Samstags im Signal Iduna Park. Erster Spieltag nach der Winterpause. Alles war wie zu erwarten rappelvoll. Nachdem meine Mutter und ich uns unwissend und auch ein wenig verloren durch die Menschenmassen drängelten, um die Sitzplätze extra für Spielerangehörige zu finden, wurden wir beinahe überrannt von wilden Meuten mit auffälligen schwarz gelben BVB Schals, Trikots, Jacken oder gar Schuhen. Es war etwas an das wir uns definitiv noch gewöhnen mussten, es gefiel mir dennoch irgendwie, es hatte nämlich etwas ganz besonderes an sich. Meine Mutter glich schon nach kurzer Zeit einer kleinen Vogelscheuche mit ihrem starren, verwirrten Blick und den völlig zerzausten Haaren, nachdem wir mitten durch die Menschenmassen durchliefen und beinahe von ihnen mitgerissen wurden. Mein erster Gedanke? Es war laut, anstrengend und roch nach Bier. Ich musste mir ein Schmunzeln echt verkneifen, als ich meine Mutter so beobachtete und sie mir einen total hilflosen Blick zu warf. Das hier war absolut nichts für sie. So schnell würde Lennard sie wohl nicht mehr ins Stadion kriegen, mich dafür aber umso mehr. Dagegen war unser Heimatstadion eine wahrhaftige Fußhupe. Ich hoffte bloß, mein kleiner Bruder konnte sich heute beweisen vor dem Verein und den Fans. Dieses Stadion, es überrumpelte uns definitiv so eindrucksvoll wie es war. Unter den Fans schien es um einiges spannender zu sein. Hier in dem gesonderten Bereich für Angehörige war es eher ruhiger. Zum Glück hatten wir ihn endlich, aber aus Zufall gefunden. Nicht auszudenken, wie es meiner Mutter sonst ergangen wäre. Aber jetzt erschien sie glücklich und beobachtete alles ganz genau und akribisch, wie sie es immer tat. Ein paar Frauen saßen ganz weit vorne am Rasen und trugen stolz ihre schwarz gelben Trikots mit unterschiedlichen Nachnamen. Ich hatte mir natürlich schon viel über Spielerfrauen durchgelesen und war deshalb umso interessierter, ob sie wirklich so hochnäsig waren, wie sie immer dargestellt wurden. Ob ich sie einfach mal ansprechen sollte? Ein paar neue Leute hier in Dortmund kennen zu lernen würde mir schließlich nicht schaden. Hinterher zeigte sich aber, dass ich sie nicht mal ansprechen brauchte um zu wissen, dass das was ich gelesen hatte die Wahrheit war. Zumindest bei einer von ihnen.
Das Lennard in seinem ersten Spiel direkt in der Startelf stand, das sollte schon etwas heißen. So weit wie ich es beurteilen konnte, war er sogar sehr gut und vor allem konzentriert. Mama und ich fieberten richtig mit. Es dauerte nicht lange, da war er derjenige der dem Reus die Flanke zum eins zu null zu spielte. Meine Mutter stand auf und klatschte stolz, wie eine Mutter eben so war. Ich tat es ihr gleich, damit es nicht so peinlich aussah. Nach und nach folgten die Anderen unserem Beispiel. Super, dass Lennard sich direkt so beweisen konnte. Es war echt spannend bis jetzt. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich eine große Schlanke Blondine in mitten der Spielerfrauen, die sich dazu erbarmte aufzustehen, aber nicht ohne noch einmal mehr oder weniger elegant ihre Haare über die Schulter geschmissen zu haben. Ich schüttelte augenverdrehend meinen Kopf. Langsam applaudierte sie auch und grinste total kühl nebenbei. Auf ihrem Trikot standen in fetten Großbuchstaben Reus. Scarlett hieß sie, auch über sie hatte ich schon etwas gelesen. Natürlich brauchte ich nicht mal eins und eins zusammen zu zählen und zu wissen, dass es die Freundin von Blondie war, die auch ein Blondchen zu sein schien. Ob ihre Haarfarbe echt war wusste ich aber nicht. Sie flüsterte ihrer brünetten Freundin etwas zu. Obwohl es interessant war, das alles beobachten zu können, war sie mir in diesem Moment nicht wichtiger als mein Bruder Lennard. Plötzlich geschah nämlich das selbe, bloß umgekehrt. Nun schoss Lennard das Tor durch Marcos perfekt zu gespielte Flanke. Voller Euphorie standen wir alle wieder klatschend auf während die zwei sich auf dem Feld in die Arme fielen. "Mensch Yve, Lennard der macht das richtig gut!" seufzte meine Mutter stolz, als ihre Anspannung endlich abfiel. Es war zuvor kaum auszuhalten mit ihr. Ich nickte: "Da gab es gar keine Zweifel." antwortete ich daraufhin. Mit einem strahlenden Grinsen nickte sie. Es war schön, sie so glücklich zu sehen. Eines schoss mir jedoch in den Kopf: Mit Sicherheit würden sich Lennard und der Reus gut miteinander verstehen, auch abseits vom Feld. Aber das würde ich auch noch überstehen, solange ich nicht mit seiner eingebildeten Kleiderstange reden musste. Obwohl ich Blondchen nicht kannte, fand ich sie schon von Grund auf unsympathisch und hatte das Gefühl, wir würden uns so gar nicht miteinander verstehen.
Dieses Gefühl bestätigte sich schon bald. Der Abpfiff ertönte. Ein paar der Spieler hasteten zu ihren Frauen die wie die Hühner auf der Stange und natürlich in dem selben Bereich wie meine Mutter und ich saßen und fielen ihnen um den Hals, als wären die Frauen es gewesen, die die Arbeit leisteten. Als ich Blondchen zusah, wie sie Blondie zu sich winkte wendete ich meinen Blick ab und schaute zu meiner leicht irritierten Mutter: "Schade, dass dieser Bereich direkt an das Spielfeld grenzt. Sonst wäre uns dieser Anblick mit Sicherheit erspart geblieben." bemerkte diese wie immer trocken und todernst. Ich schmunzelte während meine Augen das Feld nach meinem Bruder abscannten, aber da war nichts. Als ich das nächste mal wieder vor mir schaute, stand Blondie plötzlich direkt vor meiner Nase. Ein wenig erschrocken wich ich zurück. Nicht nur, weil der Geruch nach Schweiß mir nicht so bekam, sondern auch weil ich den Sinn dahinter nicht verstand. Hatte er mich etwa mit seiner Kleiderstange verwechselt, oder wie sollte ich das interpretieren? Ich bemerkte, wie einige in diesem Bereich uns komische Blicke zu warfen und fühlte mich ihnen hilflos ausgesetzt. Unwohl verschränkte ich meine Arme vor meiner Brust und schaute dem Fußballprofi tief in seine grün braunen Augen: "Was gibt's? fragte ich daraufhin provokativ. Er grinste kopfschüttelnd. Es machte mich nervös seinen Atem so auf meinem Gesicht spüren zu können und ich wurde wahnsinnig, als er dann nicht mal mit der Sprache herausrückte und die Blicke der Menschen um uns herum immer fragwürdiger wurden. Plötzlich räusperte er sich: "Darf ich dir das schenken?" fragte er bloß, nachdem er sich sein Trikot über den Kopf gezogen hatte und mich mit verstrubbelten Haaren anblinzelte. Ich musste Grinsen vor so viel blödem Charme und nickte: "Klar, ich wollte schon immer ein Trikot von dir besitzen." zwinkerte ich dann und schenkte ihm ein Lächeln. Er strahlte mich an und dackelte dann lässig wieder ab zu seinen Mannschaftskollegen, die ihm stolz auf die Schulter klopften. Ich verstand die Welt nicht mehr, trotzdem hielt ich das Trikot ganz fest in meiner rechten Hand. "Woher kennst du den denn? Ich verpasse immer das spannendste." maulte meine Mutter dann beeindruckt drauf los, doch ich hörte ihr nicht zu, sondern befand mich in einem Tunnel und beobachtete Blondie dabei, wie er in den Katakomben des Stadions verschwand, ohne nochmal zurück zu blicken. Plötzlich zog jemand an dem Trikot: "Entschuldige bitte, aber ich glaube das gehört mir." sagte Blondchen plötzlich in einem unglaublich abwertenden Klang in ihrer Stimme. Ich zog meine Augenbrauen hoch: "Wie bitte?","Das hast du schon richtig verstanden, Kleines. Mein Freund hat dir gerade sein Trikot geschenkt." wiederholte sie sich, noch mürrischer als zuvor und zog noch einmal stärker an dem Trikot. Ich lachte laut auf: "Na dann würde ich mir an deiner stelle mal Sorgen machen, Kleine." das letzte Wort betonte ich extra schnippisch. Meine Mutter schaute mehr als irritiert zwischen uns hin und her und kam nicht mehr mit. Erneut zog sie an meinem Trikot: "Gib es mir jetzt, sonst setzt es was." Augenverdrehend ließ ich es los und sie dampfte samt Trikot in ihren Händen endlich ab. "Bist du bescheuert?" fragte meine Mutter daraufhin empört, ich schüttelte den Kopf: "Meinst du ich stelle mich auf ihre Stufe und diskutiere über ein blödes Trikot?" antwortete ich. Es bedeutete mir doch sowieso nichts.

DU LIEST GERADE
Schmetterlingseffekt
Fiksi PenggemarKann man alles einfach so stehen und liegen lassen für die Profikarriere des eigenen Bruders? Genau dafür entscheiden sich die 26-Jährige Yve Kühnert und ihre Familie. Obwohl sie in ihrem Alter schon für sich selbst sorgt lässt sie gemeinsam mit ihr...