Nachdem sich meine Beine so verselbstständigten, dass ich glatt als Speedy Gonzales hätte durchgehen können, erreichte ich Lennard, Marco und Scarlett binnen Sekunden und riss meinen Bruder von Marco weg. Als mir das wider erwarten ruckartig gelang, stellte ich mich zwischen sie und breitete meine Arme des Abstandes halber aus. Scarlett warf mir einen schockierten Blick zu, den ich obwohl ich sie hasste, erwiderte. Ich sah zu Marco herüber. Er packte sich erschrocken an seine Nase und versuchte das Blut mit seiner Hand aufzufangen. Er tat mir ein wenig leid, seine Nase sah ein wenig schief aus. Wenn die mal nicht durch war. Ich warf meinem kleinen Bruder einen zerknirschten Blick zu. Es war total beruhigend zu wissen, dass er trotz seines Höhenflugs noch für mich einstand, aber Gewalt war nie eine Lösung und das wusste er. Scarlett wühlte daraufhin endlich in ihrer Tasche nach einem Taschentuch. Irgendeinen Sinn mussten ja diese monströsen Taschen gut sein. Doch sie fand keins. Sie seufzte: "Ich hole etwas von drinnen." und verschwand daraufhin hastig. Ich atmete erleichtert auf. "Bro, das tut mir leid, ich wollte dir nichts brechen." murmelte Lennard plötzlich beschwichtigend. Marco winkte ab: "Ach, ist nicht schlimm. Ich habe es ja auch irgendwie verdient." murmelte dieser dann. Schockiert nahm ich endlich meine Hände herunter und schaute Marco fragend an, ohne es so richtig zu bemerken. So leicht war das also bei Kerlen? Ich verschränkte ein wenig eingeschüchtert meine Arme vor der Brust und trat ein paar schritte zurück zu meinem Bruder. "Trotzdem" begann Lennard: "wenn du dich jetzt noch ein Mal zu deinem Spaß an meine Schwester ran machst dann wird es so richtig knallen!" drohte Lennard ihm wieder und wurde ganz rot vor Wut. Marco schaute mich eindringlich an. Seine Augen sahen mitgenommen aus, sie glitzerten in der Abendsonne gefährlich dolle. Irgendwie bereute ich es mich am Ende doch auf ihn eingelassen zu haben, gleichzeitig bereute ich es aber genauso sehr, nicht seine Umarmungen mehr genossen zu haben, mich nicht enger an ihn geschmiegt zu haben und nicht eher seine Küsse erwidert zu haben als ich es im Endeffekt tat. Wenn ich bei ihm war, war immer alles anders und ich konnte meinem langweiligen Alltag entfliehen. Er hatte immer dafür gesorgt, dass unsere Treffen einzigartig waren. Wir hatten so viel miteinander erlebt und irgendwie auch nichts. Aber vielleicht war es einfach so, vielleicht waren wir zwei nicht für eine Beziehung miteinander geschaffen. Ich sah dann dabei zu, wie Scarlett wieder aus dem Stadion kam und sich um den Blondschopf kümmerte, der einen ordentlichen Teil meines Herzens mit sich genommen hatte und diesen wahrscheinlich auch behalten würde. Scarlett und Marco schienen einfach zusammen zu passen und sich gegenseitig zu ergänzen. Sie war wahrscheinlich für ihn bestimmt. So war das bei mir und Leon doch eigentlich auch immer - wir ergänzten uns und er war für mich da auch wenn er dabei zusehen musste wie ich mich in Marco verliebte. Konnte man das denn wirklich liebe nennen? Ich glaubte mittlerweile nicht. Hätte daraus liebe entstehen können? Mit Sicherheit. Wer jetzt glaubte, dass ich von Marco unbedingt einen Grund wissen wollte, warum er mir das antat oder was ihn dazu brachte mich zu betrügen, der liegt falsch. Ich wollte von alle dem nichts wissen. Mittlerweile fragte ich mich, ob überhaupt ich die Betrogene war oder doch Scarlett. Jedenfalls wollte ich mir nicht selbst nochmal in die Wunde stechen und ließ Fragen dieser Art sein. Ich schickte Lennard schon mal in Richtung Auto und ging auf Scarlett zu. Sie warf mir ein unsicheres Grinsen zu. Ich legte ihr beruhigend meine Hand auf die Schulter und lächelte ehrlich: "Viel Glück euch Zwei. Mir tut es leid, dass es so mit Lennard durchgegangen ist. Wir sehen uns." sagte ich nur leise und ging Lennard hinterher. Dieser schaute mich verdutzt an: "Hast du denen gerade ernsthaft Glück gewünscht?","Ja" antwortete ich und stieg in sein Auto ein. Er tat es mir gleich und startete den Motor: "Wieso da denn?","Das verstehst du nicht." lächelte ich und schaute lächelnd aus dem Fenster während Lennard Richtung Autobahn fuhr und fragend mit seinen Schultern zuckte.
Zuhause angekommen ließen mich die Gedanken an Leon nicht los. Ich saß auf meinem Bett und ließ die Geschehnisse revu passieren. Sollte mich das was ich erleben musste vielleicht auch genau das lehren? Das zu schätzen wissen was ich hatte? Ich spielte nachdenklich mit meinem Smartphone in meiner Hand herum und überlegte, ob ich ihm nicht vielleicht mal schreiben sollte. Ob er es nochmal mit mir versuchen würde? Ein Versuch war es wert. Anstatt jedoch wie wild eine Nachricht einzutippen, packte ich ein paar essentielle Sachen in meine Sporttasche und schlich mich aus meinem Zimmer hinaus in mein Auto. Dann würde ich eben die Heimat ansteuern. Das kam doch viel glaubwürdiger herüber. Ich würde ihm alles erklären und einfach darauf hoffen, dass wir es nochmal probierten. Er schien doch der richtige zu sein und Marco hatte dieses Verständnis geblendet. Ich hätte einfach nicht vor dem Umzug mit ihm Schluss machen sollen. Ich war ein großes Arschloch gewesen. Zog von einem Tag auf den anderen weg, hatte plötzlich einen Profifußballspieler an der Angel als wäre es von Anfang an geplant gewesen und er hat sich das alles wortlos mit angesehen und mich nicht mal zur Rede gestellt. An seiner Wohnung angekommen, wurden meine Beine ganz wackelig vor Aufregung. Ob er überhaupt alleine war? Ich war mal wieder viel zu impulsiv, aber ich wollte ihn sehen, nein ich musste ihn sehen. Meine Sporttasche ließ ich erstmal im Auto. Hinterher war es ihm doch zu überstürzt wenn ich über Nacht blieb oder er schickte mich nach Hause, das konnte ich immerhin auch nicht ausschließen. Mein Finger drückte dann also endlich die Klingel und nach einem kurzem Gepolter öffnete mein Exfreund mir die Tür. Er schaute mich überrascht an: "Yve?" fragte er unsicher als müsste er sich vergewissern, dass ich wirklich ich war. Ich nickte grinsend. "Was machst du hier?" fragte er vorsichtig. Ich zuckte mit den Achseln. Ja, was genau machte ich denn dort? "Ich weiß es nicht genau, ich musste dich einfach sehen." erklärte ich mich ihm leise und vorsichtig. Der braunhaarige und muskulöse Riese zog mich einfach wortlos in seine Arme und seufzte erleichtert. Ich roch den mir sehr bekannten Duft seines Aftershaves nach Monaten endlich wieder und genoss es, anstatt ihn von mir zu stoßen. Meine Arme schlangen sich daraufhin ganz eng um seinen Torso.

DU LIEST GERADE
Schmetterlingseffekt
FanfictionKann man alles einfach so stehen und liegen lassen für die Profikarriere des eigenen Bruders? Genau dafür entscheiden sich die 26-Jährige Yve Kühnert und ihre Familie. Obwohl sie in ihrem Alter schon für sich selbst sorgt lässt sie gemeinsam mit ihr...