35.

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"Nein, ich werde ihn nicht anrufen." betonte ich langsam und deutlich am Telefon, als Jenny auf die glorreiche Idee kam, ich sollte Marco deshalb nochmal zur Rede stellen. Eigentlich war sie es, die ihn in ihrem tiefen inneren zur Schnecke machen wollte. Aber nicht ich. Wenn ich erstmal enttäuscht war, dann blieb ich das auch für eine Weile. Mich da einfach so dämlich stehen zu lassen, das würde er kein zweites Mal machen. Denn ich, ich hatte auch meinen Stolz. Vielleicht hatte ich auch etwas zu viel davon. Jenny legte irgendwann voller Empörung auf, nicht wegen mir - sondern weil sie Marcel auf ihn hetzen wollte. Dreimal hatte ich versucht es ihr auszureden, aber wenn Jenny erstmal sauer war, dann gab es kein Halten mehr. Mir war es aber egal. Ich war froh als ich das Telefon, dieses Mal ausgeschaltet, zur Seite legen konnte und mich wieder in meine Bettdecke kuscheln konnte. Eins hatte Jenny nämlich geschafft, ich musste nicht mehr heulen. Sie hatte sich so herrlich aufgeregt, dass ich sogar lachen musste. Mit diesem Gedanken schlief ich also sogar mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen ein.

"Mensch wo warst du gestern Abend auf einmal?" fragte Lennard am nächsten Morgen, als ich in die Küche geschlendert kam um mein morgendliches Müsli verdrücken zu können. Gerade nachdem ich die Milch über meine Cornflakes gegossen hatte, nahm Lennard mir die Milchtüte aus der Hand und trank sie leer. Angewidert schaute ich meinem kleinen Bruder dabei zu. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Ich verzog mein Gesicht. "Kommst du nachher mit nach Brackel? Mama ist nicht da um mich zu fahren." grinste er dann blöd. Ich nickte schnell ohne großartig darüber nachzudenken. Mit seiner Verletzung wollte er plötzlich überall hin chauffiert werden obwohl er selbst fahren durfte. Ich aß also mein Müsli im Eiltempo, damit er nicht zu spät kommen würde. So langsam durfte er sich zumindest wieder mit der Mannschaft zusammen warm machen. Das war besser als nichts für ihn. Er hasste das Einzeltraining. 
"Willst du nicht zugucken?" mein Bruder warf mir einen irritierten Blick zu, als ich im Auto sitzen blieb während er ausstieg. In meinen Magen hatte sich ein dicker Knoten gebildet, als ich Marcos Auto gesichtet hatte. Spätestens jetzt wünschte ich mir, dass ich tatsächlich erst nachgedacht hätte, bevor ich eingewilligt hatte, Lennard zu fahren. "Ich muss noch kurz telefonieren" log ich schnell: "Geh schon mal vor." warf ich schnell noch hinterher. Augenverdrehend warf er die Autotür zu. Jetzt hatte ich kurz Zeit, um unsere Mutter anzurufen und sie zu fragen, warum sie nicht da war um in hierher zu bringen. In mir breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Eigentlich hatte sie mir doch versprochen mit ihrem krummen Beruf aufzuhören. "Was gibt's?" ertönte die zerknirschte Stimme meiner Mutter am anderen Ende nachdem es stundenlang geklingelt haben musste. "Wo bist du?" fragte ich skeptisch. Kurze Stille erfüllte das Telefonat. "Ich bin nur kündigen." sagte sie plötzlich leise: "Rufe dich später zurück." Dann Tutete es. Wenigstens kündigte sie, dachte ich mir schulterzuckend, bevor ich mich langsam aus dem Auto quälte. Ich zog mir meinen Kapuzenpullover tief ins Gesicht in der Hoffnung Marco würde mich nicht erkennen und machte mich auf den Weg. Die Jungs liefen schon so einige Runden im Kreis. Auch die persönliche Fangemeinde an Spielerfrauen waren natürlich wieder anwesend. Zum Glück auch die einzig vernünftige unter ihnen - Jenny. Sie zwinkerte mir zu, als ich mich zu ihr gesellte. "Du hier? Trotz.." sie nickte in Richtung Marco, der mich schon von weitem mit seinen grün-braunen Augen fixiert hatte. "Hör auf, er sieht das wir über ihn reden." murmelte ich leise. "Ich musste Lennard fahren.","Ahja" grinste Jenny schelmisch. Ich riss meine Augen auf: "Echt." Sie winkte: "Marcel hat ihn gestern Abend nochmal angerufen und gefragt warum er so früh weg war." bemerkte sie dann. "Und?" fragte ich ein bisschen zu über euphorisch. Jenny versuchte zwar ein Grinsen zurück zu halten, schaffte es aber nicht so wirklich. "Er meinte er hätte Scheiße gebaut. Mehr nicht." sagte sie zähneknirschend. Ich zuckte mit den Achseln: "Wenigstens etwas." kommentierte ich diese Aussage und erhielt einen fürsorglichen Rückentätschler von ihr. Wir beide konnten unser Schmunzeln über diese ganze Situation einfach nicht mehr zurück halten. 
Ein lauter Pfiff ertönte. Lennard und ein anderer verletzter Spieler folgten dem Co-Trainer während die anderen gingen. "Wieso gehen die?","Die sind fertig für heute. Das war die zweite Einheit." bemerkte Jenny lachend und winkte ihrem Schmelle glücklich zu. "Wie die sind fertig?" fragte ich meine in ihre große Liebe vertieften Freundin. Es kam natürlich keine Antwort, sie war zu Abwesend. Marco kam dafür genau auf mich zu und stand plötzlich vor mir. Verschwitzt. Nur die Bande zwischen uns trennte unsere Körper voneinander. "Können wir reden?" fragte er leise. Er sah so blass aus wie eine Kalkwand. Ich sagte nichts zu ihm und vergrub meine Hände dafür tief in die Taschen meiner Jeans während ich zu Boden schaute. Er durchlöcherte mich förmlich. "Wofür?" fragte ich also genauso leise. "Ich bin dir eine Antwort schuldig." murmelte er zerstreut. Ich schaute ein wenig hoch. "Dein Verhalten gestern war mir Antwort genug. Ich dachte du wärst ein erwachsener Mann? Hast mich da einfach stehen lassen. Ohne ein Wort." zischte ich leise. Marco trat näher an die Bande und presste seine Lippen aufeinander: "Es tut mir leid." sagte er ernst. "Das kann ich mir sogar vorstellen. Trotzdem lasse ich sowas nicht mit mir machen und ständig mit mir umspringen. Ich habe dich verstanden gestern, auch ohne Worte Marco." verdeutlichte ich es ihm erneut. Er schaute mich schockiert, mit offenem Mund an: "Nein Yve, so sollte es aber nicht-" Ich unterbrach ihn: "Ich habe verstanden, dass das unter diesen Umständen natürlich nichts mit uns wird und das habe ich mir schon gedacht Marco! Das brauche ich nicht nochmal hören. Einmal dieses Gefühl zu haben reicht mir völlig. Mach dir nicht die Mühe." warf ich ihm ernst an den Kopf. Daraufhin drehte ich mich direkt um, damit er nicht sehen konnte wie ich schon wieder mit den Tränen kämpfte. Ich hätte mir kein weiteres Mal die Blöße gegeben noch eine Träne vor ihm zu vergießen.

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