"So und wenn du dann alles eingegeben hast, gehst du einfach nur noch hier auf bestätigen und dann bist du fertig." erklärte mir eine Kollegin das Kassensystem des Sportwarengeschäfts, welches ich doch eigentlich schon im Schlaf auswendig konnte. Ich glaube sie hatte immer noch nicht verstanden, dass ich keine Aushilfe war, sondern fest angestellt. Mir sollte es egal sein. Während die laute Musik im Laden meine Ohren beinahe betäubte, erklärte sie mir also wie ich nach dem Ende meiner Schicht abschließen müsste. Obwohl es erst mein erster Arbeitstag war wusste ich, dass ich hier nicht für immer bleiben würde. Aber für den Anfang war es in Ordnung. Hauptsache es war mir möglich, meine Mutter finanziell zu unterstützen. Nachdem diese besagte Kollegin also endlich mit ihrem Monolog fertig war und ging, war ich alleine im Geschäft. Meine erste Amtshandlung war es, die Musik leiser zu drehen. Danach setzte ich mich hinter die Kasse und träumte nur so vor mich hin. Es war nicht viel zutun, also schweiften meine Gedanken immer wieder ab. Lennard ging es heute, am zweiten Tag nach seiner Alkohol-Eskapade wieder fast gut. Gestern hing er echt in den Seilen. Mama fand es amüsant, auch wenn sie ein wenig Bedenken hatte, dass Lennard nun schlecht dasteht beim Verein. Ich hätte sie beruhigen können, ja. Schließlich hatte ich Marco das selbe gefragt, als er uns nach hause gefahren hat. Aber ich tat es nicht. Schließlich wusste ich nicht, wie ich ihn einschätzen sollte. Wie konnte ich ihm auch trauen, wenn er zu mir ein Gentleman war, aber zu seiner eigentlichen Freundin gleichzeitig das größte Arschloch? Trotzdem konnte ich es nicht leugnen, als er mit mir getanzt hat war ich unglaublich glücklich und unbeschwert. Immer wenn ich daran zurück dachte lief mir ein kleiner, aber signifikanter Schauer über den Rücken.
Es war schon fast Zeit zu schließen, da betrat eine große Blondine den Laden und schaute sich um. Natürlich brauchte ich keine zwei Sekunden, um zu wissen was mir in wenigen Augenblicken blühen würde. Unsere Blicke trafen sich. Ich versuchte so kalt wie möglich zu bleiben, auch wenn meine Knie jetzt schon weich wurden. "Du da! Dich suche ich." rief sie plötzlich durch den ganzen Laden und zeigte auf mich. Ich nickte, schluckte meinen Frust so gut wie es ging herunter und schaute ihr standhaft in die blauen Augen: "Ja bitte?" Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie sie die Bildzeitung aus ihrer großen Handtasche hervor zauberte und auf den Tresen knallte, der mir glücklicherweise einen kleinen Sicherheitsabstand von ihr ermöglichte. "Was soll ich damit?" fragte ich so höflich wie möglich und runzelte irritiert meine Stirn. "Ach entschuldige bitte" lachte sie sarkastisch auf und entfernte den Knick aus der Zeitung, sodass die Schlagzeile des Titelblatts samt Titelbild direkt in meine Augen stach. " Marco Reus entpuppt sich nun auch als Tanzgott - Mit neuer Frau an seiner Seite? " las die Blondine mir vor, als hätte ich es selbst nicht schon gelesen. Die Götter die ich rief, dachte ich mir. Hätte ich doch einfach nicht über die Veranstaltung vorgestern nachgedacht. Ich fuhr mir durch mein schulterlanges Haar und schaute sie so neutral wie es mir möglich war an: "Was willst du mir damit sagen?" fragte ich wieder. "Das du dich gefälligst von meinem Freund fernzuhalten hast. Marco ist mein Fußballprofi. Such dir doch einen anderen aus der Mannschaft aus, aber nicht meinen." Ich hätte ihr den Schmerz in der Stimme beinahe abgekauft, wenn sie nicht über Marco als Gegenstand gesprochen hätte. Als wären die Fußballprofis für sie nur Trophäen. Ich fühlte mich zurückversetzt in eine Zeit meiner Kindheit, in der wir mit Bayblades und Pokemonkarten gedealt hatten. Nur, dass diese wirklich Gegenstände waren. Wie egal es mir doch war, dass Blondie ein Fußballprofi war. Das war es mir bei meinem Bruder schließlich auch. Allesamt waren sie Menschen wie ich und auch wie Scarlett. Immer noch stand sie vor mir auf der anderen Seite des Tresens und schaute in ihr verbittertes Gesicht, getrieben von Geld und Erfolgssucht, Ruhm und Rampenlicht. "Ich sage es dir ein letztes Mal, Kleine. Du bist nichts. Du stehst dir hier stundenlang am Tag in einem dummen Geschäft die Füße wund. Nach dir kräht doch kein Hahn. Ich bin die Frau an Marcos Seite und du - du bist eine dumme Verkäuferin. Die Schwester eines Talents aus der Einöde. Aber mach' dir nichts draus." warf sie mir an den Kopf und ging. Perplex schaute ich ihr hinterher. Ich war in eine Art Schockstarre verfallen. Erst das lauten Knallen der nun geschlossenen Ladentür befreite mich aus dieser Trance. Schnell packte ich mein Zeug zusammen, löschte das Licht und schloss von außen die Ladentür ab. Erst dann zog ich mir meine Winterjacke und Mütze über, um durch die Kälte überhaupt zur Bushaltestelle laufen zu können. Ehrlich gesagt konnte ich zwei, drei kleine Tränen dann auch nicht mehr aufhalten, die schon über meine Wange flossen. Meine Gedanken ließen dieses Thema nicht los. Ich wusste nicht, ob ich Scarlett recht geben sollte oder nicht. Auf der anderen Seite war es doch offensichtlich, dass zwischen Marco und mir nichts war und nie etwas sein würde. Schließlich kannten wir uns nicht mal. Als ich endlich Zuhause angekommen war freute ich mich schon auf eine heiße Badewanne, um entspannen zu können. Hätte ich mal gewusst, dass Lennard mir da einen fetten Strich durch die Rechnung machen würde. Schon fünf Minuten lang kramte ich vor unserer Haustür in meiner Tasche nach meinem Schlüssel. Irgendwann drückte ich dann einfach genervt ein paar Mal auf die Klingel. Erst dann schaute ich mich auf unserem Hof um und bemerkte die unzähligen protzigen Autos auf unserem Hof. Eines davon kam mir mehr als bekannt vor. Als ich wieder zur Tür blickte, die sich in der Zeit schon geöffnet hatte, rannte ich gedankenverloren gegen einen harten Oberkörper. Erst jetzt schaute ich hoch, in die schönen grün-braunen Augen von Blondie. Wie immer grinste er mich verschmitzt an und lehnte sich lässig an meine eigene Haustür. Ich zog eine Augenbraue hoch und verschränkte meine Arme vor der Brust. Am liebsten würde ich ihn jetzt zur Sau machen, was seiner Kleiderstange eigentlich einfällt bei mir aufzukreuzen und mich dann auch noch zu beleidigen. Aber war das fair? Oder war es etwas wofür er gar nichts konnte?

DU LIEST GERADE
Schmetterlingseffekt
FanfictionKann man alles einfach so stehen und liegen lassen für die Profikarriere des eigenen Bruders? Genau dafür entscheiden sich die 26-Jährige Yve Kühnert und ihre Familie. Obwohl sie in ihrem Alter schon für sich selbst sorgt lässt sie gemeinsam mit ihr...