte sich kurzerhand zur Theke um und drückte mir ein Glas Cola in die Hand: "Dann trinke ich den." grinste er und stieß mit mir an. Ich musste Lächeln. Er schien glücklich zu sein, auch wenn die Bombe geplatzt ist und alle wussten er würde in ein paar Tagen nach England wechseln. Ich musste jeden Tag daran denken und fragte mich, ob er es auch getan hätte, wären wir noch zusammen oder ob er es genau deshalb tat, weil ich sein ganzes Leben hier auf den Kopf gestellt hatte? Ich fand keine Antwort auf meine Fragen. Am besten hätte er sie mir wohl beantworten können. Aber ihn einfach zu fragen? Das war zu einfach und unkompliziert für mich. Er ging schließlich immer noch davon aus, dass ich dachte er ziehe nur innerhalb von Dortmund um. Wie hatte er es sich denn vorgestellt? Wollte er einfach abhauen? Ohne etwas zu sagen? Ich wusste es nicht. Deshalb wollte ich mir auch nicht Lennards Geburtstag versauen lassen. "Komm wir gehen tanzen." schlug ich ihm vor, als ich Jenny beim abscannen des Clubs dort erkannte. Wenn man eins mit Marco konnte, dann war es tanzen. In mir kribbelte es immer noch wenn ich an die Premiere dachte, wo Marco einfach nach meiner Hand gegriffen hat, weil er als Kapitän mit mir die Tanzfläche eröffnen wollte. Schon lange hatte ich nicht mehr so gut getanzt und vor allem seit dem auch nicht mehr. Das war wahrscheinlich auch der Abend an dem alles hätte anders verlaufen können und wir wären eventuell einen anderen Weg gegangen. Das Tanzen mit ihm ließ ich mir also nicht entgehen. Ein letztes Mal, bevor er regelrecht aus Dortmund floh. Gut, dass man beim Tanzen nicht viel reden musste. Ich genoss es einfach und hoffte, dass er meine verstohlenen Blicke zu ihm herüber nicht allzu sehr bemerkte. Natürlich konnte ich sie nicht stoppen. Wie gerne würde ich ihn noch einmal neu kennen lernen. Ganz von vorne. Alles würde anders laufen. Gerade als unerwartet mein Lieblingslied lief, konnte ich nicht mehr an mich halten. Es lief gestern im Auto, als es unterbrochen wurde und ich von dem unsympathischen Radiosprecher von Marcos Transfer erfuhr. Ich starrte ihn an und blieb reglos stehen. Er schaute mich besorgt an. Alles in diesem Moment fühlte sich an, als wären wir in einer Blase. Die Musik war dumpf, unsere Freunde ausgeblendet. "Warum hast du mir nicht gesagt, dass du nach England gehst?" fragte ich ihn also doch. Ich sah, wie ihm sein Herz in die Hose rutschte. Er begann zu stammeln: "Ja, ich hatte es vor dir zu sagen. In Ruhe." kam daraufhin endlich aus ihm heraus. Ich zog meine Augenbrauen hoch: "Hast du deswegen mit mir Schluss gemacht?" fragte ich ihn also skeptisch. Es herrschte Stille zwischen uns während alles andere um uns herum weiter machte. Marco kratzte sich am Hinterkopf und seufzte. "Weißt du was? Du braucht gar nichts mehr sagen. Dann war es vielleicht wirklich am besten so. Aber du hättest mich nicht anlügen müssen. Ich war wirklich dabei mich zu ändern und dachte, wir würden vielleicht nochmal zueinander finden." warf ich ihm an den Kopf und verließ nicht nur die Tanzfläche sondern auch das Lokal. Ich hatte jetzt anderes im Kopf, besseres. Jetzt wusste ich die Wahrheit und konnte besser damit abschließen. Vor allem aber konnte ich mich nach Monaten endlich mal auf mich konzentrieren. Nicht auf Lennard, nicht auf meine Mutter, nicht auf irgendwelche Ex-Freunde sondern nur auf mich. Wann hatte ich dies das letzte Mal getan? Ich wusste es nicht. Es war aber mit Sicherheit der einzige Weg, wieder zu mir zu finden. Deshalb war ich nicht einmal wirklich enttäuscht.

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